Dienstag, 19. März 2024

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Italien
"Salvini könnte die Regierung aufkündigen"

Die rechtspopulistische Lega in Italien ist in Umfragen derzeit stärkste Kraft. Das könnte nach der Europawahl zu Veränderungen führen, sagte der Politologe Jan Labitzke im Dlf. Möglicherweise werde Innenminister Matteo Salvini Neuwahlen anstreben, um selbst die Regierungsführung zu übernehmen.

Jan Labitzke im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 18.05.2019
Der italienische Innenminister Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Partei Lega.
Der italienische Innenminister Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Partei Lega gibt in der Regierung den Ton an (dpa / picture alliance / Leon Tanguy / MAXPPP)
Jürgen Zurheide: Um 6:48 Uhr spielt noch einmal die Europawahl hier eine Rolle. Die Rechtspopulisten wollen wir uns jetzt etwas genauer anschauen, oder um es zu präzisieren: die Rechtspopulisten in Italien. Dort treffen sich heute eine ganze Reihe von Rechtspopulisten in Mailand bei einer Wahlveranstaltung, und der große Star, wenn man das so sagen darf, ist der italienische Innenminister Matteo Salvini. Der versammelt dort Menschen aus der AfD, der Rassemblement National und aus Österreich der FPÖ.
Wir wollen fragen, was passiert denn eigentlich in Italien, in diesem Land, sowohl politisch, aber eben auch wirtschaftlich. Darüber wollen wir reden mit dem Politologen Jan Labitzke der Universität Gießen, den ich jetzt herzlich begrüße. Guten Morgen, Herr Labitzke!
Jan Labitzke: Guten Morgen!
Zurheide: Fangen wir mal an mit Salvini. Er versucht ja, die Rechten der europäischen Rechten zu sammeln. Was steckt dahinter?
Labitzke: Das hat er ja schon länger angekündigt, dass er genauso einen rechten Zusammenschluss plant, um die EU grundlegend umzugestalten in seinem Sinne beziehungsweise auch im Sinne seiner Partner. Die Frage ist nur tatsächlich, inwieweit ist das Ganze erfolgsversprechend beziehungsweise auf Dauer ausgelegt, weil es ja innerhalb dieses geplanten oder jetzt entstehenden Bündnisses durchaus auch große Spannungsverhältnisse gibt.
Zurheide: Es gibt ja den Grundwiderspruch: Auf der einen Seite sagt da jeder, ich will es nicht so ganz direkt sagen, aber wie der amerikanische Präsident, die eigenen Länder immer zuerst und die Zusammenschlüsse nicht. Ist das so einer der Widersprüche?
Labitzke: Das ist sicherlich einer der Widersprüche, aber es ist auch noch wesentlich konkreter. Wenn man sich zum Beispiel anschaut, dass Salvinis Lega ja eine sehr russlandfreundliche Politik betreibt und diese Russlandfreundlichkeit ja eher bei den osteuropäischen angedachten Partnern wahrscheinlich nicht auf so eine große Gegenliebe stoßen wird; oder es gibt auch wirtschaftliche Widersprüche, dass Salvini jetzt versucht, Politik zu machen in Italien, wie man da auch massiv die Neuverschuldung ausweitet, was sicherlich bei Partner wie der FPÖ oder der AfD nicht auf Gegenliebe stoßen wird aus dem Bedenken heraus, dass da vielleicht ein neuer Unterstützungsfall Italien entstehen könnte; oder in der Migrationsfrage, wo die Lega in Italien ja ganz klar dafür plädiert, Migrantinnen und Migranten, die in Italien ankommen, in andere europäische Länder umzuverteilen, was bei Orban, aber auch bei der FPÖ oder der AfD sicherlich auch nicht wirklich Begeisterung auslösen wird.
"Wobei der Höhenflug der Lega im Moment zumindest gestoppt scheint"
Zurheide: Also viele Widersprüche, die man aber auch im Inneren sehen kann. Schauen wir jetzt dahin. In Italien selbst ist Salvini damit recht erfolgreich. Die Umfragen, wenn man ihnen denn glauben darf, zeigen, dass sich die Machtverhältnisse in der Koalition in Italien verändert haben. Die Fünf Sterne lagen vorne, Salvini war der Juniorpartner. Das scheint sich jetzt umgedreht zu haben. Warum ist das so?
