Freitag, 19. April 2024

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Iran-Konflikt
Politologe: Deutschland müsste sich an Golf-Mission beteiligen

Im Konflikt mit dem Iran habe Donald Trump Recht, "das Problem liegt beim Iran", so der Politikwissenschaftler Christian Hacke im Dlf. Deutschland werde seiner Verantwortung in der Frage nicht gerecht. "Als Weltwirtschaftsmacht sollten wir wissen, wie wichtig es ist, die Freiheit der Meere zu schützen."

Christian Hacke im Gespräch mit Jasper Barenberg | 03.08.2019
In der Straße von Hormus geht es derzeit alles andere als friedlich zu - die US-Marine verbreitet Fotos von Kampfhubschraubern, die von Flugzeugträgern abheben.
Trump sei ein "hochproblematischer Charakter", sagt Christian Hacke - aber im Konflikt mit dem Iran dürfe sich Deutschland nicht von seiner "Trump-Hysterie" beeinflussen lassen, so der Konfliktforscher (dpa / picture alliance / ZUMAPRESS.com / Dalton Swanbeck)
Jasper Barenberg: Gleich eine ganze Kategorie von Nuklearwaffen aus dem Arsenal der beiden Supermächte zu verbannen, auch darin lag die enorme Bedeutung des INF-Vertrags über Mittelstreckenraketen aus dem Jahr 1987, er beförderte auch das Ende des Kalten Krieges. Nach dem formalen Aus nun kündigen die USA schon an, neue Waffensysteme zu entwickeln, während Trump zugleich Abrüstungsverhandlungen in Aussicht stellt. Am Telefon ist der Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Christian Hacke, ich grüße Sie!
Christian Hacke: Seien Sie gegrüßt, Herr Barenberg!
Barenberg: Die USA sind also schon dabei, ein neues Waffensystem zu entwickeln, Russland verfügt bekanntlich bereits über eines. Ist eine neue Runde der Aufrüstung im Grunde schon in vollem Gange, Herr Hacke?
Hacke: Ja. Ich glaube, das kann man nicht verneinen. Das ist eine sehr bedauerliche Tatsache, aber wir sind nicht in einem Zeitalter der Rüstungskontrolle mehr, das Vertrauen ist dahin, das ist ja die Voraussetzung, dass Rüstungskontrolle funktioniert, und das war bei INF der Fall durch den Wechsel zu Gorbatschow. Nein, die Zeichen stehen heute auf Sturm, das muss man klar sagen, es gibt auch die neuen technologischen Möglichkeiten. Und die Lücken, die jetzt nach dem Ende des INF-Vertrags genutzt werden, eben besonders von den Vereinigten Staaten und von Russland – mit Blick auf China, das eben stark auf Mittelstreckenraketen sich stützt. Das ist jetzt eine neue Konkurrenz, das ist eine ganz deprimierende Situation.
"Neue Weltmachtkonkurrenz" zwischen Russland, China, USA
Barenberg: Und wenn jetzt Donald Trump lapidar und nebenbei sagt, er ist da schon in Gesprächen mit Russland, China müsste man miteinbeziehen, wir haben das ja gerade in dem Beitrag gehört. Wie viel Vertrauen weckt das bei Ihnen, dass man auch beim Thema Abrüstung in den nächsten Monaten, in den nächsten Jahren möglicherweise zumindest ein Stückchen weiterkommen könnte?
Hacke: Ja, das muss man abwarten. Wir wissen ja alle, dass Donald Trump kein angenehmer Charakter ist und auch seine Politik unberechenbar ist, aber prinzipiell muss es sich nicht widersprechen, wenn auf der einen Seite Rüstung angekündigt wird und gleichzeitig gekoppelt wird mit der Bereitschaft zur Abrüstung. Denken Sie an die schwierige Phase unter Präsident Reagan, der mit SDI einen enormen Rüstungsschub veranlasste und gleichzeitig später damit die Russen zum Einlenken gebracht hat. Ich will nicht sagen, dass sich das jetzt wiederholt, nur prinzipiell muss das jetzt nicht gleich negativ gewertet werden.
