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Künstliche Riffe für mehr Vielfalt

Die in deutschen Meeresgebieten ausgerottete europäische Auster könnte wieder angesiedelt werden - mithilfe künstlicher Riffe. Wie das genau geschehen soll, erläuterten Biologen nun auf der internationalen Meeresschutzkonferenz in Stralsund.

Von Melanie Last | 26.06.2012
    Sie ist handtellergroß. In der Sonne glitzert sie mal silbrig, mal golden. Unter Feinschmeckern ist sie mit ihrer salzigen Note als Delikatesse bekannt: die europäische Auster. Bis ins 19. Jahrhundert war sie bei uns weit verbreitet. Heute finden Strandspaziergänger nur noch selten Schalen dieser Meerestiere.

    "Die meisten Austern, die man heute kaufen kann, sind japanische Austern. Früher waren es die europäischen. Aber die wurden massiv abgefischt. Seit den 1870er-Jahren geriet die heimische Auster deshalb so unter Druck, dass es sie heute fast oder gar nicht mehr gibt, wie im Wattenmeer zum Beispiel. Auch in der Nordsee und im Englischen Kanal ist sie nicht mehr zu finden."

    Dr. Janet Brown von der University of Stirling in Schottland ist sich aber sicher: Die europäische Auster hat auch außerhalb der Austernzucht wieder eine Chance.

    "Erst kürzlich, vor einem Monat ungefähr, wurde eine der größten bislang gefundenen Austern entdeckt, bei den Shetland-Inseln. Das ist auch Nordsee. Wenn es da auch nur eine Auster gibt, macht das Hoffnung."

    Früher, sagt die Meeresbiologin, bildeten die heimischen Austern riesige Riffe im Meer. Genau solche Riffe möchte sie wieder ansiedeln. Denn allein schafft es die Auster nicht, sich wieder in diesen felsengleichen Kolonien zu formieren.

    "Wenn man nur einzelne Austern aussetzt, entwickeln sie nicht diese stabile Struktur, die sie in einem Riff haben. Ihnen fehlt der Halt. Dann können sie ganz einfach wieder heraus gesammelt werden. Und da ist auch der Interessenkonflikt: zwischen der Fischerei und den Tieren. Die Industrie möchte perfekt geformte Austern, die sich gut verkaufen lassen. Die Auster aber möchte auf einer anderen Auster leben und da für immer bleiben."

    Wie aber dieses europäische Schalentier zurück ins Meer bringen? Dazu will Janet Brown verschiedene Versuche starten.

    "Unser Plan ist es, die heimische Auster aus dem Loch Ryan, einem schottischen See, zu nehmen. Dort gibt es eine große Austern-Fischerei. Die Tiere packen wir dann in spezielle Beutel und bringen sie an eine Flussmündung mit Gezeiten. So wollen wir herausfinden, wie sie wachsen und wo sie am besten wachsen, um schließlich den besten Platz für sie zu finden. Wir denken, wenn sie sich gut entwickeln, entsteht eine natürliche Ansiedlung von ganz allein und ein Riff baut sich auf."

    Bei einer vergleichbaren amerikanischen Forschungsgruppe in Virginia hat das bereits geklappt. Und genau das bestärkt die schottische Meeresbiologin in ihrem Projekt.

    "Wir unternehmen noch einen anderen Versuch, in Southampton. Dort errichten wir künstliche Riffe aus einer Art Beton, befestigen die Austern daran und bauen so eine kleine Kolonie. Die vergleichen wir dann mit den einzelnen Austern auf dem Meeresgrund. So können wir zum Beispiel herausfinden, wie sie sich fortpflanzen."

    Künstliche Austernriffe – nur so kann sich die Population der europäischen Art wieder durchsetzen. Forscher in Neuseeland konnten nachweisen: hat sich die Population erst einmal erholt, wächst sie exponentiell an. Zum einen, weil Austern in der Gruppe, also in einem Riff, widerstandsfähiger gegenüber Krankheiten sind. Zum anderen, weil sie sich natürlich nur fortpflanzen können, wenn sie nah beieinander liegen. Intakte Austernriffe spielen für das Ökosystem "Meer" eine entscheidende Rolle.

    "Sie haben eine unglaubliche Auswirkung auf die Wasserqualität. Sie filtern das Wasser und machen es sauber. Von der amerikanischen Forschungsgruppe wissen wir, dass Austernriffe Fische anlocken und sich die Artenvielfalt an Riffen generell erhöht. Also der Nutzen für das Ökosystem liegt klar auf der Hand. Europa kann jetzt von diesen Forschungsergebnissen profitieren. Ich hoffe, wir können das hier auch in die Praxis umsetzen."

    Ist die schottische Forscherin erfolgreich, wird es neben der sich ausgebreiteten pazifischen Zuchtauster auch wieder die europäische Auster in der Nordsee geben.