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Labour-Politiker zur Europawahl
"Wir werden viele proeuropäische Abgeordnete schicken"

Die Briten werden nun voraussichtlich an der Europawahl im Mai teilnehmen. Befürchtungen, sie könnten dem EU-Parlament massenhaft europaskeptische Abgeordnete bescheren, hält der Labour-Politiker Ben Bradshaw für unbegründet. Die Brexiteers seien deprimiert und würden eher nicht wählen, sagte er im Dlf.

Ben Bradshaw im Gespräch mit Christiane Kaess | 11.04.2019
Labour-Party, britischer Unterhaus-Abgeordneter und ehemaliger Staatssekretär, im Hintergrund eine Demonstration von Brexit-Gegnern
Die Mehrheit der Briten wolle jetzt in der EU bleiben, sagte der britische Labour-Abgeordnete Ben Bradshaw im Dlf (picture alliance / NurPhoto / WIktor Szymanowicz)
Christiane Kaess: Ben Bradshaw ist Abgeordneter der Labour-Partei im britischen Unterhaus, er ist gegen den Brexit. Vor wenigen Minuten habe ich mit ihm gesprochen und ich hab ihn zuerst gefragt, wie die Labour-Abgeordneten im Londoner Unterhaus diese Zeit der Verlängerung des Brexits nutzen werden.
Ben Bradshaw: Erstens sind wir sehr erleichtert, dass wir Ende dieser Woche nicht aus der EU chaotisch ausstürzen werden – das ist gut für Großbritannien und auch gut für den Rest Europas. Aber wie Präsident Tusk es in der Nacht gesagt hat, müssen wir jetzt diese Zeit nützlich benutzen. Unserer Meinung nach, in meiner Partei, heißt das, entweder durch Neuwahlen, die unwahrscheinlich sind, oder am wahrscheinlichsten durch eine neue Volksabstimmung über die Vereinbarung von Theresa May. Und dafür werden wir jetzt in den nächsten Tagen und Wochen stark kämpfen.
Kaess: Aber dafür gibt es ja überhaupt keine Mehrheit im Unterhaus. Es stehen doch jetzt erst einmal Gespräche zwischen Labour und den Tories an. Haben Sie das schon völlig ausgeschlossen, dass Sie da überhaupt noch sich auf ein Abkommen einigen können?
Bradshaw: Ja, ich hoffe das, und ich hoffe auch, dass wir wohl eine Mehrheit für eine neue Volksabstimmung im Parlament kriegen werden. Wir haben vorletzte Woche nur zwölf Stimmen verloren und es war auch nicht eine freie Abstimmung in der Regierung. Das heißt, wenn die Regierung von Theresa May anerkennt, dass der einzige Weg, wie sie eine Vereinbarung durchs Parlament kriegen kann, mit einer neuen Volksabstimmung ist, glaube ich wohl, dass wir eine Mehrheit dafür haben werden, weil die überwiegende Mehrheit von Labour-Abgeordneten werden keiner Vereinbarung über unseren Austritt aus der EU zustimmen, ohne dass es zurück zu der Bevölkerung geht – in eine Volksabstimmung.
"Mehrheit der Bevölkerung will neue Volksabstimmung"
Kaess: Das heißt, Herr Bradshaw, wenn ich Sie richtig verstehe, Labour wird das jetzt zur Bedingung machen in den Gesprächen mit den Tories.
Bradshaw: Ich hoffe das wohl. Und wenn die Spitze unserer Partei, Jeremy Corbyn, das nicht macht, dann macht es die Abgeordnete von der Partei, weil, wie ich gesagt habe, die überwiegende Mehrheit, 90 Prozent unserer Abgeordneten, haben schon für eine neue Volksabstimmung gewählt, und die Meinungen dafür werden stärker Tag bei Tag.
Kaess: Und diese Volksabstimmung, diese neue, die Sie verlangen, die wäre dann über das Austrittsabkommen, das allerdings vorher erst einmal beschlossen werden müsste, oder?
Bradshaw: Ja, es könnte über diese Vereinbarung sein oder über eine neuere, einen sanfteren Brexit, wie Norwegen zum Beispiel, wenn das in der kurzen Zeit jetzt in den nächsten Wochen mit der EU diskutiert werden könnte. Aber das Wichtigste ist, dass wir eine klare Entscheidung machen als Land. Alle die Meinungsumfragen hier in Großbritannien jetzt zeigen, eine Mehrheit der Bevölkerung will eine neue Volksabstimmung haben, und die Mehrheit will auch jetzt in der EU bleiben. Es wäre nicht akzeptabel für mich, wenn wir jetzt mit dieser Vereinbarung oder mit einer anderen Vereinbarung aus der EU austreten würden, ohne dass die Bevölkerung hier ihre Meinung geäußert haben kann.
Kaess: Und die Labour-Abgeordneten wollen ja schon lange einen weicheren Brexit. Sehen Sie denn irgendwelche Anzeichen, dass die Tories sich hier auf Labour zubewegen?