Barenberg: Muss man auch ganz nüchtern festhalten, Sie haben das schon angedeutet: Der INF-Vertrag war historisch wichtig, aber heute ist er von der Entwicklung längst überholt, gerade mit Blick auf die Mittelstreckenraketen, die China ja inzwischen schon besitzt.
Hacke: Ja, einmal mit Blick auf die Mittelstreckenraketen in China, aber da steht ja natürlich etwas Politisches dahinter. Wir sind in der Phase einer neuen Weltmachtkonkurrenz, in dem Dreieck Russland, China und die Vereinigten Staaten. Und da stehen natürlich ideologisch und weltanschaulich gesehen die Chinesen und Russen sehr stark miteinander, auch mit gemeinsamen zunehmenden Militärmanövern, gegenüber den USA.
Andererseits vergessen Sie aber auch nicht, es gibt gewisse Ähnlichkeiten zwischen Russland und den USA im Status, die abwehren wollen, dass China einen ähnlichen Großmachtstatus im Langstreckenbereich erhält. So gibt es hier also Anzeichen, dass Russland vielleicht mit den USA das START-Abkommen verlängert und gleichzeitig vielleicht auch in irgendeiner Form China mit einzubeziehen versucht. Was wir jetzt sehen aus der Trump-Sicht, dass er eben China mit einbauen will in ein neues Mittelstrecken-Abkommen auf lange Sicht unter den großen Drei. Das bleibt abzuwarten, ob das zu realisieren ist.
Chinas Interesse an Abrüstung "gering"
Barenberg: Aber wissen wir nicht von China schon jetzt, dass sich die Führung in Peking, immer wenn es um dieses Thema ging, eigentlich entschlossen gezeigt hat, in keiner Weise jetzt in Verhandlungen einzutreten, weil die da gar kein Interesse daran haben kann. Welches Interesse sollte Peking haben, über Abrüstung zu verhandeln?
Hacke: Ich glaube, dass das Interesse gering ist, weil sie erstens, wie Sie zu Recht sagen, ihre eigenen militärischen Rüstungsanstrengungen verstärken. Und hier beißt die Maus keinen Faden ab, wir müssen sehen, dass die Amerikaner in ihren Rüstungsanstrengungen so weit überlegen sind den nächsten acht Staaten in der Welt, also, das ist gigantisch, was Amerika da fabriziert, das muss man ja auch mit Sorge sehen. Aber dass die Chinesen auch klug sind, die sind klug, die sehen nicht den militärischen Einfluss als entscheidendes Instrument, um ihre Macht in der Welt zu vergrößern, sondern den Handel. Die Chinesen werden nicht so dumm sein und in diese Rüstungsspirale einsteigen, sondern die werden nur das tun, was defensiv notwendig ist – und damit natürlich auch viel Geld sparen.
Barenberg: Lassen Sie uns über die Bundesregierung, über Deutschland sprechen. Horst Teltschik, der frühere Chef der Münchener Sicherheitskonferenz wurde heute morgen hier bei uns im Deutschlandfunk gefragt, welchen Beitrag Deutschland denn leisten könnte in dieser Situation, vor allem mit Blick auf die Beziehung zu Russland. Das hier war die Antwort von Horst Teltschik.
O-Ton Horst Teltschik: Die Bundesrepublik ist Mitglied des Nato-Russland-Rates, und aus meiner Sicht müsste die Bundeskanzlerin und jetzt dann auch die europäische Kommissionspräsidentin mit Stoltenberg auch sprechen und zusammen mit dem französischen Präsidenten überlegen: Welche Strategie sollte man erarbeiten, entwickeln, um jetzt zu einem neuen Vertrauensverhältnis mit Russland zu kommen und diese Spannungen abzubauen.
Barenberg: Das also die Einschätzung von Horst Teltschik. Herr Hacke, eine europäische, eine mit der Nato abgestimmte Strategie, um Spannungen mit Russland abzubauen, ist das ein wichtiges Ziel und ein gangbarer Weg?
