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Klage wegen Biblis-Abschaltung
Gericht zweifelt an Forderung von RWE

Dämpfer für RWE am ersten Prozesstag: Das Landgericht Essen hält die Schadensersatzforderung des Unternehmens gegenüber der Bundesregierung für zu hoch. Der Konzern will 235 Millionen Euro für Gewinne, die ihm durch die im Zuge des Atomausstiegs beschlossene Stilllegung ihres Kraftwerks Biblis entgangen sind. Doch vor der Festlegung der Summe steht eine viel grundsätzlichere Frage im Raum.

Von Jörg Marksteiner | 17.12.2015
    Zu sehen sind die Reaktoren und Kühltürme des AKW Biblis.
    Das Landgericht Essen hält die Schadensersatzforderung des Unternehmens gegenüber der Bundesregierung für zu hoch. (picture-alliance / dpa / Christoph Schmidt)
    Heute hat der Prozess um die Schadensersatzforderung des Energiekonzerns RWE begonnen. Das Unternehmen fordert 235 Millionen Euro für entgangene Gewinne nach der Abschaltung des Atomkraftwerks Biblis. Das Gericht geht allerdings von einem viel niedrigeren Schaden aus.
    Drei zerstrittene Parteien, 20 Anwälte und viele offene, sehr komplizierte Rechtsfragen: auf alle Beteiligten komme ein langwieriger Prozess zu, sagte der Vorsitzende Richter am ersten Verhandlungstag. Allerdings machte er zwei Dinge schon mal deutlich: So sei die Anordnung zur zwangsweisen Abschaltung des Atommeilers Biblis rechtswidrig gewesen. Daran gibt es für die Kammer wenig Zweifel. Sehr wohl zweifeln die drei Berufsrichter aber offenbar an der Höhe des Schadens, den die Klägerin RWE als Schadensersatz verlangt. Gerichtssprecher Johannes Hidding:
    "Die Klägerin sagt, diese Stilllegung war damals rechtswidrig. Dadurch sind uns Gewinne entgangen, insgesamt 235 Millionen Euro. Das wollen wir jetzt zurück. Einerseits vom Land Hessen, andererseits von der Bundesrepublik."
    Besteht überhaupt ein Haftungsgrund?
    Doch ob es dazu kommt, ist offen. RWE muss wohl neu rechnen. Denn nach Meinung des Gerichts muss auch berücksichtigt werden, ob nach dem Abschalten des Atommeilers in Biblis statt dessen die Braunkohlekraftwerke möglicherweise mehr Strom verkauft haben. Und ob RWE Mehreinnahmen hatte, weil die etwa Kunden höhere Strompreise zahlen mussten.
    Das Gericht geht offenbar von einem geringeren Schaden aus: Der Vorsitzende Richter sagte, bei einem Vergleich hätte er eine Summe von 50 Millionen Euro in den Raum gestellt. Also nur ein Viertel der von RWE verlangten Summe. Doch darauf wollten sich heute weder der Energiekonzern noch der Bund oder das Land Hessen heute einlassen.
    Erst einmal geht es jetzt um weitaus kompliziertere Fragen:
    "Im weiteren Verlauf, so habe ich den Vorsitzenden verstanden, soll erst einmal entschieden werden darüber, ob überhaupt gehaftet wird. Die Schadenshöhe, die dann durch einen Gerichtsgutachter zu klären wäre, die steht dann an zweiter Stelle."
    Wer für einen möglichen Schaden aufkommen muss, das ist die spannende politische Frage hinter diesem Prozess: Hessen spricht von einer Anweisung durch Bundesbeamte, das Land habe keine Wahl gehabt und müsse daher auch nicht zahlen.
    Dagegen sagten die Anwälte des Bundes, sie hätten lediglich eine Anregung geäußert, in dem entsprechenden Schreiben sei das Wort "Bitte" gefallen. Das scheint die Kammer ähnlich zu sehen: "Wer bitte, der wünsche sich etwas", meinte der Richter.
    SPD-Politiker: Anordnung zur Zwangsstilllegung war rechtswidrig
    Bund, Land und RWE wollten sich nach der Verhandlung erst einmal beraten und nichts sagen. Den Prozess verfolgt hat auch der finanzpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion in Hessen, Norbert Schmitt:
    "Wir selbst halten die Klage in der Höhe für nicht berechtigt. Aber dass es überhaupt soweit kommen konnte, das ist ein Versagen der damals zuständigen Bundesregierung und natürlich auch des Landes Hessen, der Hessischen Landesregierung, die völlig leichtfertig und dilettantisch gehandelt hat."
    Jedem Juristen im ersten Semester sei klar gewesen, dass diese Anordnung zur Zwangsstilllegung rechtswidrig gewesen sei.
    Vier Monate haben alle Parteien nun Zeit, schriftlich auf die Ergebnisse der Verhandlung zu reagieren.
    Der Prozess ist nur der Auftakt zu einer ganzen Reihe von Verfahren: Auch Eon und EnbW haben Schadensersatzklagen eingereicht. Insgesamt sind wegen des Atomausstiegs rund 30 Verfahren anhängig. Fachleute schätzen, dass es dabei um rund 10 Milliarden Euro geht. Geld, das im Zweifel aus Steuermitteln gezahlt werden muss.