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100. Todestag des Schriftstellers
Jaroslav Hašek – so wenig brav wie sein Soldat Schwejk

Vor 100 Jahren starb der tschechische Schriftsteller Jaroslav Hašek. Sein Roman "Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk" machte ihn nach dem frühen Tod weltberühmt. Ein Blick auf sein Leben zeigt einen Anarchisten mit Humor und Tiefgang.

Von Vera Schneider |
Der Autor Jaroslav Hašek auf einem undatierten Bild.
Der Autor Jaroslav Hašek starb mit nur 39 Jahren. Um die genaue Todesursache gab und gibt es viele Spekulationen. (picture alliance / dpa / CTK)
Der Pfarrer von Lipnice nad Sázavou hatte am Vorweihnachtsabend des Jahres 1922 nichts zu lachen: Drei Stunden lang intonierte ein Drehorgelspieler vor seinem Fenster immer denselben Trauerchoral. Auftraggeber des Ständchens war der Schriftsteller Jaroslav Hašek, der seit 1921 in der böhmischen Kleinstadt lebte. Seit Wochen schwer krank, fühlte er nun sein Ende nahen. Mit diesem letzten Streich wollte der bekennende „Pfaffenfresser “geistlichen Tröstungsversuchen vorbeugen.

Starb Hašek an Infarkt, Alkohol - oder war es Mord?

Am 3. Januar 1923 stellte Hašeks Arzt bei dem 39-Jährigen Tod durch Herzlähmung fest. Andere Quellen nennen Tuberkulose, Magengeschwüre, Gehirnschlag und – besonders häufig – exzessiven Alkoholkonsum als Ursache. Sogar von Mord durch Vergiften ist die Rede.

In der Satire "Wie ich dem Autor meines Nachrufs begegnete" nahm Hašek das Rätselraten um sein Ableben vorweg:
"Im Verlauf der fünf, sechs Jahre meines Aufenthalts in Russland wurde ich von verschiedenen Organisationen und auch Einzelpersonen mehrmals totgesagt und umgebracht. In mein Vaterland zurückgekehrt, erfuhr ich, dass ich dreimal gehängt, zweimal erschossen und einmal von wilden aufständischen Kirgisen am Kale-Yschela gevierteilt worden war. Schließlich wurde ich dann definitiv bei einer Schlägerei mit betrunkenen Matrosen in einer der Kneipen von Odessa erdolcht.“

Durch ein Romanfragment weltberühmt

Hašek hinterließ rund 1.500 Kurzprosatexte und ein Romanfragment: "Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk", so der Titel der 1926 erschienenen ersten deutschen Übersetzung. Der Pragerdeutsche Autor Max Brod schrieb in seinem Nachruf:

"Dieser brave Soldat Švejk, der mitten in den Greueln des Weltkrieges, im schrägen und horizontalen Regen der Granaten seelenruhig seine Pfeife stopft, ein stilles Lächeln um den klugen Mund – dieser brave Soldat verdient die Palme vor allen Kriegsgegnern."

Anarchist und Hundehändler

Die Schwejk-Figur bietet viel Raum für Interpretationen. Auch die Person des Autors ist nur auf den ersten Blick leicht zugänglich. Vor dem Ersten Weltkrieg vagabundierte er als Anarchist durch die Prager Boheme. Weil er sich in der Redaktion der Zeitschrift „Welt der Tiere“ langweilte, schrieb er über fiktive Tierarten, bis ihn die Erfindung des "Idiotosauriers" seine Stelle kostete. Um seine Stammkneipe zu unterstützen, gründete er die "Partei des gemäßigten Fortschritts im Rahmen des Gesetzes" und sorgte mit ebenso flammenden wie sinnfreien Reden für ein volles Haus.
Wie Schwejk schlug er sich als Hundehändler durch, kam 1915 mit der k. u. k. Armee an die Front und trat – nach einem Intermezzo in der Tschechoslowakischen Legion – zur Roten Armee über.
Doch anders als sein Antiheld fiel er dort durch großes Organisationstalent auf und pries – ausnahmsweise ironiefrei – den Kommunismus, bis er sich von den Bolschewiki desillusioniert abwandte. Aus Russland kam er mit einer neuen Gefährtin zurück und war damit de facto Bigamist, entging aber der Anklage, weil seine in Krasnojarsk geschlossene Ehe vor dem tschechischen Gesetz nicht galt. Seine erste Ehefrau Jarmila Hašková schrieb nach seinem Tod:

"Außerhalb des literarischen Schaffens bestand die Anormalität von Hašeks Seele darin, dass er keinerlei Verantwortungsgefühl besaß. Das war ein Mangel, mit dem er für seine Originalität zahlte. Das Leben gab ihm alle Rippenstöße zurück, und Hašek gierte nahezu krankhaft nach donnerndem Beifall, der übertönen sollte, was in ihm weinte und stöhnte“

Das Geheimnis des Schwejk-Erfolgs?

Neben dem Schwejk-Roman kann heute auch ausgewählte Kurzprosa vom deutschen Publikum in neuer Übersetzung entdeckt werden. Der Schwejk wurde in über 50 Sprachen übertragen, oft verfilmt und für die Bühne adaptiert. Kurt Tucholsky war schon 1926 dem Geheimnis dieses Erfolgs auf der Spur:

"Eine Frage, guter Hašek: Wo wäre Schwejk heute? Die österreichische Militärmonarchie malträtierte ihn nicht mehr. Sie ist dahin. Aber fände er um Prag gar keine Soldaten? Keine Spitzel? Keine Nationaltrottel? Feldkuraten? Oberleutnants? Garnisonarreste? Was meinst Du, Hašek? Du wirst mich richtig verstehen, und in diesem Sinne ruf Schwejk her, hol die Flasche mit dem Nussschnaps und lass uns anstoßen: auf euch beide, Hašek. Auf einen großen Dichter und auf den braven Soldaten Schwejk."