In Deutschland wird keine Energie mehr durch Kernspaltung erzeugt, die letzten drei Atomkraftwerke sind im April 2023 vom Netz gegangen. Manche hoffen allerdings schon auf eine Art Nachfolgetechnologie: die Kernfusion. Diese hat deutlich weniger Risiken als Kernspaltung und könnte zudem mehr Energie herstellen – theoretisch. Denn die Technologie ist noch längst nicht ausgereift.
Was passiert bei einer Kernfusion und was sind die Risiken?
In einem klassischen Kernkraftwerk werden Atomkerne von Uran gespalten, wodurch dann Energie frei wird. Bei der Kernfusion, an der aktuell geforscht wird, ist es genau andersherum: Da verschmelzen kleine Atomkerne zu größeren, wobei dann ebenfalls Energie frei wird. Man imitiert dabei im Grunde den Prozess, der im Inneren der Sonne abläuft. Dort verschmelzen Wasserstoffkerne zu Heliumkernen und das setzt die Energie frei, durch die die Sonne scheint.
Die Kernfusion hat nach dem Stand der Wissenschaft wesentlich weniger Risiken als die Kernkraft. Für den Betrieb wird die radioaktive Wasserstoffvariante Tritium verwendet. Bei einem Unfall könnte dieses Tritium entweichen, das würde aber wesentlich weniger Radioaktivität freisetzen als bei Unfällen in Kernkraftwerken.
Kernfusion hinterlässt zudem deutlich weniger problematischen Müll. Endlager, die Hundertausende von Jahren dichthalten müssen, sind nicht notwendig. Allerdings würden einige Bauteile des Reaktors im Betrieb mit der Zeit radioaktiv und müssten dann für einige hundert Jahre zwischengelagert werden.
Kann man durch Kernfusion bereits Strom herstellen?
Im Dezember 2022 ist der Forschung zu Kernfusion ein Durchbruch gelungen: Ein riesiger Laser hat Wasserstoff zu Helium verschmolzen – und zwar so, dass dabei mehr Energie herauskam, als an Laserenergie hineingesteckt wurde. Eine Weltpremiere für die Kernfusion. Die Laser haben zwei Megajoule Energie auf die Wasserstoffkerne abgegeben, herausgekommen sind dann drei Megajoule.
Das Experiment fand im Forschungsreaktor National Ignition Facility in den USA statt und hat international für Schlagzeilen gesorgt. Allerdings muss man den Erfolg relativieren. Denn positiv war nur die direkte Energiebilanz der Reaktion. Um die zwei Megajoule Energie der Laserstrahlen zu erzeugen, hat es rund 100 Mal mehr Energie gebraucht, als am Ende herauskam. Man ist also noch weit davon entfernt, Energie zu erzeugen.
Markus Roth, Physiker an der TU Darmstadt und Gründer von Focused Energy, einem deutsch-amerikanischen Start-up, das ein Laserfusions-Kraftwerk bauen will, meint, zwei Gigawatt könnte dieser Reaktor leisten. Zum Vergleich: Die abgeschalteten deutschen Kernkraftwerke konnten jeweils etwa 1,5 Gigawatt produzieren.
Auf dem Weg zur erhofften Energiequelle gibt es allerdings noch zahlreiche große Probleme zu lösen. Es müsste gelingen, noch wesentlich mehr Energie aus der Verschmelzung der Kerne herauszuziehen. Und der Prozess müsste in höherer Frequenz wiederholt werden. Der Laser in der US-Forschungseinrichtung kann nur einmal am Tag eingesetzt werden, in einem wirtschaftlichen Kraftwerk müsste er zehnmal pro Sekunde abgefeuert werden. Solche Laser aber müssen erst noch entwickelt werden.
Internationales Forschungsprojekt ITER verzögert sich massiv
Wie schwierig der Weg für die Kernfusion ist, lässt sich am Großprojekt ITER illustrieren. 35 Staaten, darunter die EU-Mitgliedsländer, die USA, Russland und Japan, haben sich zusammengetan, um einen Fusionsreaktor zu bauen, in dem erprobt werden soll, ob durch Fusionsenergie tatsächlich über längere Dauer Strom erzeugt werden kann. 2007 haben die Bauarbeiten nach einer langen Planungsphase begonnen, 2025 sollte der Betrieb ursprünglich losgehen – inzwischen ist von 2035 die Rede.
Denn es gibt gravierende technische Probleme und Baumängel, am Herzstück des Reaktors sind Fehler an den Schweißnähten, wie der ITER-Chefwissenschaftler Alberto Loarte im Juni 2023 bestätigt hat. Für die Reparaturen werde man vermutlich bis zu zwei Jahre brauchen.
