Mittwoch, 24. April 2024

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Krankenhäuser in Deutschland
"Wir fahren mit Vollgas auf die Wand zu"

Die finanzielle Situation der Krankenhäuser sei angespannt, sagte Josef Düllings vom Verband der Krankenhausdirektoren. Er forderte eine zügige Entscheidung auf Bundesebene, sonst würden Krankenhäuser im Mai in die Insolvenz gehen. Die große Krankheitswelle erwartet er in zwei bis drei Wochen.

Josef Düllings im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 21.03.2020
Ein Operationsteam im Krankenhaus. Eine Frau auf der Liege bekommt ein Beatmungsgerät aufgesetzt.
Die Coronakrise wird die Krankenhäuser in Deutschland vor extreme Herausforderungen stellen, sagte Josef Düllings vom Verband der Krankenhausdirektoren im Dlf (imago/Westend61)
Die Krankenhäuser in Deutschland bereiten sich auf den Ernstfall vor. Die Ausbreitung des Coronavirus wird die Krankenhäuser vor große Herausforderungen stellen. Ein Problem sei die schlechte finanzielle Lage der Krankenhäuser, sagte Josef Düllings, Präsidenten des Verbandes der Krankenhausdirektoren in Deutschland, gleichzeitig auch Krankenhausdirektor in Paderborn.

Viele Häuser hätten nicht ausreichend Rücklagen. Ihnen drohe eine Insolvenz schon im Mai. Auch die Bevölkerung kritisierte er im Dlf. Sie verhalte sich in der Coronakrise unvernüftig. Blicke man auf die Kurve der Infizierten, dann droht nach seinen Aussagen in zwei bis drei Wochen die "große Welle".
Coronavirus
Zurheide: Herr Düllings, fangen wir mal an, ganz kurz, Sie sind selbst verantwortlich für eine Krankenhausgruppe in Paderborn. Wie viele Betten haben Sie, wie viele Mitarbeiter?
Düllings: Ja, wir haben etwa 800 Betten, 2.500 Beschäftigte.
Zurheide: Welche Erfahrungen sind Ihnen aus den zurückliegenden Tagen ganz besonders hängengeblieben?F
Düllings: Erst mal strukturieren wir das Krankenhaus komplett um seit drei Wochen, das heißt, wir haben jeden Tag sogenannte Krisensitzungen. Dann passieren Einzelfälle, wo wir nicht wissen, ob Patienten, die aufgenommen werden, den Virus haben.

