Freitag, 19. April 2024

Landtagswahl in Sachsen 2019
Taktisches Wählen in Sachsen

Zwar bleibt die CDU in Sachsen stärkste Kraft, aber sie muss sich nun zwei Koalitionspartner suchen – es läuft wohl auf eine Koalition mit den Grünen und der SPD hinaus. Dabei werden jedoch schwierige Verhandlungen erwartet. Die AfD hat "Die Linke" als Ost- und Protestpartei abgelöst.

Von Alexandra Gerlach | 01.09.2019
Michael Kretschmer (L), Ministerpräsident von Sachsen, und der sächsische SPD-Spitzenkandidat Martin Dulig warten vor einer Fernsehsendung, an der sie teilnehmen sollen
Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen, wird zwei Koalitionspartner brauchen, um weiterregieren zu können (AFP / Pool / Michael Kappeler )
Die Zeichen stehen auf "Kenia" in Sachsen. Mit dem gestrigen Wahlergebnis würde es rein rechnerisch für ein schwarz-grün-rotes Regierungsbündnis reichen. Es werden allerdings schwierige Verhandlungen erwartet.
Die CDU bleibt stärkste Kraft in Sachsen trotz großer Verluste. Die Freude stand dem CDU-Spitzenkandidaten und Ministerpräsidenten Michael Kretschmer am Wahlabend ins Gesicht geschrieben und auch die Erleichterung:
"Ich freue mich sehr darüber. Das positive Sachsen hat gewonnen! Ein klarer Auftrag zur Regierungsbildung. Wir wissen, dass wir in den letzten 18 Monaten nicht alle Menschen erreicht haben, aber das schaffen wir in den nächsten fünf Jahren."
Zweitstärkste Kraft im Land wurde die AfD. Sie konnte ihr Wahlergebnis von der letzten Landtagswahl 2014 fast verdreifachen. Dabei bekam sie Stimmen sowohl aus dem Lager der CDU als auch von den Linken. Eine auffallende Motivationskraft hatte sie bei der Gruppe der Nichtwähler, hier konnte sie mehr als 200.000 Wahlberechtigte an die Urnen bringen.
Für die AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Alice Weidel ein Triumph:
"Ein wunderbares Ergebnis. Wir sehen, dass wir nicht nur in Sachsen, sondern auch in Brandenburg Volkspartei geworden sind und nicht mehr aus dem Parteienspektrum wegzudenken sind."
30 Direkt- und mehrere Überhangmandate würden der AfD nach dem gestrigen Wahlergebnis zustehen. Da die Kandidatenliste im Vorfeld der Wahl aus formalen Gründen jedoch auf die Hälfte gekürzt wurde, kann sie die ihr zustehenden Plätze nicht komplett besetzen. AfD-Landeschef Jörg Urban hatte bereits vor der Wahl angekündigt diese Entscheidung der sächsischen Wahlkommission anzufechten und im Nachgang zur Landtagswahl diese überprüfen zu lassen.
SPD wahrscheinlich in Regiernung
Die SPD, der bisherige Juniorpartner in der sächsischen Großen Koalition hatte im Wahlkampf schwer gelitten unter den Berliner Parteiquerelen. In Sachsen fuhren die Sozialdemokraten jetzt einen historischen Tiefststand ein. Ihr Spitzenkandidat und Landesvorsitzender Martin Dulig zeigte sich dennoch kämpferisch:
"Liebe Genossinnen und Genossen. Wir haben das schlechteste Wahlergebnis aber wir sind der coolste Landesverband."
Die SPD würde trotz des schlechten Ergebnisses – wenn es zu einer schwarz-grün-roten Kenia-Koalition kommen sollte - erneut Teil der Regierung sein.
Neben der AfD legten die Grünen und die FDP zu, bei den Liberalen reichte es am Ende nicht für den Einzug in das Landesparlament. Das bislang beste Ergebnis bei einer sächsischen Landtagswahl und doch deutlich unter den Erwartungen erhielten die Bündnisgrünen.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden sie an der neuen Regierungsbildung in Sachsen beteiligt sein.
