Montag, 29. April 2024

Nahostkonflikt
Iran und Israel: Geschichte einer Erzfeindschaft

Schon seit Jahren bekämpfen sich Israel und der Iran im Verborgenen. Die Eskalation im April führte die beiden stärksten Militärmächte der Region nun an den Rand eines offenen Krieges. Woher rührt die Erzfeindschaft?

21.04.2024
    Demonstranten auf den Strassen von Teheran schwingen iranische Fahnen und verbrennen eine israelische Flagge als Reaktion auf den israelischen Luftschlag auf iranisches Botschaftsglände in Syrien
    Im Iran politisch kultivierter Hass: Demonstranten in Teheran verbrennen eine israelische Flagge. (picture alliance / Middle East Images / Hossein Beris)
    Israel und Iran als Verbündete? Was heute kaum vorstellbar ist, war einst Realität. Iran war nach der Türkei im März 1950 das zweite muslimische Land, das Israel offiziell anerkannte. Unter der Herrschaft des Schahs Mohammad Reza Pahlavi arbeiteten Israel und Iran zusammen. Sie entwickelten Kooperationsprojekte in der Infrastruktur- oder Landwirtschaftspolitik. Israelische Spezialisten bildeten iranische Sicherheitskräfte und Geheimdienstmitarbeiter aus.
    Das ist lange her. Im Frühjahr 2024 stehen beide Länder am Rande eines offenen Krieges. Die jahrzehntelange Feindschaft droht in der Logik von Militärschlag und Gegenschlag zu eskalieren. Experten deuten die Zurückhaltung beider Regierungen nach dem jüngsten, begrenzten Angriff Israels als Versuch, die Lage zu beruhigen. Der Konflikt wird aber weiter bestehen, zu tief sind die Gräben in Sachen Politik und Sicherheit zwischen beiden Ländern des Nahen Ostens.

    Inhalt

    Wie hat sich die Feindschaft zwischen Iran und Israel entwickelt?

    Wendepunkt der iranisch-israelischen Beziehungen ist die islamische Revolution im Iran 1979: Revolutionsführer Ruhollah Chomeini ruft die USA und Israel als Erzfeinde aus. „Das geschah quasi über Nacht und war ein geopolitischer Schlag, ein Schock ohnegleichen“, beschreibt Politikwissenschaftler und Deutsch-Iraner Ali Fathollah-Nejad die Auswirkungen.
    Die Führung in Teheran erkennt das Existenzrecht Israels nicht länger an, vielmehr wird der Kampf gegen Israel zur iranischen Staatsdoktrin. Das zeigt sich zum ersten Mal 1982, als Israel gegen feindliche Gruppierungen im Libanon vorgeht und im Süden des Nachbarlandes einmarschiert, was vor allem die schiitische Minderheit dort stark betrifft.
    Daraufhin erlässt Ajatollah Chomenei eine Fatwa und schickt iranische Revolutionsgarden zur Unterstützung. Die gründen im weiteren Verlauf die schiitische Hisbollah-Miliz, um israelische Truppen zurückzudrängen. Am ebenfalls von Chomenei ins Leben gerufenen "Al-Kuds-Tag" fordern jährlich Demonstranten im Iran und weltweit die Befreiung Jerusalems und wenden sich gegen das Existenzrecht Israels.
    Der Hass des Revolutionsführers hat auch machtpolitische Gründe. Chomenei macht die Unterstützung der Palästinenser und die Feindschaft zu Israel zu zentralen politischen Säulen, weil er für sich und sein Land nach der Vorreiterrolle in der islamischen Welt strebt. Die Palästina-Frage dient ihm dafür als Vehikel. Ohne diese könnte er als Angehöriger der schiitischen Minderheit kaum solche Anerkennung erreichen. An dieser grundsätzlichen Position als „Anwalt der Palästinenser“ hält der Iran bis heute fest.
    Israel wiederum sieht im autoritär geführten Gottesstaat das größte Risiko für die eigene Sicherheit. Iran ist eine starke Militärmacht in der Region, die den jüdischen Staat zusätzlich durch die Unterstützung verschiedener islamistischer Milizen unter Druck setzt. Seit Bekanntwerden des iranischen Atomprogramms 2002 fürchtet die Regierung in Tel Aviv zudem den Aufstieg Irans zu einer Atommacht.

    Wie wird der Konflikt zwischen Iran und Israel seit Jahrzehnten ausgetragen?