Wir hatten einen Fall einer Über-80-Jährigen, die haben wir aufgenommen, die musste reanimiert werden, die ging durch den Schockraum, durch die Kardiologie, durch die Radiologie und kam dann auf die Intensivstation, und hinterher stellte sich dann heraus, dass sie eventuell Corona positiv ist. Wir haben das dann zurückverfolgt, Abstrich gemacht, und es hat sich Gott sei Dank herausgestellt, dass sie nicht Corona positiv war.
"Es gibt Lieferengpässe bei der Schutzkleidung für Mitarbeiter"
Zurheide: Das heißt aber für Sie in dem Moment, wenn Sie so was erfahren, müssen Sie damit rechnen, so eine Station muss ich im Zweifel nicht schließen, aber die Mitarbeiter nach Hause schicken, und Sie haben ohnehin zu wenig, oder?
Düllings: Ja, so ist das. Wir haben dann natürlich alle Dinge umstrukturiert, zwei Zugangswege zum Krankenhaus, einmal mit und ohne Hinweise auf Corona-Infektionen, die Stationen haben wir sozusagen leergeräumt, so weit wie das ging, also planbare OPs, planbare Eingriffe runtergefahren, und haben jetzt an den Standorten Stationen, die nur für Patienten sind, die eventuell ein Risiko haben auf eine Infektion, und es sind auch konservative und chirurgische Patienten auf einer Station.
Zurheide: Das heißt, Sie versuchen, die Kapazitäten freizumachen und die Zahl der Intensivbetten hochzufahren. Ich meine, diese Betten, ich sage es mal etwas umgangssprachlich, die wachsen nicht auf den Bäumen, und die Beatmungsgeräte auch nicht. Was können Sie da wirklich schaffen in diesen Tagen oder was wollen Sie schaffen, fangen wir damit an, und dann fragen wir, was Sie können?
Düllings: Ja, genau. Also wir haben aus anderen Gründen bereits im Dezember Beatmungsgeräte beschafft, die sind auch da. Wir haben jetzt etwa vier.
Zurheide: Das ist ein glücklicher Zufall?
Düllings: Ja, das ist ein glücklicher Zufall, den hat sicherlich nicht jedes Krankenhaus. Wir wollen aber die Zahl der Intensivbetten verdoppeln.
Wir würden dann auf etwa sieben bis acht Prozent kommen von allen Betten. Hier gibt es aber Lieferengpässe, wie auch bei Schutzkleidung für Mitarbeiter.
Zurheide: Wie machen Sie das, jetzt gehen wir von Ihrem Krankenhaus weg, wie ist das bei den Kolleginnen und Kollegen, die eben jetzt, weil die Anforderungen kommen, wir brauchen mehr Intensivbetten, … Ja, bekommt man irgendwelches Material? Was erleben Sie da?
Düllings: Ja, man bekommt Zusagen, allerdings werden die Lieferzeiten dann von Tag zu Tag länger. Und ich glaube, der erste und wichtigste Punkt ist – weil ja nicht alle intensivpflichtig sind, das ist ja ein kleinerer Teil –, dass man erst mal die stationären Patienten versorgen kann, die Corona positiv sind, die nicht so schwer erkrankt sind.
Und dann muss man auf der Intensivstation eben triagieren, die, die schwer erkrankt sind, und man hat dann auch da zwei Bereiche, einmal mit und ohne Virus.
"Ich befürchte, dass wir den nächsten zwei-drei Wochen eine große Welle kriegen"
Zurheide: Sie sprechen da ein großes Wort ganz gelassen aus.
Düllings: Ja.
Zurheide: Das heißt, die Ärztinnen und Ärzte und das Pflegepersonal muss da harte Entscheidungen treffen.
Düllings: Zurzeit sind wir noch nicht so, dass wir diese Triage, wie man sie in Italien gesehen hat, hier treffen müssen, und wir haben auch eine deutlich höhere Intensivbettenkapazität, gerade auch in Nordrhein-Westfalen. Da bin ich froh, dass das auch so entwickelt werden konnte über die letzten Jahre.
Aber wenn man auch das Verhalten der Bevölkerung und die Kurven sieht: Ich befürchte, dass wir da in den nächsten zwei bis drei Wochen eine große Welle kriegen.
Zurheide: Jetzt schauen wir mal auf was anderes: Wenn Sie da gerade Ihr Krankenhaus auf der einen Seite leerziehen, weil Sie sagen, wir brauchen die Kapazitäten, wir müssen die vorhalten, normale Operationen, die man verschieben kann, finden nicht statt – das alles hat ja auch ökonomische Auswirkungen, die nicht zu knapp sind.