"Wir freuen uns über das historisch beste Ergebnis, das wir je hatten. Ein Weiter so, darf es hier in Sachsen nicht geben. Wir sind nicht nur das Anhängsel, dass ein bisschen Umweltpolitik macht, sondern in diesem Land muss sich was verändern", sagt Grünen-Spitzenkandidatin Katja Meier.
[*]
Enttäuschung hingegen bei der Partei "Die Linke". Sie halbierte nahezu ihr Ergebnis aus 2014. Die hohen Verluste könnten Hinweis darauf sein, dass die AfD der Linken die Rolle als Kümmerer- und Ostpartei abgenommen hat.
Linken-Bundesvorsitzende Katja Kipping vermutet zudem, dass die Linken-Wähler zum Teil auch taktisch abgestimmt haben bei dieser Landtagswahl:
"Dies Zahlen schmerzen natürlich. Ich hatte schon ein bisschen die Sorge, dass es für uns kein leichter Wahlabend wird, weil ich habe ganz oft im Wahlkampf immer wieder von Menschen gesagt bekommen: 'Schön, dass ihr hier seid, können wir ein Selfie machen, ich bin inhaltlich voll bei euch, aber ihr müsst verstehen, bei dieser Wahl muss ich taktisch wählen und deswegen überlege ich CDU oder Grüne zu wählen.' Und das hat dann auch zu so einem Ergebnis geführt."
Grünen Opfer des taktischen Wählens
Ein spannender Wahlabend mit einem Ergebnis, das eine neue Option zur Regierungsbildung in Sachsen zeigt und auch offenlegt, dass sich das Parteiengefüge in Sachsen verändert hat, wie der Dresdner Politologe Professor Hans Vorländer konstatiert:
"Die Grünen sind die Verlierer in der Polarisierung zwischen der CDU und der AfD, so dass viele potenzielle Grünen-Wähler in diesem Fall taktisch gewählt haben und der CDU die Stimme gegeben haben.
Die Linken, das ließ sich schon in den letzten Wahlen ablesen, verlieren zunehmend auch an die AfD. Sie gelten als eine etablierte Partei und damit als Teil des Establishments und werden von der AfD abgelöst, als Vertreterin ostdeutscher Interessen und auch als Stimme der vermeintlich zurückgesetzten Bürger zweiter Klasse."
Am Abend kam es sowohl in Dresden als auch in Leipzig zu spontanen Demonstrationen gegen das Erstarken der rechtsgerichteten AfD .
Ein Fazit dürfte alle Parteien freuen. Die Wahlbeteiligung lag mit rund 66 Prozent deutlich höher als bei der Landtagswahl 2014.
Landtagswahl Sachsen 2019
Wer regieren will: Spitzenkandidaten in Sachsen
Michael Kretschmer (CDU)
Kretschmer gilt als erfahrener Politiker - auch wenn er erst 44 Jahre alt ist. Der Ministerpräsident gehört zu den jüngsten deutschen Politikern in diesem Amt. Er übernahm es 2017 von Stanislaw Tillich, der nach dem schlechten Abschneiden der sächsischen Union bei der Bundestagswahl seinen Rücktritt verkündet hatte. Kretschmer, zweifacher Vater, steht auch für einen neuen Politikstil - offener, nahbarer. Laut Umfragen ist der Görlitzer Sachsens beliebtester Spitzenpolitiker.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU)
Kretschmer (CDU): Dem "Meinungsstreit weicht die AfD aus"
Martin Dulig (SPD)
Der 45-Jährige ist SPD-Landesvorsitzender, Wirtschaftsminister und Ostbeauftragter der SPD. Als sechsfacher Vater und dreifacher Großvater liegt ihm das Thema Bildung am Herzen und er setzt sich etwa für längeres gemeinsames Lernen in einer Gemeinschaftsschule ein. Im Gegensatz zu seiner Partei, die sich im Sinkflug befindet, gilt der SPD-Landeschef als populär. Der gebürtige Plauener lebt mit seiner Familie in Moritzburg.