Hacke: Ich darf dazu sagen, mein alter Freund Horst Teltschik hat meiner Meinung nach in den Russlandfragen fast immer recht. Und seine Sorge ist enorm, und ich teile sie, dass wir Russland außen vor lassen. Ich habe eben auch vergessen natürlich, bei der INF-Frage und bei diesen Mittelstrecken-Fragen, da habe ich vergessen zu sagen, es gibt auch eine russische Sicht, und die dürfen wir nicht vergessen. Die Amerikaner haben INF gekündigt, sie können bisher keine Beweise über Russlands Vertragsverletzung bei INF vorlegen. Die Amerikaner verletzen seit Jahren mit der Stationierung von Raketenabwehrsystem in Polen und Rumänien den INF-Vertrag aus russischer Sicht. Und die Amerikaner entwickeln Langstreckenkampfdrohnen und sie testen Raketen, und Sie haben die Nato-Erweiterung und die russische Furcht vor Einkreisung.
Keine neue europäische Friedensordnung ohne Russland
Also, Teltschik hat in vielen Dingen recht, und wir sind zu selbstgerecht geworden. Hier muss in der Tat in Europa etwas getan werden, und Deutschland hat eine Schlüsselrolle. Wer sonst als Deutschland muss auf Russland zugehen, Putin ist nicht leichter geworden, das muss man ganz klar sehen, und Russland ist unter ihm eine revisionistische Macht geworden, und die Krim-Aggression darf man auch nicht wegdiskutieren. Aber wir haben im vergangenen Jahrzehnt große Fehler gemacht, und es wäre auch an unserer Seite, ob Nato oder wir individuell oder im Rahmen Deutschland zusammen mit Frankreich, aber vor allem auch mit den USA – hier müssen wir mehr tun. Ich teile Teltschiks Sorge zu 100 Prozent.
Barenberg: Sie haben ja auch angedeutet, dass Deutschland da geradezu prädestiniert ist als Vermittler. Aber was könnte das konkret bedeuten als nächster Schritt?
Hacke: Meinen Sie mit Blick auf die Krim-Frage?
Barenberg: Ich meine das mit Blick auf das Ziel, die Vertrauensbasis zu Moskau zu stärken und damit sozusagen eine Grundlage zu schaffen, dass der Westen und der Osten gleichsam wieder ins Gespräch kommen können auf einer anderen Gesprächsgrundlage.
Hacke: Das ist ganz schwierig, das sind ja langwierige Prozesse. Da müssen Signale gegeben werden, dass man sagt, wir müssen uns hier aufeinander zubewegen. Und hier gilt natürlich auch, dass wir mehr Verständnis entwickeln müssten für die Sorgen, die ich eben genannt habe. Das lässt sich jetzt nicht gleich konkret umsetzen, konkret wird es nicht von heute auf morgen einen Wechsel geben. Aber hier im Nato-Russland-Rat ist einiges… Ich glaube, dass der Petersburger Dialog sehr viel stärker intensiviert werden müsste und dass mehr Offenheit passieren müsste.
Und vor allem, ein viel größerer Austausch unter Jugendlichen, zwischen Universitäten, das ist wichtig, dass die junge Generation nicht ideologisch konfrontativ bei uns aufwächst, sondern mit einem großen Gefühl auch für das Russische, ich hätte beinahe gesagt für die russische Seele, denn umgekehrt gibt es natürlich auch viel Verständnis in Russland gegenüber uns. Aber natürlich auch: Ein Land im Niedergang, Zusammenbruch des Sowjetimperiums, da ist natürlich klar, dass dann die Befindlichkeiten eines Landes größer sind. Und Putin personifiziert das selbst, nicht immer auf angenehme Weise, um es mal zurückhaltend zu sagen, aber wir bekommen keine neue europäische Friedensordnung, solange Russland außen vor ist. Und Teltschiks Plädoyer ist eben, dass wir hier weniger selbstgerecht auf die Russen zugehen müssen.
Deutschland müsste sich an Mission am Golf beteiligen
Barenberg: Herr Hacke, ich möchte noch einmal kurz auf die deutsche Verantwortung zu sprechen kommen, die ja auch in einem anderen Konflikt gerade zur Debatte steht, in der Konfrontation mit dem Iran am Golf, in der Straße von Hormus. Nun lehnt die Bundesregierung es ja ab, sich an die Seite der USA zu stellen und an einer Mission am Golf zu beteiligen. Wird Deutschland damit seiner Verantwortung gerecht?
