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Journalisten in Afghanistan
Verfolgt und vergessen?

Im Schatten des Krieges in der Ukraine scheinen die Taliban kaum noch Rücksicht auf die Weltöffentlichkeit zu nehmen. Journalistinnen und Journalisten sind laut Reporter ohne Grenzen in akuter Lebensgefahr. Denn seit der Machtübernahme sind mit den Taliban Feinde der Pressefreiheit an der Macht.

Von Marc Thörner | 15.03.2022
In einem Fernsehstudio steht eine Moderatorin, ein Moderator sitzt an einem Tisch. Sie blicken in unterschiedliche Kameras.
Die Journalistinnen und Journalisten des afghanischen Nachrichtensenders Tolo News stehen unter Druck der Taliban. (IMAGO / Le Pictorium)
Verwüstete Zimmer, zerfledderte Schulsachen von Kindern, Bücher und Kleidungsstücke überall verstreut - so sieht es aus nachdem die Taliban Anfang März das Safe House für Journalistinnen und Journalisten mitten im Zentrum von Kabul gestürmt und ausgehoben haben.
Dem Investigativreporter Wahid Khatibi gelang die Flucht nicht rechtzeitig. Den Taliban musste er versprechen, sich ihnen zwei Tage später zu stellen. Sollte er irgendetwas über die Razzia veröffentlichen, dann werde das sein Leben kosten.

Ein Safe House für die Wahrheit

Unweit der gestürmten Unterkunft steht Kommandeur Rahman an einem Checkpoint. Mit seinen Leuten sucht er im Verkehr systematisch nach den Feinden des neuen Islamischen Emirats. "Anzeichen für Widerstand sehen wir nicht", so Rahman. "Der Widerstand ist mit den Ausländern verschwunden. Wir sind mit der Wahrheit. Und wer mit der Wahrheit ist, der kann nicht irren."
Die Wahrheit. Sie war das Ideal all Jener, die samt ihren Familien bis vor kurzem in diesem Safehouse untergetaucht waren. Auch im Versteck recherchierten sie weiter, checkten Fakten, kommunizierten über WhatsApp.

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Der Journalist Mohammed Jan Tamkin hatte bis zum Machtwechsel im August 2021 für eine afghanische Nachrichtenagentur aus den Provinzen berichtet. "Noch Ende März vergewaltigten Taliban in der Jowjzan-Provinz ein 17-jähriges Mädchen namens Aymoma. Sie töteten sie anschließend und erlaubten der Familie nicht, die Leiche zu sehen. Ich habe über Dutzende solcher Menschenrechtsverletzungen durch Taliban und IS geschrieben. Wenn die Taliban oder der IS uns finden, werden sie uns sofort umbringen."

"Medien setzten sich für das Gegenteil von dem ein, was den Taliban vorschwebt"

Die Menschen im Safehouse seien alle im Fadenkreuz der neuen Machthaber, sagt der Radioreporter Bismillah Rahimi. "Seit zwanzig Jahren fühlen sich die Taliban durch alle Journalisten einer negativen Propaganda ausgesetzt. Die Taliban mögen nun einmal das demokratische System nicht. Und Medien, so gut wie alle Journalisten, setzen sich eben für das Gegenteil von dem ein, was den Taliban vorschwebt."
Vorstellungen, dass die in Gefahr seien, die unter der vorigen Regierung in verantwortlichen Positionen arbeiteten oder die für ein anderes Afghanistan stehen hatte die Taliban-Regierung bisher gerne als Propaganda abgetan. "Die Welt sollte uns nicht danach beurteilen, was Medien über uns berichten oder was die Leute über uns daherreden", so Talibansprecher Ahmad Wali Haqmal vom Ministerium für Finanzen. "Wir wurden dargestellt wie Monster. So, als ob der erste Emirat-Anhänger, der Sie sieht, Sie auf der Stelle umbringt. Wir sind offen für den Dialog. Wir hoffen, dass die diplomatischen Vertretungen Deutschlands in Afghanistan wieder geöffnet werden."

Im Schatten des Kriegs in der Ukraine

Doch nun - im Schatten des Ukraine-Krieges - scheint die provisorische Regierung des Islamischen Emirats auf die Weltöffentlichkeit kaum noch Rücksicht zu nehmen. Investigativreporter Wahid Khatibi hatte sich darüber schon vor Wochen keinen Illusionen hingegeben. Er warnte davor, die Taliban-Regierung international anzuerkennen. "Sobald sie als Staat anerkannt sein sollten, werden sie die letzte Zurückhaltung fallen lassen, die sie sich noch auferlegen und ihre Folterungen werden keine Grenzen mehr kennen."
Nach dem Sturm der Taliban haben die Journalisten ihre geschützte Unterkunft verloren. Die meisten verstecken sich mit ihren Familien jetzt irgendwo in den Provinzen als Flüchtlinge im eigenen Land. Wahid Khatibi hat sich den Taliban nicht gestellt. Stattdessen ist er untergetaucht – und sendet seine Berichte weiter übers Netz.