Das Bild zeigt den sächsischen Wirtschaftminister und SPD-Chef des Landes, Martin Dulig, bei einem Besuch des Umspannwerks Bennewitz. Dulig hat einen weißen Schutzhelm auf dem Kopf.
SPD-Bürgermeister zur Landtagswahl: „Über allem liegt der Populismus“
Katja Meier (Grüne)
Die Politikwissenschaftlerin und gebürtige Zwickauerin, die seit 2015 im Landtag sitzt, fährt Rad und verzichtet auf ein eigenes Auto. Die Schwerpunkte der 39-Jährigen: Gleichstellung und Verkehrspolitik - vor allem der öffentliche Nahverkehr. Früher spielte Meier als Bassistin in einer Punkband. Sich klar zu positionieren, der Wille nach Freiheit und Gerechtigkeit - ein Stück Punk sieht sie auch heute noch in sich.
Die Grünen-Spitzenkandidatin in Sachsen Katja Meier
Robert Habeck in Zwickau: Hoffen auf die Wechselwähler
Jörg Urban (AfD)
Als Landeschef und Spitzenkandidat der sächsischen AfD will Jörg Urban seine Partei bei der Landtagswahl am 1. September zur stärksten Kraft machen. Der 55-jährige Diplomingenieur für Wasserbau gilt als Rechtsaußen und zählt zum rechtsnationalen "Flügel" der AfD. Der frühere Geschäftsführer des Umweltverbands Grüne Liga in Sachsen ist gebürtiger Meißner und dreifacher Vater.
Jörg Urban ist Spitzenkandidat der AfD in Sachsen
Landtagswahl: Weitere AfD-Listenplätze vorläufig zugelassen
Rico Gebhardt (Linke)
Der 56-jährige Fraktionschef und Spitzenkandidat der Linken kommt aus Schlema im Erzgebirge und gilt als bodenständig. Die sächsische Linke, seit Jahren Oppositionsführerin im sächsischen Landtag, wirbt im Wahlkampf für einen modernen und demokratischen Sozialismus. Der gelernte Koch wünscht sich "mehr Leipzig in Sachsen" und meint damit eine stärkere Zivilgesellschaft, mehr Toleranz und eine offene Gesellschaft. Er sitzt seit 2004 im Landtag. Von 2009 bis 2017 hatte er den Parteivorsitz der Linken inne.
Der Landes- und Fraktionsvorsitzende der Linken von Sachsen, Rico Gebhardt, am 12.09.2015 auf dem 12. Landesparteitag der Linken in Neukieritzsch (Sachsen). 
Fremdenfeindlichkeit: Warum Sachsen so anfällig ist
Holger Zastrow (FDP)
Der 50 Jahre alte Holger Zastrow ist der dienstälteste Parteivorsitzende in Sachsen, seit 1999 steht er an der Spitze der FDP. Er machte sich nicht nur als Politiker, sondern auch als Unternehmer einen Namen. Mit ihm zogen die Liberalen 2004 mit 5,9 Prozent in den Landtag ein, fünf Jahre später kamen sie auf 10 Prozent und regierten mit der CDU. 2014 flogen die Liberalen mit 3,8 Prozent wieder aus dem Parlament. Am 1. September will Zastrow mit der FDP den Wiedereinzug schaffen.
Der Vorsitzende der sächsischen FDP, Holger Zastrow, spricht am 03.05.2014 auf dem Landesparteitag der FDP in Chemnitz (Sachsen).
Zastrow (FDP) zum Tod von Hans-Dietrich Genscher: "Wir sind ihm dankbar"

[* Anm. d. Redaktion] An der Stelle haben wir den Koalitionsrechner für Sachsen aktualisiert.