Ich meine, irgendwann müssen Sie auch wieder Rechnungen stellen beziehungsweise Sie müssen Rechnungen bezahlen, Sie müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bezahlen. Wo laufen Sie hin, wenn jetzt nicht die Hilfen kommen, über die wir dann gleich reden, und ob es die richtigen sind? Wo laufen Sie hin erst mal? Das würde ich gerne von Ihnen hören.
Düllings: Oh, oh ja, das ist ein Riesenproblem. Also ich will es mal mit einem Bild darstellen: Wir fahren derzeit mit Vollgas auf die Wand zu, und wir hoffen, dass wir da in einem Monat ein Auffangnetz haben. Wir haben noch nachlaufende Rechnungen aus Februar, März, die bezahlt werden, das heißt, ich rechne, bis Ende April wird das noch funktionieren, aber ich rechne im Mai damit, dass, wenn nichts kommt, die Krankenhäuser flächendeckend in die Insolvenz gehen.
"Wir sind auf Kante genäht"
Zurheide: Jetzt hat die Bundesregierung gestern drei Milliarden auf den Tisch gelegt. Wenn Sie diese Summe hören – ich weiß nicht, ob Sie schon mehr Details kennen als wir, wir wissen nur, dass da etwas kommt, das gibt es ja in vielen Bereichen der Gesellschaft, der Wirtschaft in diesen Tagen –, was müsste denn kommen, damit Sie sagen, damit können wir diese wichtige Aufgabe, die wir hier gesellschaftlich haben, auch weiter übernehmen?
Düllings: Also es müsste sehr zügig entschieden werden auf der Bundesebene. Ich weiß, dass dort Verhandlungen laufen, die Ansätze sind auch gut, aber es zieht sich. Es gibt die Zusage der Bundesregierung eines Schutzschirms. Das Geld muss im April ankommen, damit wir im Mai weitermachen können. Und das sehe ich zurzeit noch nicht.
Deswegen machen sich viele Kollegen sehr viele Sorgen und wir strengen uns allerdings an, um vorbereitet zu sein auf diese Welle, die wir da erwarten.
Zurheide: Ja, nur: Was denn konkret müsste an Geld kommen? Müssten Sie praktisch das kriegen, was Sie im vergangenen Jahr im Schnitt bekommen haben? Können wir jetzt überhaupt es uns noch leisten, Einzelabrechnungen oder ich weiß nicht was zu machen? Wie müsste das systemisch aufgefangen werden, damit Sie nicht neben den inhaltlichen Problemen, die Sie haben, die Leistungen zu erbringen, auch noch die wirtschaftlichen Probleme bekommen?
Düllings: Ja, da haben Sie ganz recht, also Klein-Klein abrechnen und dann auch noch MDK prüfen, das geht überhaupt nicht mehr. Wir haben auch vorgeschlagen hier eine Abschlagszahlung pro Monat, die sehr zügig überwiesen wird. Da gibt es auch Modelle, dass aus dem Gesundheitsfonds, da liegen ja immerhin zehn Milliarden auf der Bundesebene, über die Landesebene das unbürokratisch an die Krankenhäuser ausgezahlt wird.
Das geht auch, technisch ist das überhaupt kein Problem. Aber ich habe den Eindruck, dass man hier auf der Bundesebene sich hier noch nicht ganz so einig ist.
Porträt von Düllings.
Josef Dülling, Präsident des Verbands der Krankenhausdirektoren Deutschlands. (imago)
Zurheide: Wir reden ja über dieses Thema in einer Situation, wo die Krankenhausdirektoren – und Sie gehören eben zu diesem Verband oder sind der Präsident dieses Verbandes – schon seit langer Zeit darauf hinweisen, dass die Investitionen, die die Länder eigentlich machen müssten in Krankenhäuser, bundesweit nicht so da sind, wie sie sind. Das heißt, eigentlich sind Sie schon geschwächt und stehen jetzt vor dieser Herausforderung. Oder ist das zu zugespitzt, was ich da frage?
Düllings: Nein, das ist völlig richtig, also wir sind auf Kante genäht. Aber dann kann man natürlich priorisieren, das geht eine gewisse Zeit, aber es gibt einige Krankenhäuser, glaube ich, die schon jetzt nicht noch einen Monat Puffer haben.
Und insofern ist da ein hoher Druck in den Häusern. Und ich glaube, man kann auch jetzt nicht sagen, wir machen weiter wie bisher: Wir müssen uns auf die Coronakrise einstellen.
Aber die Hilfen, die da zugesagt sind, die sehe ich zurzeit noch nicht. Und insofern kann ich nur sagen, schnell entscheiden, Gas geben, überweisen, damit wir ab Mai handlungsfähig bleiben. Wenn das nicht passiert – das möchte ich mir gar nicht ausmalen.
Zurheide: Danke schön. Auch wenn das erschreckende Aussichten sind, wollen wir hoffen, dass das in die richtigen Ohren gekommen ist, was Sie da gesagt haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.