Labitzke: Das hat sich jetzt schon seit Längerem umgedreht, wobei der Höhenflug der Lega im Moment zumindest gestoppt scheint, aber sie liegt jetzt tatsächlich bei über 30 Prozent in den Umfragen, während sie ja bei den Wahlen vor allem noch etwa 17 Prozent geholt hat.
Das liegt daran, dass Salvini tatsächlich es vermocht hat, in der Regierung den Ton anzugeben, sich dazu profilieren, gerade auch über das Migrationsthema, aber auch über seine teils sehr schrillen EU-feindlichen Töne und damit auch andere Protagonisten der Regierung, wie seinen Koalitionspartner oder den eigentlichen Regierungschef, in den Hintergrund hat treten lassen.
Zurheide: Kommen wir zur Wirtschaftspolitik. Da gibt es so eine Analogie, die man immer wieder sieht. Auf der einen Seite, Herr Salvini äußert sich, und danach steigen dann die Zinsen, was für den italienischen Haushalt immer ziemlich teuer ist. Für den Wahlkämpfer ist das erfolgreich. Wieso merken die Menschen sowas nicht?
Labitzke: Das wird durchaus gemerkt, aber natürlich diese steigenden Zinsen, bis die bei der Bevölkerung ankommen, das dauert ein bisschen. Wir haben ja durchaus auch auf- und abgehende Zinsen. Es wird dadurch überlagert, dass Salvini in seiner Rhetorik sehr barsch auftritt und sagt, die Zinsen sind mir egal, als erstes kommen die Italienerinnen und Italiener und deren Wohlergehen. Das scheint anzukommen, auch wenn das wahrscheinlich eine sehr kurzfristige Strategie ist.
Zurheide: Die Frage ist ja immer, wie lange kann sowas gutgehen, denn das Grundproblem der italienischen Wirtschaft, zumindest, wenn ich das hier von außen so beurteilen darf, ist ja das mangelnde Wachstum. Man hatte zumindest unter der alten Regierung wieder ein ganz klein bisschen Wind unter die Flügel bekommen. Das hat sich jetzt völlig verändert. Man ist bei einem nicht null, aber plus null-Komma-eins war, glaube ich, die letzte Zahl. Das reicht einfach nicht aus, oder?
Labitzke: Ja, also im letzten Oktober, als man den Haushalt aufgestellt hat, ist man noch von 1,5 Prozent Wachstum für 2019 ausgegangen, jetzt liegt es um die null Prozent. Die OECD sagt sogar einen leichten Wirtschaftsrückgang, und das hat natürlich auch zu tun mit der Verunsicherung einerseits, die durch die neue Regierung entstanden ist und ja auch immer aktiv gesät wird. Wir hatten eben gerade über Salvinis Äußerungen geredet, die die Zinsen steigen lassen. Das hat aber auch damit zu tun, dass es bisher keine richtige kohärente Wirtschaftspolitik gibt, die tatsächlich das Wachstum ankurbeln könnte.
"Die wirtschaftliche Eintrübung ist nicht nur Italien selbst geschuldet"
Zurheide: Auf der anderen Seite kann man ja sagen, dass die internationale Medizin, die dann oft im Kürzen steht und die bestimmte soziale Folgen hat, die die Menschen nicht gerne ertragen, dass das auch am Ende nicht erfolgreich war. Wie kommt man aus diesem Dilemma raus, oder muss man die Wirtschaftspolitik ändern?
Labitzke: Ja, also die sozialen Folgen, die diverse Sparpakete und die Finanzkrise am Anfang hinterlassen haben, die waren ja letztendlich auch ausschlaggebend dafür, dass diese Regierung überhaupt ins Amt gekommen ist, eine Mehrheit bekommen hat. Das ist ja die große Frustration in der italienischen Bevölkerung über die wirtschaftliche und die damit zusammenhängende soziale Lage, wenn man denkt, immer noch beträgt die Arbeitslosigkeit über zehn Prozent in Italien. In Süditalien sind es eher 20 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt um die 30 Prozent, in Süditalien eher um 50 Prozent.
