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1872 gestorben
James Gordon Bennett, Begründer des modernen US-Journalismus

James Gordon Bennett ist in Deutschland so gut wie unbekannt - dabei prägte der in Schottland geborene US-amerikanische Zeitungsverleger die Entwicklung der Presse nachhaltig, unter anderem erfand er das Interview als journalistische Darstellungsform. Vor 150 Jahren starb der Eigenbrötler mit Breitenwirkung.

Von Brigitte Baetz | 01.06.2022
Sammelbild von 1887: James Gordon Bennett und der von ihm gegründete "New York Herald"
Sammelbild von 1887: James Gordon Bennett und der von ihm gegründete "New York Herald" (picture alliance / Heritage Art/Heritage Images | Allen & Ginter)

Ich war ein eigensinniger, eigenständiger, entschlossener, selbst-denkender Mensch – von meinen frühesten Tagen an.

Und er ist unbeliebt bei der feinen Gesellschaft, gilt als ungehobelt, kämpferisch und geizig. Doch als der gebürtige Schotte James Gordon Bennett am 1. Juni 1872 in New York stirbt, ist er nicht nur einer der reichsten Männer der USA, sondern auch ihr bis dato erfolgreichster Zeitungsverleger.
Mit 23 war der Sohn aus reicher Familie auf dem Segelschiff eines Freundes in die Vereinigten Staaten emigriert. Niemand hatte allerdings auf ihn gewartet.
Nach Wanderjahren als Korrektor, Übersetzer, Lehrer und freier Publizist wird er Redakteur beim „New York Courier and Enquirer“. Der extrem arbeitssame Bennett scheitert jedoch daran, dass Zeitungen zu dieser Zeit in erster Linie parteinahe Meinungsblätter sind. Die Herausgeber setzen ihn auf die Straße, obwohl er zum Schluss sogar die inhaltliche und geschäftliche Leitung des Blattes innehatte. Er ist ihnen nicht loyal genug.

Der "New York Herald", überparteilich, skrupellos

1835 hat New York knapp über 200.000 Einwohner – und 15 Zeitungen. Mit einem Startkapital von 500 Dollar gründet James Gordon Bennett die 16.: den „New York Herald“. Der Journalist ist zu diesem Zeitpunkt schon fast 40 Jahre alt und hat aus seiner langen Lehrzeit viel gelernt: schneller, vielseitiger und schärfer soll das neue Blatt sein – und unabhängig von Parteien und Einflussgruppen.
Jeden Morgen um 5 Uhr sitzt der Herausgeber an seinem Schreibtisch – einem Brett auf zwei Fässern. Der Mord an der Prostituierten Helen Jewett wird 1836 zum großen Durchbruch. Der Herald schlachtet das Verbrechen auf eine Art aus, die die Welt bisher noch nicht gekannt hat. Mehrere Reporter setzt Bennett auf den Fall an, agitiert öffentlich für den Hauptverdächtigen und schürt den Verdacht, es handele sich um eine Verschwörung von Polizei und Bordellchefin. Dass das Verbrechen nie richtig aufgeklärt wird, schadet dem Erfolg des Herald nicht. Ohnehin steht Bennett im Ruf, eher an einer guten Geschichte als an der Wahrheit interessiert zu sein. Gerichtsreportagen werden ab nun Standard in der amerikanischen Presse wie auch die Skandalberichterstattung.
„Eine Belohnung von 500 Dollar erhält jede hübsche Frau, ob liebliche Witwe oder alleinstehende Näherin, die einem Presbyterianischen Geistlichen eine Falle stellt, damit er in flagranti ertappt werden kann.“
So lässt Bennett in seinem Herald inserieren, für den er auch die journalistische Form des Interviews erfindet. 1839 führt er das erste Exklusiv-Interview mit einem US-Präsidenten - mit Martin van Buren, einem Politiker, der vorher New Yorker Gouverneur gewesen war.

Innovationstreiber für seine Branche

Bennett ist nicht nur rücksichtslos – er ist auch schnell. Seine Nachrichtenflotte, die vor dem Hafen im Atlantik kreuzt, schöpft Neuigkeiten aus Übersee schneller ab als die Konkurrenz.
Bennett ist auch der erste, der eigene Europakorrespondenten einstellt. Er gründet eine Gesellschaftsseite und macht die Sportberichterstattung zum wichtigen Bestandteil der Zeitung. Er drängt die bei ihm inserierenden Händler, ihre Werbung immer wieder zu ändern. Dies wiederum steigert deren Verkauf, was Bennett wiederum mehr Anzeigenkunden bringt. Bennett macht immer Vorkasse. Müßig auch, zu betonen, dass er die technische Revolution der Telegrafie für seine Zwecke nutzen wird, als der Amerikanische Bürgerkrieg ausbricht.
Mehr als 60 Reporter berichten für den New York Herald von den Schlachtfeldern des Krieges. Nach der Ermordung Abraham Lincolns wird James Gordon Bennett dabei mithelfen, den Präsidenten zu einem Märtyrer zu stilisieren. Dessen Gettysburg Address, eine Rede, die bis heute Unterrichtsstoff an amerikanischen Schulen ist, wird von Bennetts Journalisten verbreitet und populär gemacht.

Viel Feind und Ehr'

„Ich brauche weder Freund noch Feind", schreibt Bennett selbst über sich. Über einen Mangel an Feinden muss er sich jedoch nicht beklagen. Wiederholt wird er auf offener Straße attackiert und sogar niedergeschlagen.
Mit 71 Jahren übergibt Bennett das Blatt seinem gleichnamigen Sohn und stirbt sechs Jahre später – ein Außenseiter, der den modernen amerikanischen Journalismus begründete.