Dienstag, 14. Mai 2024

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Klimawandel aus medizinischer Sicht
Medizinerin: „Klimaschutz ist eine riesige Chance für unsere Gesundheit“

Ein intaktes Klimasystem sei unabdingbar für unser Wohlbefinden, sagte die Medizinerin Sabine Gabrysch im Dlf. Sie warnt vor lebensgefährlichen Folgeschäden des Klimawandels und betont zugleich eine Chance: „Vieles von dem, was wir für den Klimaschutz umsetzen müssen, ist gleichzeitig gut für die Gesundheit."

Sabine Gabrysch im Gespräch mit Lennart Pyritz | 20.07.2021
Ein Mann trocknet sich bei Hitze den Schweiß von der Stirn.
Hitze sei das Klimawandelphänomen mit der zweifelsfrei größten Auswirkung auf die Gesundheit, sagt Medizinerin Sabine Gabrysch. Sie plädiert für die schnelle Erarbeitung flächendeckender Hitzeaktionspläne (picture alliance/dpa - Sebastian Gollnow)
Extremwetterereignisse könnten unterschiedlichste gesundheitliche Folgen nach sich ziehen, erläuterte die Ärztin und Epidemiologin Sabine Gabrysch. Zu nennen seien einerseits posttraumatische Belastungsstörungen. "In Australien gab es, glaube ich, Langzeitstudien, dass auch nach drei, vier Jahren nach diesen Wald- und Buschfeuern mehr als ein Viertel der Menschen in den stark betroffenen Gebieten unter psychischen Problemen gelitten haben", sagte Gabrysch, die eine Professur für Klimawandel und Gesundheit innehat – eingerichtet von der Berliner Charité und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

Hitze als Folge des Klimawandels

Die Hitze als Folge des Klimawandels habe die größte Auswirkung auf die Gesundheit, sagte Gabrysch und betonte die extreme Belastung für das menschliche Herz-Kreislauf-System. "Das kann bis zum Hitzschlag gehen und erhöhter Sterblichkeit, aber auch einfach, dass man nachts schlechter schläft." Die Behandlung der Klimakrise müsse sehr bald zu einer zentralen Aufgabe des Gesundheitssystems werden, forderte die Wissenschaftlerin. Beispielsweise sei die Erarbeitung flächendeckender Hitzeaktionspläne dringend notwendig.
Aber es gebe auch eine gute Nachricht: "Klimaschutz ist auch gleichzeitig eine riesige Chance für unsere Gesundheit und unser Wohlergehen", betonte Gabrysch. So böten fahrradfreundliche Städte zugleich mehr Bewegungsmöglichkeiten und saubere Luft. Ebenso fördere ein geringer Fleischkonsum sowohl die Gesundheit als auch ein besseres Klima – und obendrein den Schutz der Tiere.
Klimawandel macht Menschen krank
Schon jetzt beeinträchtigt der Klimawandel unsere Gesundheit. Mittlerweile wird auch in Europa der Erreger des West-Nil-Virus durch Mücken übertragen – ein Krankheitserreger, der vor einigen Jahren noch auf tropische Gegenden beschränkt war.

