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Indien und Pakistan
Zwei Frauen kämpfen gegen das Vergessen

Die Teilung von Indien und Pakistan liegt 70 Jahre zurück. Doch noch immer werden Vorurteile, Hass und Aberglaube von Generation zu Generation weiter getragen. Von Aufarbeitung kann auf beiden Seiten keine Rede sein. Zwei junge Frauen, eine aus Indien, eine aus Pakistan, wollen das ändern.

Von Jürgen Webermann |
    Feierlichkeiten an der Indisch-Pakistanischen Grenze in Wagah - einem Grenzübergang an der Straße zwischen Amritsar, Punjab (Indien) und Lahore, Punjab (Pakistan) sowie Teil der Grand Trunk Road. Es ist der einzige Grenzübergang in den genannten Bundesstaaten zwischen Indien und Pakistan. Im Vordergrund sind die Flaggen Indiens und Pakistans zu sehen.
    Zuschauer folgen einer jährlichen Militärzeremonie von pakistanischen und indischen Soldaten in Wagah, einem Grenzübergang zwischen Indien und Pakistan. (dpa / CTK / Krystof Kriz)
    "Ich war einmal mit Kindern aus Pakistan in einer Schule in Neu-Delhi in Indien. Die Lehrerin dort wollte ihnen Girlanden umhängen und einen roten Punkt auf die Stirn malen, ein Tika. Das ist ein hinduistisches Symbol. Da fingen die Kinder an zu heulen und fragten, ob sie dadurch jetzt zu Hindus würden. Bei einem Besuch in Mumbai in Indien fragte mich in einer Schule ein sechs Jahre altes Kind: Wo kommst Du her? Als ich Pakistan sagte, rannte es weg."
    Anam Zakaria könnte noch viele Geschichten von Vorurteilen, Hass und Abgrenzung erzählen. Die 28-Jährige hat Austauschprojekte zwischen pakistanischen und indischen Schulen geleitet, sie hat hunderte Zeitzeugen aus der Zeit der indischen Teilung getroffen und ein Buch darüber geschrieben. Anam will, dass ihre Heimat Pakistan damit beginnt, die eigene Geschichte aufzuarbeiten.
    "Die Menschen saugen die staatliche Version der Geschichte auf. Selbst Zeitzeugen filtern das, was sie uns von damals erzählen. Sie passen es der staatlichen Version an, nach der vor allem Hindus und Sikhs die Mörder waren. Auch meine eigene Großmutter hat mir immer nur von den Gräueltaten der anderen erzählt. Von den Zügen, die aus Indien kamen, voll beladen mit den Leichen ermordeter Muslime. Später fand ich zufällig heraus, dass damals ihre eigene Schwester von einer indischen Familie gerettet wurde. Es waren Sikhs."
    Väter warfen Töchter in Brunnen, um sie zu schützen
    Mallika Ahluwalia überwacht die letzten Arbeiten im "Partition Museum" im indischen Amritsar. Hier zeigt die 34jährige unzählige Dokumente, Wertgegenstände, die Flüchtlinge damals dabei hatten und ihr zur Verfügung gestellt haben. Es gibt ein Mahnmal - einen Brunnen. Verzweifelte Väter haben 1947 Töchter in Brunnen geworfen, damit sie nicht den feindlichen Mobs in die Hände fallen. Mallika will in dieser Woche öffnen. Ihr Projekt ist bisher in Indien einzigartig.
    "Jedes andere Land erinnert an die Geschichte. Holocaust, Apartheid, sogar die Anschläge vom 11. September, daran wird bereits jetzt schon erinnert. Die Teilung Indiens hat einen ganzen Subkontinent und das Leben so vieler Menschen geprägt. Und trotzdem hat noch niemand daran erinnert. Aber die Menschen, die damals das Trauma erleiden mussten, haben Erinnerung verdient."
    Mallika Ahluwalias Museumsprojekt hat sich auch in Pakistan herum gesprochen. Anam Zakarias Buch über die Teilung verkauft sich auch in Indien gut. Aber die Feindschaft zwischen beiden Staaten ist trotzdem lebendiger denn je, das weiß auch Anam Zakaria. Die junge Generation sei häufig radikaler in ihrer Feindschaft gegen Indien als diejenigen, die die Teilung 1947 noch selbst erlebt haben.
    "Die Leute wollen die Last der Erinnerung los werden"
    Können ein Museum, Austauschprojekte und ein Bestseller zumindest ein wenig dazu beitragen, Inder und Pakistaner näher zu bringen? Anam Zakaria ist da sehr skeptisch.
    "Naja. Es ist eigentlich frustrierend. Unsere Möglichkeiten sind so begrenzt. Ich kann mit fünftausend Schülerinnen und Schülern arbeiten und sie beeinflussen. Das ist schon eine beeindruckende Zahl. Aber gleichzeitig sind da Millionen anderer Kinder, die auf Regierungsschulen gehen und diese offiziellen Schulbücher vor sich haben. Das ist eigentlich nicht nur frustrierend. Wenn man mit diesen Kindern über Indien oder über religiöse Minderheiten hier in Pakistan spricht, dann macht mir das sogar große Angst."
    Auf der indischen Seite will Mallika Ahluwalia so viel wie möglich von der Teilungsgeschichte retten. Mallika sagt, sie hätte sich Zeit nehmen können für ihr Projekt. Aber ihr war es wichtig, das Museum in Amritsar jetzt zu eröffnen.
    "Jetzt wollen die Menschen reden, jetzt haben sie genug Abstand, man merkt es richtig, dass sie reden wollen, dass sie diese Last der Erinnerung los werden wollen. Wenn wir ihnen jetzt nicht zuhören, werden ihre Geschichten verschwunden sein."