Montag, 29. April 2024

Medien über Folgen von Migration
Die falsche Debatte

Mit ihrer Berichterstattung über Migration befeuerten viele Redaktionen aktuell eine rassistische Angstdebatte, kritisiert Marina Weisband. Das beantworte unter anderem auch eine andere mediale Lieblingsfrage derzeit: die nach der Stärke der AfD.

Die Kolumne von Marina Weisband | 27.09.2023
Flüchtlinge halten sich auf dem Gelände der Flüchtlingsunterkunft vor den Zelten auf. Städte und Gemeinden können die Zahl der Geflüchteten kaum noch unterbringen. Nicht nur der Kreis Bergstraße fordert daher mehr Unterstützung von Bund und Land.
Die Art der Berichterstattung über Migration schüre Ängste in der Bevölkerung, so unsere Kolmunistin Marina Weisband. (picture alliance / dpa / Arne Dedert)
„Schaffen wir das noch mal?“, titelt der „Spiegel“ mit einer endlos erscheinenden Karawane flüchtender Menschen in einem dystopischen Ton. Untertitel: „Der deutsche Streit über die Asylpolitik“. Gleichzeitig wird im ARD-Presseclub zum gleichen Thema der Eindruck erzeugt, an deutschen Stammtischen seien das Hauptproblem die nicht abgelehnten Asylanträge. Gleichzeitig geht es um dasselbe Thema bei Anne Will, wo Parteien sich mit schärferer Migrationspolitik überbieten wollen.
Es scheint, als seien wir alle täglich überflutet von viel zu vielen Menschen, die hier Schutz vor Krieg und Hunger suchen. Nur, dass das überhaupt nicht der Fall ist. Während es in einzelnen Gemeinden durchaus eine Herausforderung ist, alle unterzubringen, die Unterbringung brauchen, ist das vor allem eine Herausforderung für die Administration. Und keine neue. In den letzten Jahren gab es nur marginal mehr Asylanträge als in den Jahren zuvor – nicht mal die Hälfte der Zahl von 2015 und 2016.  

Aufgabe des Journalismus ist Einordnung

Dazu darf ich vermuten, dass die alltäglichen Probleme der Menschen in Deutschland in aller Ehrlichkeit vermutlich gar nichts mit Geflüchteten zu tun haben. Es sind die Inflation, die Wohnungsnot, Einsamkeit, Stress und Entfremdung von der eigenen Arbeit. Zu wenig Zeit, zu niedriger Lohn, zu hohe Kosten für alles und keine klaren Zukunftsaussichten. Ein Bildungssystem, das seinen Aufgaben nicht hinterherkommt, weil es veraltet und unterfinanziert ist. Und – oh ja, Fachkräftemangel. Das Ding, für das wir dringend Migration brauchen.
Natürlich kann man den Leuten einreden, dass Migranten an all dem schuld seien. Es wäre nur nachweislich eine Lüge. Was mich zu der Frage führt, warum genau große Medien das dann machen. Warum befeuern sie diese rassistische Angstdebatte? Sind es politische Parteien, die vermehrt darüber sprechen, weil sie hoffen, der AfD so Wähler abzugraben?
Das wäre erstens dumm. Denn wenn man die Hauptangst vor Migration schürt, dann wählen die Leute erst recht das rassistische Original – und keinen grünen Minister Habeck, der jetzt so tut, als sei eine Debatte um härtere Migrationsregeln leider, leider unausweichlich.
Porträtfoto von Marina Weisband
@mediasres-Kolumnistin Marina Weisband (Lars Borges)
Zweitens wäre es doch gerade dann die Aufgabe des Journalismus, diese Behauptungen einzuordnen. Nicht mit reißerischen Überschriften, die dann tief im Text Fakten verbergen, die eh niemanden interessieren. Als würden die „Spiegel“-Titel in den Regalen der Kioske nicht von allein Stimmung im Land machen. Die ARD braucht nicht mal Einschaltquote, also warum genau muss man solche reißerischen Themen ohne ausreichende Grundlage bedienen? 

Die hässliche Frage, die sich niemand eingestehen will

Dann ist da natürlich noch die offensichtliche Tatsache, dass kaum jemand gegen Asyl gestänkert hat, als die Hauptgruppe der Flüchtenden Ukrainerinnen waren. Als ukrainische Geflüchtete werde ich mich darüber keineswegs beschweren. Aber mir ist dasselbe aufgefallen, wie einem Anrufer im Presseclub: Diese Flüchtenden werden nicht in Frage gestellt. Flüchtende vor Krieg in afrikanischen Ländern hingegen stehen absolut jedes Mal zur Debatte und zur Disposition.
Hat das also mit Fluchtursachen zu tun oder mit Hautfarbe? Das ist die hässliche Frage, die sich niemand eingestehen will. Es steht nicht Sorge um Infrastruktur hinter der Debatte. Sondern um Rassismus.
Die zweite Lieblingsüberschrift der Medien, abwechselnd zu Migrationsdebatte, ist übrigens: „Warum ist die AfD so stark?“ Unter anderem wegen euch, liebe Freunde. Aber wisst ihr was? Bürgermeister der AfD machen mir nicht halb so viel Angst wie Massenmedien, die den rassistischen Diskurs in die Mitte der Gesellschaft tragen. In alle Parteien und Haushalte.