Das Interview im Wortlaut:
Lennart Pyritz: Welche gesundheitlichen Folgen können Ereignisse wie die Überflutung in Deutschland haben, auch wenn die akute Gefahr vorüber ist?
Sabine Gabrysch: Wir haben ja die körperlichen Folgen, aber dann eben auch noch psychische Folgen, dass die Menschen diese schlimmen Erlebnisse verarbeiten müssen, die oft sehr traumatisch sind. Dann kann das auch so posttraumatische Belastungsstörungen geben, auch sehr viel länger noch. In Australien gab es, glaube ich, Langzeitstudien, dass auch nach drei, vier Jahren nach diesen Wald- und Buschfeuern mehr als ein Viertel der Menschen in den stark betroffenen Gebieten unter psychischen Problemen gelitten haben. Eine Doktorandin von mir hat eine Studie in Nordchile durchgeführt, wo auch ganz plötzliche heftige Regenfälle zu einer Schlammlawine geführt haben und sehr viele Häuser zerstört haben, und da war auch das, was am einschlagendsten war für die Gesundheitsfolgen, dass die psychische Belastung während des Ereignisses, aber auch noch über ein Jahr später dann sehr massiv war.
Klimawandel und Gesundheit
Zuletzt sah es so aus, als könnte Bangladesch mit Dämmen und Deichen Zyklonen und Überschwemmungen trotzen. Diese Hoffnung zerrinnt, seit der Klimawandel auch die Gesundheit bedroht.
Pyritz: Ist durch so ein Überflutungsereignis auch mit einer Zunahme von Infektionskrankheiten zu rechnen, zum Beispiel aufgrund von Trinkwasserverunreinigung?
Gabrysch: Ja, das kann vorkommen. Hierzulande überwachen ja die Gesundheitsämter das Trinkwasser laufend, und wenn das dann verunreinigt ist, dann informieren die die Bevölkerung und fordern sie auf, das Trinkwasser abzukochen. In anderen Ländern ist das eher ein größeres Problem, dass dann nach einer Überflutung Durchfallerkrankungen einschließlich Cholera oder so was ausbrechen.

Einer der größten Einflussfaktoren auf die Gesundheit: Hitze

Pyritz: Dieses Jahr gab es außergewöhnlichen Starkregen, der zu den Überflutungen geführt hat, in den vergangenen Sommern hat die große Hitze und Trockenheit für Aufsehen gesorgt, die ja in ihrer Häufung auch mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht wird. Welche Gesundheitsrisiken birgt diese Entwicklung, also zunehmend Hitze und Trockenheit?
Gabrysch: Genau, die Hitze ist natürlich hier in Deutschland mit eines der größten Auswirkungen auf die Gesundheit, und das haben wir alle auch ja gespürt, und bei Hitze, das ist eine extreme Belastung für den Körper, gerade fürs Herz-Kreislauf-System und Menschen, die schon irgendwelche chronischen Erkrankungen haben, oder auch ältere Menschen sind da besonders betroffen, aber auch die, die draußen hart körperlich arbeiten müssen. Das kann gehen bis zu Hitzschlag und erhöhter Sterblichkeit, aber auch einfach, dass man nachts schlechter schläft, schlechter konzentriert ist und so weiter – eine Insgesamtheit, die die medizinische Fachzeitschrift "The Lancet" den Klimawandel als die größte Bedrohung für die globale Gesundheit im 21. Jahrhundert bezeichnet. Und die Lage ist extrem ernst. Es handelt sich um einen medizinischen Notfall, denn wenn wir nicht rasch handeln, besteht Lebensgefahr für immer mehr Menschen weltweit, weil letztendlich ist ein intaktes Klima- und Ökosystem eine unabdingbare Voraussetzung für unsere menschliche Gesundheit. Und diese Diagnose, dass es eben so ernst ist und so dringend ist, die ist leider noch nicht so richtig verstanden in der Gesellschaft. Wir tun so, als wenn wir noch die Option hätten, dass alles so bleibt wie früher, aber dabei sehen wir jetzt eine Schreckensmeldung nach der anderen.

