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Fußball in Israel
Vielfalt bis zu einem gewissen Grad

Rund 20 Prozent der Israelis sind arabischer Herkunft. Im Vergleich zur jüdischen Bevölkerungsmehrheit ist ihre Teilhabe in Bildung oder Jobvergabe jedoch deutlich geringer. Der Fußball aber gilt als Bühne der friedlichen Koexistenz. Doch hinter der Fassade schwelen erhebliche Konflikte.

Von Ronny Blaschke | 19.03.2022
Munas Dabbur (li.), Taleb Tawatha, Beram Kayal vor einem Spiel der israelischen Nationalmannschaft.
Munas Dabbur (li.), Taleb Tawatha, Beram Kayal vor einem Spiel der israelischen Nationalmannschaft. (dpa / picture alliance / Ahmad Mora )
Im vergangenen September gewann das israelische Nationalteam gegen Österreich 5:2. Doch im Sammy-Ofer-Stadion von Haifa buhten und schimpften Fans gegen einen ihrer eigenen Torschützen, gegen Munas Dabbur.
Die Feindseligkeit hat ihre Wurzeln im Mai 2021. Abermals war es zu Kämpfen zwischen Israelis und Palästinensern gekommen. Die israelische Regierung startete eine Militäraktion im Gazastreifen, die radikalislamische Hamas feuerte Raketen auf Israel. Munas Dabbur veröffentlichte ein Foto der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem, dazu ein Zitat aus dem Koran:
"Denkt nicht, dass Gott die Taten der bösen Menschen ignorieren wird. Er wird ihr Urteil nur aufschieben bis zu dem Tag, an dem der Blick eingefroren ist."

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Ausschluss aus dem Nationalteam gefordert

Munas Dabbur von der TSG Hoffenheim gilt im israelischen Nationalteam als einer der erfolgreichsten Spieler arabischer Herkunft. Nationalistische Gruppen werteten seine Äußerung als Unterstützung für die Hamas. Die rechtsextreme Fangruppe „La Familia“ aus dem Umfeld des Fußballklubs Beitar Jerusalem mobilisierte für Angriffe auf Araber, berichtet der Journalist Yossi Medina vom Internetmedium Babagol.
„Die Reaktionen verdeutlichen die Polarisierung in der israelischen Gesellschaft. Munas Dabbur erhielt Unterstützung von anderen arabischen Spielern, doch von vielen jüdischen Fans und Funktionären wurde er scharf kritisiert. Einige Parlamentsmitglieder forderten seinen Ausschluss aus dem Nationalteam.“

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Der Konflikt schwelt seit langem

Der Konflikt schwelt seit langem: Das Nationalstaatsgesetz von 2018 erklärte Israel zur "nationalen Heimstätte des jüdischen Volkes" und Hebräisch zur alleinigen Nationalsprache. Im israelischen Fußball jedoch ist die Zahl arabisch geprägter Teams stark gestiegen. In der Startelf des Nationalteams stehen mitunter fünf oder sechs arabische Spieler, sagt der Soziologe Tamir Sorek, doch er bleibt skeptisch.
"In der liberalen jüdischen Öffentlichkeit gibt es einen Trend: Die Leute freuen sich über erfolgreiche Araber, allerdings nur bis zu einem gewissen Grad. In ihren Augen wirkt ein arabischer Nationalspieler weniger bedrohlich als ein arabischer Verteidigungsminister. Im Fußball können sich die Menschen einreden, wie gleichberechtigt Israel ist. Doch wenn arabische Spieler das System kritisieren, ist es mit der Toleranz vorbei.“
Deutschland und Israel: "Der Fußball stärkte die menschlichen Beziehungen"

Fußball als verkapptes Kontrollinstrument

Für Tamir Sorek ist Fußball in Israel auch ein verkapptes Kontrollinstrument von der Mehrheit über die Minderheit – und zwar seit Jahrzehnten. Es war die Gründung Israels 1948 und der Unabhängigkeitskrieg gegen arabische Nachbarstaaten, die die aufblühende Sportkultur der Palästinenser stoppten.
"In den späten Fünfziger Jahren bremsten die israelischen Behörden die Gründung arabischer Fußballteams. Sie befürchteten bei diesem Teamsport eine Mobilisierung von jungen Männern gegen den Staat."
Rifaat Turk war der erste Araber in der israelischen Fußballnationalmannschaft.
Rifaat Turk war der erste Araber in der israelischen Fußballnationalmannschaft. (dpa / picture alliance )
Erst 1976 schaffte es zum ersten Mal ein arabischer Spieler in die israelische Auswahl. Rifaat Turk war ein Vorbild für viele Jugendliche, die durch Fußball den sozialen Aufstieg anstrebten.Doch es gab Rückschläge, etwa während der Gewaltausbrüche zwischen Palästinensern und Israelis Anfang des Jahrtausends. Fußballspiele in arabischen Dörfern Israels wurden abgesagt. Am 18. Mai 2004 stürmten israelische Truppen ein Flüchtlingslager im Gazastreifen, weil sie dort Terroristen vermuteten.
Nahostkonflikt - Konfrontation auch im Fußball

Kompliziertes Miteinander

An jenem Tag gewann der FC Bnei Sachnin aus dem Norden Israels als erster arabischer Klub den nationalen Pokal. Der israelische Premierminister Ariel Scharon deutete den Sieg als Symbol für Vielfalt. Und auch Jassir Arafat, Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, meldete sich zu Wort, erinnert der israelische Historiker Moshe Zimmermann.
„Für Arafat, das war noch kurz, bevor er starb, war es selbstverständlich ein Erfolg. Und er zeigte sich dadurch als Beschützer. Nicht der Palästinenser in den besetzten Gebieten, sondern auch in Israel selbst.“
Israels diplomatische Beziehungen im Fußball - Wahlkampf auf der Ehrentribüne
Abbas Suan, der Kapitän des arabischen Klubs Bnei Sachnin, schaffte es ins israelische Nationalteam. Wie andere Muslime wollte Suan nicht die israelische Hymne „Hatikwa“ mitsingen, da darin nur das Jüdische betont werde. Viele jüdische Nationalisten fühlten sich dadurch provoziert, sagt Moshe Zimmermann.
„Das Publikum, das die Stadien in Israel besucht, ist eher national gesinnt. Viele in Israel wären begeistert, wenn die israelische Mannschaft eine rein jüdische Mannschaft wäre.“
Arabische Nationalspieler äußern selten zu politischen Themen. Munas Dabbur hat es 2021 getan. Er wurde zu einer Entschuldigung gedrängt – und hält sich seitdem zurück.