Hacke: Überhaupt nicht. Das ist eine der katastrophalsten Entwicklungen, die ich jetzt in den letzten Monaten oder Jahren beobachtet habe. Ich hätte eigentlich eine selbstverständliche Antwort erwartet, ja, als verantwortungsbewusster Partner, als Weltwirtschaftsmacht, als Exportweltmeister wissen wir, wie wichtig es ist, die Freiheit der Meere zu schützen.
Barenberg: Auch an der Seite eines Staates und eines US-Präsidenten, der Öl ins Feuer gießt und eine Politik des maximalen Drucks verfolgt? Das ist ja das Argument.
Hacke: Immer mit der Ruhe. Hier ist der Fehler nicht nur bei Trump. Natürlich hat er hier entsprechend deutliche Worte geäußert, aber das Problem liegt beim Iran, das müssen wir sagen. Der Iran hat auch bei dem Atomabkommen sich nicht besser verhalten, es hat lediglich seinen Nuklearstatus, den es in Monaten oder in Jahren erreichen könnte, hat hier seine weiteren Forschungen eingestellt, ist dazu gezwungen worden, hat aber geostrategisch und geopolitisch alles getan, um im Übrigen auch das Geld dort zu nutzen, seinen Einfluss im Libanon und bei Hamas und Hisbollah und in Syrien zu verstärken.
Also, da hat er den Finger in die Wunde gelegt, nur wir als Deutsche haben natürlich inzwischen, das muss man ganz klar sagen, eine Trump-Hysterie entwickelt. Der Mann ist schwierig, er ist hochproblematisch im Charakter und in der Außenpolitik, aber die Kunst der Diplomatie besteht nicht in plumper Vereinfachung. Stichwort, Herr Mützenich meint, öffentlich Trump als Rassisten zu bezeichnen – das ist ja übrigens richtig, aber es ist undiplomatisch. Die Kunst der Diplomatie besteht nicht in plumper Vereinfachung und jemanden herauszufordern und widerborstige Politiker wie Trump unnütz gegen sich aufzubringen, sondern sie besteht darin, eben klug zu unterscheiden, wo man ihm selbstbewusst entgegentreten muss und wo kluge Anpassung vielleicht auch mal nötig ist.
Deutschlands "Trittbrettfahrer-Mentalität"
Wir haben nichts dazu getan, einmal deutlich zu erklären, dass er zum Beispiel mit der Forderung, dass wir in Richtung zwei Prozent beim Nato-Beitrag… Da hätten wir mal sagen können, ja, das ist richtig, und wir sind nicht gleich dankbar, aber hier muss man würdigen, dass unsere Trittbrettfahrer-Mentalität mal öffentlich klargemacht wurde und er das klargelegt hat. Er hat außerdem, wenn ich das sagen darf, die Macht. Er ist der mächtigste Mann der Welt, er kann mit einem Fingerzeig die Sicherheitslage Deutschlands dramatisch verändern, weil er eben militärische Fragen und Probleme mit Handelspolitik verknüpft. Ich bin gespannt, wie der nächste deutsch-amerikanische Handelskonflikt sich entwickelt vor dem Hintergrund von Hormus. Im Nato-Rahmen könnten unangenehme Probleme auftauchen, die Nukleargarantie der USA, die für uns lebenswichtig ist als Nichtnuklearstaat, welche Daumenschrauben wird er dort ansetzen – oder auch bei Nord Streafm.
Also, es ist, was Kissinger früher nannte das Linkage, die Verknüpfung von militärischen mit nichtmilitärischen Fragen, und da spielt er die Vormachtstellung der USA völlig aus gegen uns. Und nicht zufällig sind wir binnen zwei Jahren vom bevorzugten Partner der USA in Europa zum Feind Nummer eins mutiert. Und das liegt nicht nur an Trump, sondern das liegt auch an unserer Unfähigkeit, diplomatisch mit einem problematischen Präsidenten umzugehen.
Barenberg: Danke für die Zeit und für das Gespräch, Herr Hacke!
Hacke: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.