Donnerstag, 25. April 2024

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Vor 60 Jahren in Berlin
Grundsteinlegung für den Bau der "Gropiusstadt"

Das Neubauviertel im Süden von Berlin versprach Luxus für Kreuzberger Hinterhof-Bewohner: Wohnungen mit fließend warmem Wasser und Balkon zur Sonnenseite für 50.000 Menschen. Der Grundstein für die „Gropiusstadt“ wurde vor 60 Jahren gelegt.

Von Elske Brault | 07.11.2022
Blick auf die Gropiusstadt, die ursprüngliche Vision des Architekten sah ganz anders aus, der Zuzug zur Stadt machte die Schaffung von deutlich mehr Wohnraum nötig.
Blick auf die Gropiusstadt, wo Christiane F. ("Wir Kinder vom Bahnhof Zoo") viele Jahre ihrer Kindheit und Jugend verbrachte. Die ursprüngliche Vision des Architekten sah ganz anders aus, der Zuzug zur Stadt machte die Schaffung von deutlich mehr Wohnraum nötig. (pa/Jörg Carstensen)
Klötze und Türme. Die Türme sehr hoch, bis zu 30 Etagen, die Klötze mal flach, eher Vorortvillen, dann wieder große Mietbunker mit acht Geschossen und mehreren Treppenaufgängen. Dazwischen viele Bäume und Rasenflächen. Das ist die Gropiusstadt im Südwesten von Berlin. Die Wohnungen sind begehrt, sagen Thorsten Vorberg und Selma Tuzlali vom Quartiersmanagement Gropiusstadt Nord.

„Sie haben alle eben den Balkon als Außenbereich, die sind alle der Sonne zugewandt, und sind offenbar auch gut geschnitten.“
„Und der Blick vom Balkon geht auch meistens ins Grüne.“

Vision einer Stadtskulptur

Architekt Walter Gropius hatte Anfang der 60-er Jahre die Vision einer Stadtskulptur. Vom Flugzeug aus gesehen sollte die neue Siedlung eine Wellenform aufweisen.

„Die Größe der Gebäude wird sein: 2, 4, 8, 14, vielleicht ein paar 17-geschossige Gebäude.“

Parkhäuser an den Außenseiten des neuen Viertels für die Fahrzeuge, großzügige Grünflächen im Inneren für die Spaziergänger sollten dafür sorgen, dass die Autos draußen bleiben und Kinder ungefährdet vor der Haustür spielen können.

„Der Fußgänger ist vom Automobil an die Wand gedrückt worden. Wir haben nicht mehr unser Wegerecht. Ich möchte, dass in diesem neuen Teil von Berlin ganz stark der Fußgänger wieder sein Recht bekommt.“

Mehr Bequemlichkeit, größere Wohnungen

Der in den USA lebende Architekt wollte auch den Deutschen mehr Bequemlichkeit schenken: Die flachen Wohnblöcke auf drei Stockwerke begrenzen, damit Schwangere maximal drei Treppen ohne Aufzug steigen müssen. Mehr größere Wohnungen bauen statt der vom Senat vorgesehenen Zwei-Zimmer-Haushalte.  
Doch beginnt die DDR 1961 mit dem Bau der Mauer. West-Berlin wird eine Insel und der Wohnraum noch knapper.

„Verehrte Anwesende, liebe Berlinerinnen und Berliner. Wir durften den traurigen Ruhm für uns in Anspruch nehmen, die größte Trümmerwüste in diesem Teil der Welt zu sein. Hunderttausende warteten auf eine menschenwürdige Unterkunft, und das Heer der Wohnungssuchenden wurde ständig von neuen Berliner Bürgern, die vor allem aus der Zone der Unfreiheit zu uns kamen, vergrößert.“
Als der Regierende Bürgermeister von Berlin Willy Brandt am 7. November 1962 die Grundsteinlegung feiert, ist Gropius zwar dabei, aber bereits verstimmt: Er soll höher bauen, Platz sparen. Die Großsiedlung Britz-Buckow-Rudow, wie das Viertel ursprünglich heißt, bekommt eine U-Bahn-Anbindung an die Innenstadt, städtisches Flair bekommt sie nicht.

„Fahren wir in das 23. Geschoss des hohen Wohngebäudes am Ende der Ladenstraße und klötern dann noch bis ins 27. Geschoss hoch, weil der Fahrstuhl nicht so weit geht.“

Baugeschichtsprofessor Julius Posener kritisiert die Umsetzung

Julius Posener, Professor für Baugeschichte, nimmt 1969 für die schöne Aussicht von einem der Hochhaustürme zwar Strapazen auf sich: Aber das Panorama-Café mit dem Blick auf Rudows grüne Felder findet er schlicht viel zu klein.

„Denn hier hätte eine Wucht von einem Café hingehört, eins mit Fahrstuhl.“

„Licht, Luft und Langeweile“ spötteln die Berliner Zeitungen über den Mangel an Kneipen. 1975 wird die Trabantenstadt fertig, nach dem Tod des Architekten umbenannt in Gropiusstadt.

„Überall nur Pisse und Kacke. Man muss nur genau hinsehen. Egal wie neu und großzügig von weitem alles aussieht. Mit seinen grünen Rasen und den Einkaufszentren. Aber am meisten stinkts in den Häusern, in den Treppenhäusern.“

Stadtverantwortliche investieren in ein Quartiersmanagement

Nadia Brunckhorst als minderjährige Drogenprostituierte Christiane F. in „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“: Der Film nach der gleichnamigen STERN-Reportage schreckt zu Beginn der achtziger Jahre Berlins Stadtverantwortliche auf. Sie investieren in „Wohnumfeldverbesserungen“, in Jugendclubs und ein Quartiersmanagement.

„Also, in den letzten Jahren sind natürlich auch hier die Mieten gestiegen, es wurde nachverdichtet, es entstanden neue Wohnungen, neue Gebäude, und für fünf Euro den Quadratmeter kriegen Sie hier auch keine Wohnung mehr.“
Sagt Quartiersmanagerin Selma Tuzlali. Kinderarmut bleibe das größte Problem: Aber es wurden auch Spielplätze saniert und neu gebaut, die Grünflächen sind gepflegt, und das Gemeinschaftshaus veranstaltet Konzerte, lädt ein zu Kreativwerkstatt und Seniorenclub oder zur längsten Kaffeetafel Berlins.

„Also ist eigentlich `ne große Familie.“
„Was mich hier hält, sind die Menschen.“