    Beide Staaten bekämpfen sich seit langem, allerdings oft im Verborgenen. Der Iran wird beispielsweise mit Terroranschlägen gegen jüdische Einrichtungen in Verbindung gebracht. In den 1990ern sterben insgesamt 114 Menschen bei zwei Bombenexplosionen in einem jüdischen Gemeindezentrum in Buenos Aires. Das Regime in Teheran versucht außerdem Israels Sicherheit über „Stellvertreter“ zu untergraben. Unter dem Begriff „Achse des Widerstands“ stattet der Iran verschiedene Gruppierungen in der Region mit Waffen aus - darunter die Hamas und den Islamischen Dschihad im Gazastreifen, die Hisbollah im Libanon aber auch die reguläre syrische Armee von Machthaber Assad.
    Israel wiederum bekämpft den iranischen Einfluss mit verschiedenen Mitteln. Dazu zählen Luftangriffe auf Stellungen pro-iranischer Gruppen im Libanon, Syrien und dem Irak. 2007 zerstörten israelische Jets einen mutmaßlichen Atomreaktor im syrischen Deir Al-Sor, der mit dem iranischen Atomprogramm in Verbindung gebracht wurde. Israels Auslandsgeheimdienst Mossad soll für die gezielte Tötung mehrerer iranischer Wissenschaftler verantwortlich sein. Mit einem den USA und Israel zugeschriebenen Cyberangriff zerstörte das Computervirus „Stuxnet“ Zentrifugen zur Urananreicherung in der iranischen Forschungsanlage Natans.
    Einzige Ausnahme der anhaltenden Auseinandersetzungen: Zu Zeiten des Iran-Irak-Krieges bezieht der Iran über geheime Kanäle Waffen aus Israel.

    Wie steht die Bevölkerung beider Länder diesem Konflikt gegenüber?

    Offenbar sind sowohl Israelis als auch die Menschen im Iran skeptisch, was einen Waffengang gegen den jeweils anderen angeht. Laut einer Umfrage der Hebräischen Universität in Jerusalem waren 52 Prozent der Befragten in Israel gegen einen Vergeltungsangriff nach der Großattacke mit Hunderten Drohnen und Raketen durch den Iran. Das habe, so Nahost-Experte Jan Busse von der Bundeswehr-Universität in München, „die zurückhaltende militärische Reaktion Israel mit bedingt“. Die Sorge vor einer weiteren Eskalation sei in der Bevölkerung gegeben, ist sich Busse sicher.
    Gleiches gilt nach der Beobachtung von Nahost-Korrespondent Uwe Lueb für die Mehrheit der Menschen im Iran. Zwar habe es staatlich organisierte Jubelfeiern anlässlich der Attacke auf Israel gegeben, die Anzahl der Teilnehmenden blieb aber vergleichsweise gering. Die Mehrheit stünde nicht hinter dem Regime. Dagegen hätten viele Bürger Supermärkte und Tankstellen aufgesucht, um sich mit Vorräten einzudecken – aus Sorge vor einem länger andauernden Waffengang.

    Wie könnte dieser Konflikt beruhigt oder beigelegt werden?

    Die Lage ist seit April 2024 brisant, weil beide Länder früher geltende rote Linien überschritten haben. Israel mit dem Beschuss des iranischen Botschaftsgeländes in Damaskus, Iran wiederum mit dem direkten Luftangriff auf Israel. Erster Schritt zur Deeskalation wäre demnach eine Rückkehr zum Zustand vor diesen Attacken. Dass der Iran seinen Drohnenangriff vorher ankündigte und Israels Reaktion sehr begrenzt ausfiel, ist als Zeichen zu werten, dass beide Staaten eine weitere Eskalation vermeiden wollen.
    Ein nächster Schritt müsste nach Ansicht von Cornelius Adebahr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik die Befriedung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern sein. Ein Waffenstillstand, die Geiselbefreiung und längerfristig eine Rückkehr zu einem Friedensprozess mit einer klaren Perspektive für einen palästinensischen Staat. „Wenn das gelänge, würde der Iran ein wichtiges Thema verlieren, mit dem er sich Freunde in der Region macht“, sagte Adebahr in dem Podcast "Streit und Strategie" des NDR. Die Feindschaft zu Israel verlöre in der Folge an Bedeutung und die Kräfte im Iran, die dieser Konfrontation ohnehin skeptisch gegenüberstehen, könnten dann eine substanzielle Veränderung des politischen Kurses erreichen.
    Die durch den Gazakrieg unterbrochene Annäherung zwischen Israel und den arabischen Ländern, allen voran Saudi-Arabien, ist ein weiterer Schlüssel für eine stabile Sicherheitslage im Nahen Osten.

    jk