Freitag, 19. April 2024

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Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt
"Unternehmen brauchen Geduld"

Was braucht es, um Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren? Geduld und Unterstützung, meint der Wirtschaftspsychologe Jürgen Deller. Gerade in der Anfangsphase nach der Einstellung müssten Flüchtlinge in den Unternehmen intensiv begleitet werden, sagte er im DLF.

Jürgen Deller im Gespräch mit Jasper Barenberg | 16.08.2016
    Menduh Sahinyilmaz (r), Geschäftsführer einer Änderungsschneiderei, sitzt am 14.08.2014 in Pforzheim (Baden-Württemberg) an einer Ledernähmaschiene, während im Hintergrund der Flüchtling Sajjad Hussain zuschaut.
    Tut die Wirtschaft genug, um Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt einzugliedern? In dieser Änderungsschneiderei in Pforzheim versucht man es jedenfalls. (picture-alliance / dpa / Inga Kjer)
    In den ersten ein bis zwei Jahren, wenn die Lernkurve für den Flüchtling an seinem neuen Arbeitsplatz besonders steil sei, sei ein ständiger Ansprechpartner wichtig, so Deller. "Die Menschen, die kommen, kennen den Arbeitsmarkt und seine Anforderungen nicht. Sie kennen auch die Anforderungen nicht. Sie müssen sich langsam damit vertraut machen, sie müssen realistische Vorstellungen entwickeln." Das brauche Zeit. Die Unternehmen befänden sich diesbezüglich noch in einem Lernprozess. Denn die Begleitung sei aufwendig und koste Geld.
    Doch viele der Flüchtlinge seien hoch motiviert. Das müsse als Chance gesehen werden. Auch brächten viele von ihnen Kompetenzen mit, die das Unternehmen erkennen und nutzen sollte.
    Zeitraum für die Integration verkürzbar
    Wichtig sei aber auch die Vorbereitung der Belegschaft auf die neuen Mitarbeiter, so Deller. "Vielfalt muss positiv besetzt sein." So gebe es bei einem Unternehmen in Hamburg beispielsweise ein Fest der Kulturen.
    Zehn Jahre gelten bisher als Zeitraum, in dem die Integration in den Arbeitsmarkt geschafft werden kann. Deller glaubt, dieser Zeitraum könne durch eine intensive Begleitung und Unterstützung auf fünf bis sechs Jahre verkürzt werden.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Ist Kritik an der Wirtschaft, an den Unternehmen in Deutschland gerechtfertigt, und wie können Unternehmen Geflüchteten mit Erfolg berufliche Perspektiven bieten? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Wirtschaftspsychologe Jürgen Deller von der Universität in Lüneburg. Zusammen mit Personalmanagern in der Region hat er einen Leitfaden für kleinere und mittlere Unternehmen entwickelt. Einen schönen guten Morgen, Professor Deller!
    Jürgen Deller: Guten Morgen, Herr Barenberg!
    "Unternehmen lernen langsam, wie sie mit Geflüchteten umgehen können"
    Barenberg: Kritik von Politikern an die Adresse der Wirtschaft, ich habe es gerade erwähnt. Haben Unternehmer und haben Verbände den Mund etwas zu voll genommen in den letzten Monaten?
    Deller: Mein Eindruck ist, dass der eine oder andere das vielleicht getan hat, auch in einer gewissen Euphorie vor einem Jahr. Auf der anderen Seite passiert aber auch viel in den Unternehmen. Ob das genug ist, ist eine andere Frage. Aber es passiert viel mit Pilotprojekten. Unternehmen lernen langsam, wie sie mit Geflüchteten umgehen können, wie sie sie integrieren können. Und sie lernen auch, dass sie sehr viel Geduld brauchen dabei, denn die Menschen, die kommen, kennen den deutschen Arbeitsmarkt nicht. Sie kennen auch die Anforderungen nicht. Sie müssen sich langsam damit vertraut machen, sie müssen realistische Vorstellungen entwickeln, und das macht man am besten durch praktische Erfahrungen in der Arbeitswelt, zum Beispiel, indem man ein Praktikum macht, indem man gemeinsam mit Auszubildenden eine Woche ein Seminar macht und sich da kennenlernt.
    Barenberg: Darüber wollen wir gleich noch etwas ausführlicher sprechen. Zunächst noch mal zurück zu den Erwartungen und zu den Ankündigungen. Haben sich Arbeitgeber in Deutschland da auch etwas verschätzt? Am Anfang war ja oft davon die Rede, von dem syrischen Arzt, der gut ausgebildet ist und jetzt nach Deutschland kommt. Ist es mit der Qualifikation doch nicht so einfach, wie viele gedacht haben?