Tatsächlich ist die Frage, wie kommt man da raus. Es gibt verschiedene Ansätze, die jetzt die Regierung verfolgen wird, die sind aber durchaus von ihrem politischen Ansatz eher widersprüchlich. Einerseits gibt es jetzt seit dem ersten Mai dieses sogenannte Bürgergeld, also sowas in etwa wie unsere Hartz-IV-Absicherung, die vor allem armen Menschen, arbeitslosen Menschen in Italien und vor allem Süditalien zugutekommen wird und vielleicht dort die Binnenkonjunktur anregen wird. Andererseits sind jetzt andere eher angebotsorientierte Politikansätze geplant durch so eine Flattax, eine Steuererleichterung, die aber auch finanziert werden müssen.
Zurheide: Wenn Sie jetzt einen Strich unter diese Art von Wirtschaftspolitik ziehen sollen, sagen Sie, das kann auch im Sinne der Italienerinnen und Italiener zum Erfolg führen, oder muss man sagen, die sind jetzt schon gescheitert?
Labitzke: Na ja, man sieht ja … Also natürlich ist die wirtschaftliche Eintrübung nicht nur Italien selbst geschuldet. Wir haben ja insgesamt eine Eintrübung der weltwirtschaftlichen Lage zu beobachten, unter der ja auch Deutschland jetzt leidet, natürlich wesentlich weniger stark als Italien, aber das verstärkt die Effekte in Italien noch.
Was sicherlich notwendiger wäre als Aufgaben, die zum Beispiel für ein Frühverrentungsprogramm jetzt eingeplant sind, wären Ausgaben zum Beispiel in Infrastrukturmaßnahmen, in Ausgaben für Forschung und Entwicklung, um damit dann auch die Produktivität und Konkurrenzfähigkeit der italienischen Wirtschaft wieder zu verbessern, langfristig zu verbessern.
"Inneren Widersprüche zu groß"
Zurheide: Nur da gibt es dann zwischen der Koalition auch wieder heftige Widerstände oder divergierende Ansichten. Die Fünf Sterne sind zum Beispiel gegen Eisenbahnverbindungen. Da könnte ja investiert werden. Da sind wieder die inneren Widersprüche zu groß, oder wie ist das?
Labitzke: Da sind tatsächlich die inneren Widersprüche zu groß. Die Fünf-Sterne-Bewegung haben tatsächlich auch ihren Ursprung in Bürgerbewegungen, die sich gegen große Infrastrukturprojekte zur Wehr gesetzt haben, und da jetzt einen anderen Kurs einzuschlagen, fällt ihnen natürlich schwer, wenn sie sowieso schon unter einem großen Einbruch ihrer Beliebtheit in den Umfragewerten zu leiden haben. Da ist dann wieder eher Salvini die treibende Kraft.
Er sagt, wir müssen in die Infrastruktur investieren, um die Wirtschaft zu beleben, aber da sieht man, dass es durchaus eine Koalition von zwei sehr ungleichen Partnern ist, die da zusammengefunden hat und die jetzt auch immer mehr auf der Kippe steht in den letzten Wochen und Monaten.
Zurheide: Aber Sie haben auch gerade gesagt, dass die Methode Salvini an Ihre Grenzen stößt. Ist das ein Hoffnungswert, wenn man das so sagen darf? Wie bewerten Sie das?
Labitzke: Also sie stößt insofern an ihre Grenzen, dass natürlich diese pauschale Aussage, wir kümmern uns nicht um den Spread, und was die Finanzmärkte machen ist uns egal, uns geht es um die Bevölkerung, dass das vielleicht in den Augen oder in den Ohren von vielen gut klingen mag, aber es ist natürlich eine Art von Realitätsverweigerung. Dass der Spread so hochgeht führt ja dazu, dass dem italienischen Haushalt ständig neue Milliarden fehlen, die an neuen Zinszahlungen zu erbringen sind, und da stößt das Ganze an seine Grenzen.
Wo es noch nicht an seine Grenzen stößt im Moment sind die Wählerumfragen, wo die Lega, wie gesagt, jetzt über 30 Prozent liegt, die die mit Abstand stärkste Partei in den Umfragen ist, was ja Salvini dann auch vielleicht nach den Europawahlen jetzt Ende Mai dazu bewegen kann, die Regierung vielleicht aufzukündigen, Neuwahlen anzustreben und dann eine rechte Regierung in Italien zu bilden unter seiner Führung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.