Archiv

Fortschritt bei der Kernfusion
US-Forscher melden erstmals Energiegewinn

An einem Militärforschungslabor in Kalifornien ist es gelungen, bei der Verschmelzung von Atomkernen Energie zu gewinnen. Ein Fortschritt mit Symbolwirkung. Der Weg zu kommerziellen Fusionsreaktoren ist aber noch weit.

Frank Grotelüschen im Gespräch mit Sophie Stigler |
Blick in die untere Hemisphäre der Zielkammer der National Ignition Facility, NIF
Blick in die Zielkammer der National Ignition Facility, NIF, wo 192 Laserstrahlen Wasserstoffkerne verschmelzen. (Damien Jemison / Lawrence Livermore National Laboratory)
Die Kernfusion gilt als unerschöpfliche Energiequelle der Zukunft. Bislang aber musste an den riesigen Versuchsanlagen, an denen sie erforscht wird, stets mehr Energie hineingesteckt werden als am Ende wieder herauskam. Dieses Manko haben Forscher in Kalifornien nun erstmals behoben.

Was ist das für ein Forschungsreaktor, der jetzt Schlagzeilen macht?

Er heißt National Ignition Facility, kurz NIF, und steht an einem der großen Militärforschungszentren der USA, dem Lawrence Livermore National Lab in Kalifornien. Es ist eine gigantische Anlage: Eine Halle so groß wie drei Fußballfelder, hoch wie eine Kathedrale. Darin befinden sich knapp 200 Metallröhren, durch die sehr intensive Laserblitze schießen. Die Laserstrahlen zielen auf eine zentimetergroße Kapsel, die mit gefrorenem Wasserstoff gefüllt ist. Sie erzeugen in der Kapsel so viel Hitze und Druck, dass Wasserstoff zu Helium verschmilzt. Also eine Art Wasserstoffbombe im Miniformat.

Wie viel Energie hat man hineingesteckt, wie viel ist herausgekommen?

Hineingesteckt wurden rund zwei Megajoule Laserenergie, herausrausgekommen sind drei Megajoule. Das ist etwa soviel Energie wie man zu sich nimmt, wenn man eine Tafel Schokolade vertilgt. Allerdings muss man das relativieren: Denn um diese Laserstrahlen, die das Kügelchen gezündet haben, zu erzeugen, hat es rund 100 Mal mehr Energie gebraucht als am Ende herauskam. Man ist also noch weit davon entfernt, Energie zu erzeugen. Aber immerhin zeigt das Experiment, dass sich mit der Kernfusion im Prinzip Energie erzeugen lässt.

Was hat zur erfolgreichen Zündung geführt?

Den Fachleuten ist es gelungen, die pfefferkorngroßen Brennstoffkügelchen präziser und mit einer viel glatteren Oberfläche herzustellen. Dann wurde die Leistung der Laser verbessert. Die Fachleute konnten so ein paar Prozent mehr Leistung erzielen. Wichtig war auch die Form der Laserblitze, genauer gesagt ihr zeitlicher Verlauf, also wie sich die Energie in einem Laserblitz über die Zeit verteilt. Auch das wurde optimiert. Und diese Verbesserungen haben zusammen mit anderen Details dafür gesorgt, dass es bei der Fusion erstmals mit der Zündung geklappt hat.

Ist die Aussage vom "Durchbruch bei der Kernfusion" übertrieben?

Es ist ein wichtiger Schritt, aber der Weg zu einem Kraftwerk ist noch sehr weit. Es gilt noch große Probleme zu meistern; zum einen muss die Effizienz deutlich steigen. Das heißt, die Fachleute müssten noch deutlich mehr Fusionsenergie aus einer Brennstoffkapsel herausholen. Damit es sich lohnt, muss es ein Vielfaches der investierten Leistung sein. Markus Roth, Physiker an der TU Darmstadt und Gründer von Focused Energy, einem deutsch-amerikanischen Start-up, das ein Laserfusions-Kraftwerk bauen will, meint, zwei Gigawatt könnte der Reaktor leisten, mehr als ein Atommeiler. Doch die Herausforderungen seien groß. Denn während der Laser an der NIF nur einmal pro Tag feuern kann, müssten die Laser in einem Kraftwerk das zehnmal pro Sekunde schaffen. Solche Laser aber müssen erst noch entwickelt werden.
Und zum anderen: Die Anlage in Kalifornien kann nur eine Kapsel am Tag zünden. Für ein Kraftwerk ist das viel zu wenig. Es müssten mehrere pro Sekunde sein.

Gibt es jetzt auch einen Motivationsschub für Forschende?

Nach jahrzehntelangen Rückschlägen und Verzögerungen bei der Entwicklung der Fusionstechnologie ist es das erste Mal überhaupt, dass eine Fusionsanlage so was geschafft hat. Die Symbolwirkung ist deshalb groß, vergleichbar mit dem ersten Flugzeug, das die Schallmauer durchstoßen hat. Auch wenn der Weg zu einem kommerziellen Fusionskraftwerk noch sehr weit ist, sollte man den psychologischen Effekt eines solchen Symbols nicht unterschätzen.

Werden Fördergelder für die Fusionsforschung bald reichlicher fließen?

Der Erfolg könnte nach sich ziehen, dass in den USA Forschungsprogramme weiter betrieben werden und neue Gelder in die Laserfusion fließen. Zudem gibt es seit einigen Jahren auch eine Reihe von Start-Up-Unternehmen im Bereich Kernfusion, im übrigen auch in Deutschland, zum Beispiel Marvel Fusion aus München, oder Focused Energy aus Darmstadt. Diese wollen innerhalb von zehn bis 15 Jahren erste kommerzielle Laser-Fusionskraftwerke bauen. Das ist zwar ein sehr optimistischer Plan, aber die Erfolgsmeldung aus den USA dürfte diesen Start-Ups bei der Suche nach neuen Investoren helfen.

Kann das Fusions-Experiment auch militärischen Zwecken dienen?

Das Fusions-Experiment ähnelt ein wenig einer Wasserstoffbombe im Miniformat. Dadurch können die Experimente dazu dienen, Waffenexplosionen zu simulieren. Das ist für die USA interessant, weil Kernwaffentests verboten sind. Mit diesen Experimenten lässt sich dann zum Beispiel besser abschätzen, ob das Atomarsenal der USA noch so funktioniert wie man sich das vorstellt.