Bradshaw: Ich glaube schon, dass es eine Hoffnung gibt, dass genug Tories bereit wären, Kompromisse zu machen im Falle Zollunion und Binnenmarkt, und das waren für uns immer die wichtigsten Sachen. Es gibt schon Zeichen, dass es, wenn zum Beispiel eine wirkliche freie Abstimmung im Parlament geben würde, wo auch Minister in der Regierung frei abstimmen könnten, dass wir doch eine Mehrheit dafür haben würden. Letzte Woche haben wir nur mit drei Stimmen verloren, diese Lösung, und ich bin zuversichtlich, dass in den nächsten Tagen, jetzt nach Ostern, dass wir schon einen solchen Kompromiss im Parlament erreichen könnten. Aber wie gesagt, nur wenn eine neue Volksabstimmung angesetzt würde.
Kaess: Aber Herr Bradshaw, wie viel Spielraum inhaltlich hat denn Theresa May da? Sie steht ja gewaltig unter Druck von den Hardlinern beim Brexit in ihrer eigenen Partei. Man fragt sich ja mittlerweile, wie lange sie sich überhaupt noch halten kann. Kann es auch einfach sein, dass sie demnächst gestürzt wird, dass es tatsächlich vielleicht Neuwahlen gibt oder sie ersetzt wird durch einen Hardliner zum Brexit?
Bradshaw: Es ist schwierig, sich vorzustellen, wie die Hardliner-Tories Theresa May stürzen können, weil sie haben es schon versucht im Dezember, und unter den Regeln der Partei dürfen sie das nur nach zwölf Monaten wieder versuchen. Theresa May hat gesagt, jetzt in der Nacht, nach dem EU-Gipfel, dass sie doch bleibt. Sie bleibt, bis sie ihre Vereinbarung mit der EU durchs Parlament gekriegt hat. Also ich sehe nicht die Möglichkeit, dass sie von einem Hardliner gestürzt wird, da müssen Sie in Deutschland und anderswo in Europa keine Angst haben. Das würde auch nichts lösen, weil die Nummer die Zahlen im Parlament nicht ändern würde. Und Neuwahlen wollen die Tories sicher nicht, weil die Meinungsumfragen hier zeigen, dass, wenn wir Neuwahlen hätten, dass Labour sehr klar gewinnen würde und viele Tories ihre Wahlkreise verlieren würden. Ich glaube, dass sie bleibt – sie versucht, diese Krise zu lösen. Sie kann das nur mit der Hilfe von Labour machen und meiner Meinung nach nur mit der Hilfe der Bevölkerung in einer neuen Volksabstimmung.
"Ich freue mich sehr auf die Europawahlen"
Kaess: Wie werden die Parteien denn jetzt umgehen mit dem Druck der Europawahl, wen werden die Parteien aufstellen?
Bradshaw: Also ich freue mich sehr auf die Europawahlen. Es gibt eine Chance – jetzt endlich – der Bevölkerung in Großbritannien, ihre Meinung zu äußern, und alle die Meinungsumfragen in den letzten Tagen, die aufgekommen sind, zeigen, dass Labour und die anderen Parteien, die einen harten Brexit nicht wollen und die eine neue Volksabstimmung wollen, gewinnen würden – und ganz klar gewinnen. Also wir werden, so wie es aussieht, viele proeuropäische Abgeordnete zum Europaparlament schicken, und das wird immer noch Druck darauf tun auf die Regierung, eine neue Volksabstimmung hier zu erlauben.
Kaess: Also Sie teilen überhaupt nicht die Sorge der EU-Befürworter, die ja dort durchaus kursiert, dass die Brexit-Wähler massenhaft für UKIP stimmen könnten in dieser Europawahl, wenn Großbritannien denn dran teilnimmt.
Bradshaw: Nein, im Gegenteil, es gibt kein Zeichen dafür. Die harten Brexit-Parteien sind gespalten in zwei oder drei kleine Parteien, und wie gesagt, es gibt auch ein Zeichen, dass die Wähler, die Brexit wollen, sehr deprimiert sind, sie werden nicht zur Wahl gehen, während die Wähler hier, die Brexit stoppen werden, die keinen Brexit wollen, sehr motiviert sind. Sie werden in vielen Mengen zur Wahl gehen, und wie gesagt, eine große Mehrheit von Abgeordneten zum Parlament, zum Europaparlament schicken, die für die EU sind, nicht gegen die EU.
Kaess: Wie ernst nehmen Sie dann die Drohungen der Brexiteers, die sagen, wir werden alles blockieren in der EU?
Bradshaw: Das können sie auch nicht, und wie gesagt, sie können es weder im Europaparlament, weil es keine Mehrheit dafür geben wird, und in unserem Parlament gibt es sicher keine Mehrheit dafür. Die überwiegende Mehrheit der Parlamentarischen hier in Großbritannien wollen positiv sein, wollen konstruktiv sein, sie wollen eine Lösung zu diesem Problem. Also diese Ängste, von denen ich gehört habe in Europa, vor extrem Brexiteer-Abgeordneten hier – sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Sie haben keine Macht, sie sind irrelevant und sie verlieren jeden Tag das Argument.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.