Kann Kernfusion die Energieprobleme in Deutschland lösen?
Nein. Kernfusion ist eine Hoffnung für die Zukunft, keine Lösung für heutige Probleme. Experten sprechen von Zeiträumen von 25 bis 35 Jahren bis Kernfusion tatsächlich Energie liefern könnte. Und das ist eine Hoffnung mit vielen Fragezeichen. Ob Kernfusion jemals ein relevanter Energieträger wird, ist nicht absehbar und wird von einigen Experten auch in Frage gestellt.
Für die ferne Zukunft könnten Fusionskraftwerke vielleicht einen Beitrag leisten, allerdings ist Deutschland strukturell nicht auf deren Nutzung ausgelegt. Denn Deutschland setzt aktuell stark auf den Ausbau von Wind- und Sonnenenergie. Da die Sonne nicht immer scheint und der Wind nicht immer weht, braucht es Technologien, um diese sogenannten Dunkelflauten zu überbrücken. Methoden zur Speicherung der Energie gelten hier als Lösung. Fusionskraftwerke nur in Dunkelflauten hochzufahren, wird vermutlich nicht wirtschaftlich sein.
In Ländern wie Japan oder Frankreich, die aktuell auch auf Kernkraftwerke setzen, sieht das anders aus. Hier könnten die Fusionskraftwerke vielleicht irgendwann als Nachfolger eingesetzt werden. Kosten wird man damit allerdings nicht sparen können, schätzt Milena Roveda, die das Kernfusions-Start-up Gauss Fusion leitet: „Langfristig gehen wir davon aus, dass Fusionsenergie genauso viel kosten wird wie Kernspaltung.“
Was unternimmt die Bundesregierung zur Förderung der Kernfusion?
Lange gab die Politik wenig auf die Kernfusion. Doch die Stimmung hat sich gedreht: "Die Fusionsenergie ist eine riesige Chance, dass wir alle unsere Energieprobleme lösen", sagte Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) im Juni 2023 in Berlin.
Der Stimmungswandel hat zwei Gründe. Einer davon ist der Durchbruch in der Grundlagenforschung an der US-Anlage zur Kernfusion mit Lasern. Zum anderen haben sich mittlerweile in Deutschland mehrere Start-ups gegründet. Und die haben Pläne vorgelegt, mit denen sie in zehn bis 15 Jahren Fusionsreaktoren bauen wollen. Viele Fachleute sind bei dieser Zeitplanung allerdings skeptisch. Gleichzeitig ist auch ein Wettlauf entbrannt: Das erste Fusionskraftwerk „soll in Deutschland stehen“, sagte Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger.
Um das zu erreichen, hat das FDP-geführte Forschungsministerium im Jahr 2023 eine Strategie für die Kernfusion aufgesetzt. Über die Bundesagentur für Sprunginnovation fließen in den nächsten fünf Jahren beträchtliche Summen in diese Start-ups, und zwar bis zu 90 Millionen Euro. Mit einer schnellen Nutzbarkeit der Kernfusion seit zwar nicht zu rechnen, aber die Förderung sei durch die riesigen Möglichkeiten der Technologie zu rechtfertigen, meint die wissenschaftliche Direktorin des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik, Sibylle Günter.
"Deutschland ist in einer Pole-Position", sagte Günther. Firmen und Wissenschaft hätten viele der nötigen Technologiebestandteile für einen Reaktorbau. Sie bezeichnete die sogenannte Wendelstein 7-X-Experimentieranlage zur Erforschung der Kernfusionstechnik des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik IPP in Greifswald als "Meilenstein" in der Magnetfusionsforschung. Günther sagte, man wolle die Strategie ändern und für einen Prototyp-Bau nicht mehr auf Erfolge beim Großprojekt ITER warten.
Die deutschen Start-ups klagen allerdings über mangelndes Interesse privater Investoren. „Aus den sechs Milliarden, die in Summe in private Fusionsfirmen weltweit investiert worden sind, sind weniger als zwei Prozent in Firmen innerhalb der EU investiert worden, und über 70 Prozent in Firmen in den USA investiert worden“, sagt Heike Freund, Betriebsleiterin bei Marvel Fusion.
Die Konsequenzen seien bereits sichtbar, sagt Markus Roth, Forschungsleiter von Focused Energy: „Das hat zur Folge, dass viele der Unternehmen, die hier gegründet werden, langsam aber sicher entweder zu amerikanischen oder asiatischen Unternehmen werden.“
Dass der weltweit erste Fusionsreaktor – falls es ihn eines Tages tatsächlich gibt – in Deutschland stehen wird, scheint aus heutiger Sicht nicht unbedingt wahrscheinlich.
pto