    Deller: Mein Eindruck ist, dass man zunächst mal die positiven Beispiele gesehen hat und dann gedacht hat, na, wenn der syrische Arzt oder die syrischen Ärzte sich so schnell integrieren in Deutschland, dann ist das bestimmt auch kein Problem mit den anderen Geflüchteten, die hier ankommen. Und langsam hat man dann gelernt, dass die Qualifikation, dass auch die Problemlösefähigkeiten der anderen Flüchtlinge nicht auf dem Niveau sind wie die Ausbildung beispielsweise der syrischen Ärzte. Für mich ist das ein Lernprozess, der viele auch überrascht hat. Und das wiederum ist vielleicht gar nicht so überraschend, weil wir mit dieser Gruppe von Menschen eben nicht so viele Jahre Erfahrung haben in Unternehmen, sodass die Unternehmen auch in einem Lernprozess sind, auch lernen müssen, wie sie sich einstellen auf diese neue Gruppe. Von daher ist das langsame Öffnen der Unternehmen vielleicht sogar ein gutes Zeichen, aber es muss dann auch mehr Nachdruck entwickelt werden.
    "Unternehmen müssen sich dann intensiv um diese Menschen kümmern"
    Barenberg: Nun sind Unternehmen ja keine Wohlfahrtsverbände. Sie wägen, wenn sie Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer einstellen wollen, Kosten, Risiken und Nutzen für das eigene Unternehmen. Worauf kommt es dabei, wenn wir jetzt vor allem auf kleine und mittlere einmal schauen, wobei kommt es dabei vor allem an?
    Deller: Es kommt vor allem darauf an, dass man frühzeitig versteht, welche Position will ich eigentlich besetzen. Und was bringt der Geflüchtete auch mit? Um das zu verstehen, muss ich mir frühzeitig ein Bild machen. Und das kann ich zum Beispiel in kleinen Unternehmen tun, indem ich den Flüchtling mal einlade, bei mir mitzuarbeiten. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt. Aber was auch dazu kommt, ist, es kommen ja Menschen. Und die müssen sich auch einpassen in unsere Welt. Die müssen die Chance haben, Deutsch vernünftig zu lernen. Die müssen die Chance haben, mit ihren neuen Kollegen neu zusammenzuarbeiten. Und auch die Unternehmen, auch die kleinen und mittleren Unternehmen müssen sich dann intensiv um diese Menschen kümmern. Und das ist etwas, das ist neu, und das sind auch zusätzliche Kosten, die entstehen. Und das genau abzuwägen, das ist Aufgabe des Unternehmers. In der Tat, er ist keine soziale Institution, sondern er will und muss auch Gewinne machen und muss sich überlegen, wie passt es zusammen.
    "Die Chance liegt ganz klar darin, dass viele Geflüchtete sehr motiviert sind"
    Barenberg: Sie haben es geschildert, es bedeutet einen höheren Aufwand für Unternehmen. Sie müssen sich auf alle möglichen Dinge, die sie bisher noch nicht so gut kannten, wahrscheinlich einstellen. Warum bietet das unter Umständen doch eine Chance, sich Geflüchtete als neue Mitarbeiter zu gewinnen?
    Deller: Die Chance liegt ganz klar darin, dass viele Geflüchtete sehr motiviert sind, in Deutschland einen Beitrag zu leisten, sehr motiviert sind, sich zu integrieren, sehr motiviert sind, auch Geld zu verdienen. Und wir finden auch eine ganze Reihe von Geflüchteten, die schon Erfahrung haben. Und wir müssen in den Unternehmen dann dazu kommen, dass wir diese Erfahrung nutzen und weitere Kompetenzen vermitteln. Wir können natürlich auch Lücken schließen, das ist schon nicht falsch. Nur, es dauert eben. Wir müssen dazu mehr Geduld haben auch auf der Unternehmensseite.
    Barenberg: Mehr Geduld, sagen Sie. Wir hören ja beispielsweise von Umfragen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, dass es im Schnitt 22 Monate dauert, bis Geflüchtete beispielsweise eine Ausbildung beginnen. Sie haben in Ihren Forschungen ganz andere Ergebnisse erzielt, was die Frage angeht, wie schnell kann denn ein Flüchtling eigentlich einen Job finden. Woran liegt das?
    Deller: Wir haben uns mit Flüchtlingen beschäftigt, die frühzeitig schnell in den Arbeitsmarkt gekommen sind, die zum Teil auch schon zwei, drei, vier Jahre in Deutschland sind, die es dann aber geschafft haben, zum einen, weil sie selber sehr aktiv gesucht haben, Arbeit zu finden, und weil sich auch auf Unternehmen getroffen sind, die offen waren, die zum Beispiel in Schulen gegangen sind, die in Sprachschulen gegangen sind, um sich vorzustellen, um die Möglichkeiten auch vorzustellen, die man da hat. Das ist ganz wichtig. Und was uns aufgefallen ist, ist, dass viele dieser Flüchtlinge dadurch eine Chance gehabt haben, dass sie jemand hatten, der sie vermittelt hat. Ich nenne das gern einen Kulturlotsen, der ihnen gezeigt hat, wie machst du das in Deutschland, der sie begleitet hat und der sie auch am Arbeitsplatz mit begleitet hat. Das ist dann etwas, was auch die Unternehmen gut übernehmen können, um auch sicherzustellen, dass die Menschen, wenn sie dann arbeiten, erfolgreich sind. Es ist also hier zum einen die aktive Rolle der Geflüchteten, die eine Rolle spielt, aber es ist eben auch die Offenheit, und das Neue-Wege-auf-Menschen-zu-Suchen aufseiten der Unternehmen, die hier eine große Rolle spielen.
