„An unsere guten und treuen Untertanen! Nach gründlichem Nachdenken über die allgemeinen Entwicklungen in der Welt und die aktuellen Umstände in unserem Reich, haben wir beschlossen, eine Einigung über die derzeitige Situation herbeizuführen, indem wir eine ungewöhnliche Maßnahme ergreifen.“
Es war eine surreal anmutende Ansprache, die am 15. August 1945 durch die Radioapparate Japans tönte. Wer sprach da? Weite Teile der Bevölkerung hatten die Stimme ihres Kaisers noch nie gehört. Und zu jedem Zeitpunkt des Zweiten Weltkrieges hatte es offiziell geheißen, Japan werde bis zum letzten Mann kämpfen.
Kapitulation nach Hiroshima und Nagasaki
Die Worte Hirohitos sagten nun das Gegenteil. Wenige Tage zuvor hatten die USA das längst darniederliegende Kaiserreich mit zwei verheerenden Atombombenangriffen auf Hiroshima und Nagasaki endgültig in die Knie gezwungen. Dann ergriff der Tenno die Initiative und verkündete die Kapitulation:
„Unter dem Diktat der Zeit und des Schicksals, haben wir beschlossen, allen zukünftigen Generationen den Weg zu einem großen Frieden zu bereiten, indem wir das nicht Erduldbare erdulden und das Unerträgliche ertragen.“
Der Kaiser als Gott
Inmitten militärischer Ausweglosigkeit gab sich Hirohito plötzlich als Pazifist. Es war eine 180-Grad-Wende in seiner Biografie. Als Heranwachsender durchlief er eine strenge militärische Erziehung. Japan war zu Anfang des 20. Jahrhunderts getrieben von Expansionsplänen. Und der Kaiser war nicht nur Staatsoberhaupt. In der Staatsreligion Shinto, die Japan die Herrscherrolle über ganz Asien zusprach, galt der Tenno als Gottheit.
Regent im Hintergrund
Für den schüchternen Hirohito kommen die großen Aufgaben unverhofft früh. Sein mental erkrankter Vater muss sich zurückziehen. Am 25. November 1921 übernimmt Kronprinz Hirohito als 20-Jähriger die Regierungsgeschäfte, hat den Oberbefehl über das Militär, wird der mächtigste Mann im Staat. Knapp zwei Jahre später, im September 1923, die erste Katastrophe: Die Region um Tokio wird von einem historischen Erdbeben erschüttert.
„Es war Mittagszeit und die Haushalte brauchten Strom zum Kochen, als das Beben begann. Während der folgenden drei Tage brannte die Stadt ab. 96.000 Gebäude wurden zerstört und 99.000 Menschen getötet.“
Hirohito selbst bleibt im Palast im Zentrum von Tokio unbeschadet. Aber das politische Klima wird im ganzen Land rauer. Hetze oder Gewalt gegen Andersdenkende und Minderheiten werden zum Tagesgeschäft. Dafür wird auch Hirohito verantwortlich gemacht. Einen hierdurch motivierten kommunistischen Anschlag überlebt Hirohito.
Als sein Vater Yoshihito schließlich 1926 an einer Lungenerkrankung stirbt, wird Hirohito offiziell Kaiser. Er regiert im Hintergrund. Und lässt sein Militär weiter aufrüsten. 1931 beginnt Hirohito einen Krieg in China, sechs Jahre später fallen einem Massaker in Nanking bis zu 300.000 Menschen zum Opfer. Ab 1940 kämpft Japan offiziell an der Seite von Nazi-Deutschland und Mussolini-Italien im Zweiten Weltkrieg.
Treueschwüre auf den Kaiser
„Dies ist euer erster Schritt auf dem Weg in den Krieg. Ich möchte mit euch unserem Kaiser zujubeln. Lang lebe seine Hoheit der Kaiser!“
Diese Ansprache des mächtigen Generals Hideki Tojo gegenüber in den Krieg ziehenden Soldaten stammt von 1943. Aber das einst im ganzen Pazifik expandierende Japan ist schon in die Enge getrieben.
Mit der Kapitulation hätte eigentlich auch die Karriere von Hirohito enden müssen. Aber die siegreichen USA wollen Stabilität im ostasiatischen Land – als Bollwerk gegen den Kommunismus. Also werden die konservativen, kaisertreuen Eliten gestärkt.
Vom Gottkaiser muss Hirohito zum Volkskaiser werden
Die älteste ununterbrochene Erbmonarchie der Welt darf weiterleben. Aber mit der von den USA oktroyierten Nachkriegsverfassung ist Hirohito entmachtet. Vom Gottkaiser muss er zum Volkskaiser werden – eine Zeitenwende. Japan hat nicht nur den Krieg verloren, sondern auch sein göttliches Oberhaupt. Der Kaiser ist jetzt nur noch „Symbol Japans.“
So tourt Hirohito fortan durchs Land, wird zum winkenden Repräsentanten. Ein Wirtschaftsaufschwung in den Nachkriegsjahrzehnten kommt ihm zupass, denn er lenkt von der Kriegsvergangenheit ab.
Insgesamt 62 Jahre sitzt der Tenno auf dem Thron in Tokio. Am 7. Januar 1989 stirbt Hirohito. Erst nach seinem Tod wird die Aufarbeitung der Kriegszeit durch seinen Sohn Akihito zaghaft beginnen.