Nötige Anpassung des Gesundheitssystems an die Klimakrise

Pyritz: Wie kann und muss sich denn das Gesundheitssystem an diese Herausforderungen durch den Klimawandel und auch dadurch öfter auftretende Extremwetterereignisse anpassen?
Gabrysch: Diese Behandlung der Klimakrise sozusagen und ihre Folgen muss eigentlich eine zentrale Aufgabe werden des Gesundheitssystems. Da geht es einmal um Anpassung, das sind zum Beispiel Hitzeaktionspläne, die endlich flächendeckend umgesetzt werden müssen – in Krankenhäusern, aber auch in Alten- und Pflegeheimen, mit besonderem Augenmerk eben auf die schutzbedürftigen Bevölkerungsgruppen –, und auch Sachen wie, dass die Anpassung von Blutdruckmedikamenten durch den Hausarzt nötig wird. Zum Zweiten ist halt Klimaschutz im Gesundheitssystem, dass wir sozusagen vor der eigenen Haustür kehren und auch den Treibhausgasausstoß des Gesundheitssektors reduzieren. Und schließlich ist halt Klimaschutz als gesellschaftliche Aufgabe, weil als Gesundheitsberufe haben wir ja die Verantwortung, Leben und Gesundheit zu schützen und uns dafür einzusetzen, dass das passiert. Da gibt es eine gute Nachricht eben auch, weil wir haben jetzt ja auch schon ganz viele Gesundheitsprobleme, wie Übergewicht, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und so weiter, und vieles von dem, was wir für den Klimaschutz umsetzen müssen, ist eigentlich gleichzeitig gut für die Gesundheit. Zum Beispiel wenn wir die Städte fußgänger- und fahrradfreundlicher machen mit weniger Autos, dann haben wir saubere Luft und mehr Bewegung, das ist total gut für die Gesundheit, oder auch in der Ernährung weniger Fleisch und dafür mehr Gemüse zu essen, sehr, sehr gut für die Gesundheit und auch gut für Klima, Artenschutz und Tiere. Also der Klimaschutz ist auch gleichzeitig eine riesige Chance für unsere Gesundheit und unser Wohlergehen.
Kommentar: Mehr Krisenfestigkeit, bitte!
Man könne sich nicht auf alles vorbereiten. Mit dem Offensichtlichen aber sollte begonnen werden: einer verbesserten Warnung der Bevölkerung. Einst wurden viele Sirenen abgebaut. Nun verlasse man sich auf Warnapps und Radios. Doch falle der Strom aus, blieben beide stumm, kommentiert Mario Dobovisek.
Pyritz: Was kann denn jede und jeder Einzelne von uns tun, und worauf müssen vielleicht auch speziell ältere Menschen achten, um sozusagen bei diesen Entwicklungen sich zu schützen?
Gabrysch: Was die Anpassung angeht, bei Hitze vor allem, kann sich ja der Einzelne eben schützen, indem man zum Beispiel die Räume möglichst kühl hält, also tagsüber abschattet mit Rollläden und so, und danach frühmorgens lüftet, körperliche Belastungen in der Hitze vermeidet und vor allem auch die älteren Menschen, die oft wenig Durstgefühl haben, dass sie eben genug trinken, stündlich ein Glas Wasser, und auch Dinge wie darauf achten, dass Medikamente kühl gelagert werden. Und dann, was den Klimaschutz angeht, da kann der Einzelne einmal natürlich für sich beitragen, indem man zum Beispiel auf Ökostrom umsteigt, mehr Gemüse und weniger Fleisch isst, Auto- und Flugzeugreisen reduziert, also seinen eigenen ökologischen Fußabdruck reduziert. Aber noch wichtiger ist, dass man seinen Handabdruck vergrößert, also dass man sich zusammen mit anderen dafür einsetzt, dass sich gesellschaftlich die Rahmenbedingungen ändern, indem sich eben viele Einzelne zusammentun und dafür sorgen, dass unsere Städte fußgänger- und fahrradfreundlicher werden, dass Kantinen mehr leckere vegetarische Gerichte anbieten und vor allem aber auch, dass sich die großen Stellschrauben ändern, die politischen Weichenstellungen. Jetzt stehen ja die Wahlen vor der Haustür, dass man da eben vielleicht auch Abgeordnete kontaktiert, aber zumindest kritisch prüft, welche Politiker nur schöne Worte finden und welche es wirklich ernst meinen und die Herausforderungen angehen wollen mit Klimawandel und Artensterben und so weiter.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.