    Barenberg: Die Unternehmen ihrerseits haben ja schon eine Belegschaft, und was ich sehr interessant fand in dem, was ich über Ihre Forschungen gelesen habe, über das Projekt, das Sie gerade da betreuen, dass es auch entscheidend darauf ankommt, die eigene Belegschaft auf diese neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorzustellen, und dass man nicht voraussetzen kann, dass es da eine Offenheit und eine Unterstützung gibt. Das haben wir ja sozusagen in den Monaten der großen Flüchtlingszahlen in vielfältiger Weise erlebt. Aber in Betrieben ist das nicht unbedingt vorauszusetzen?
    Deller: Nein, das ist nicht vorauszusetzen. Das sind Einzelfälle, wenn Menschen in Betrieben arbeiten, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Aber viele Betriebe haben sich mit dem Thema nicht auseinandergesetzt. Ganz wichtig ist es, dass man das Thema Vielfalt positiv besetzt. Dass man zum Beispiel, und das macht eine Firma in Hamburg im Logistikbereich, ein Fest der Kulturen veranstaltet, um deutlich zu machen, wie vielfältig, auch wie bereichernd eine andere Kultur sein kann. Und das kennen viele Unternehmen so nicht, viele Mitarbeiter auch nicht. Und die andere Seite ist, dass ja auch nicht alle Mitarbeiter beglückt darauf reagieren, sondern es gibt durchaus ablehnende Haltungen. Das geht bis dahin, dass Menschen fremdenfeindlich angegangen werden, und da auch da müssen sich Unternehmen überlegen, wie gehen wir da stringent vor, um eine gute Integration auch zu gewährleisten.
    "In dieser Phase, der Lernphase, ist eine Begleitung ganz wichtig"
    Barenberg: Heißt das, wenn man es ein bisschen zusammenzufassen versucht, was Sie Unternehmen raten, die mit dem Gedanken spielen, Geflüchtete einzustellen, dass die sich auf Dauer darauf einstellen müssen und eben auch Strukturen etablieren müssen, diesen Teil der Belegschaft, diesen neuen Teil der Belegschaft mit Wurzeln im Ausland auch permanent, ständig, auf Dauer zu begleiten.
    Deller: Das bedeutet nicht, dass man es über viele Jahre hinweg dann machen muss. Aber was wir sehen und was wir dann auch empfehlen, ist, dass man in der ersten Zeit, in den ersten ein, zwei Jahren, wo die Lernkurve sehr steil ist, wo die Geflüchteten lernen müssen, wie bewege ich mich eigentlich am Arbeitsplatz, was bedeutet das Thema Pünktlichkeit in Deutschland, was bedeutet Leistung, welche Rolle spielt Familie. Wenn ich arbeite, steht die ein Stück zurück. Das muss ich alles erst lernen. Und in dieser Phase, der Lernphase, ein, zwei Jahre, manchmal geht das auch schneller, da ist eine Begleitung, da ist ein regelmäßiger Ansprechpartner ganz wichtig.
    Barenberg: Wenn wir jetzt das ganz große Bild noch mal nehmen – wir haben vorhin berichtet, dass die Bundesregierung sich auf steigende Arbeitslosenzahlen einstellt, auch weil es eben eine große Zahl von Geflüchteten in Deutschland gibt. Welchen Zeithorizont haben Sie im Blick? Man sagt ja immer, zehn Jahre wird es dauern, bis wir es genauer wissen und ein hoher Anteil der Geflüchteten auch eine Perspektive hier im Arbeitsmarkt hat.
    Deller: Diese zehn Jahre spiegeln ja das wieder, was wir bisher in Deutschland gemacht haben. Ich glaube, dass wir hier deutlich besser werden können. Ich glaube, dass wir das reduzieren können. Wenn wir intensiv mit Menschen arbeiten, sie mit Kulturlotsen begleiten, dann können wir auch auf eine Zeit von vielleicht fünf, sechs Jahren kommen, um das hinzubekommen. Bedeutet aber, dass wir aktiv sein müssen und unterstützen müssen, um das hinzubekommen, ohne unsere eigenen Ansprüche an Arbeit und Qualität aufzugeben. Das ist aus meiner Sicht machbar.
    Barenberg: Der Wirtschaftspsychologe Jürgen Deller von der Universität Lüneburg. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen und das Gespräch!
    Deller: Vielen Dank, Herr Barenberg!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.