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Loveparade
Juristische Aufarbeitung einer Katastrophe

Am Freitag beginnt der Prozess rund um die Loveparade-Tragödie - über sieben Jahren nach der Katastrophe mit 21 Toten. Opfer und Angehörige hoffen auf Aufklärung. Neue Beweismittel sollen bei der Suche nach den Verantwortlichen helfen.

Von Benjamin Sartory | 06.12.2017
    Besucher versuchen dem Gedränge bei der Loveparade am 24. Juli 2010 in Duisburg zu entkommen.
    Besucher versuchen dem Gedränge bei der Loveparade 2010 in Duisburg zu entkommen. (dpa / picture-alliance / Erik Wiffers)
    "Neben uns kacken die Leute ab, werden totgetrampelt. Und jetzt ist kein Schwein da, der dir hilft. Kein Schwein!"
    Duisburg. Der 24. Juli 2010. Noch während auf dem Loveparade-Gelände Chaos herrscht, rücken Bereitschafts-Staatsanwälte aus. Die Ermittlungen zur Ursache der Katastrophe mit 21 Toten beginnen.
    Die damalige nordrhein-westfälische SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft zwei Tage später in einem ARD-Brennpunkt.

    "Ich glaub', wir müssen jetzt schnell aufarbeiten. Es muss deutlich werden, welche Verantwortlichkeiten lagen wo und dann muss man auch die Konsequenzen ziehen."
    Aufarbeitung kommt nicht voran
    Aus der schnellen Aufarbeitung wird nichts. Ein halbes Jahr später, im Januar 2011 gibt die Duisburger Staatsanwaltschaft immerhin erste Erkenntnisse per Pressemitteilung bekannt.
    "Nach knapp sechs Monaten intensiver Aufklärungsarbeit haben sich die Erkenntnisse zu einem Anfangsverdacht gegen insgesamt 16 Personen aus dem Verantwortungsbereich der Stadt Duisburg, des Veranstalters und der Polizei verdichtet."
    Bürger wählen Duisburger Oberbürgermeister Sauerland ab
    Keinen Anfangsverdacht haben die Ermittler gegen den Loveparade-Veranstalterchef Rainer Schaller und den Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland. Der muss dafür ein Jahr später seinen Hut nehmen. Die Bürger wählen ihn wegen seines Umgangs mit dem Loveparade-Unglück am 12. Februar 2012 ab.
    "Dies ist im Amt des Oberbürgermeisters meine letzte Pressekonferenz. Und ich möchte Sie bitten, Abstand zu nehmen, Anfragen in den nächsten Tagen noch zu stellen."
    Nadelöhr am Ein- und Ausgang
    Zwei Jahre später. Der 12. Februar 2014. Die Duisburger Staatsanwaltschaft gibt ihre Anklage wegen fahrlässiger Tötung bekannt. Für viele überraschend: Unter anderem das Verfahren gegen den Polizeiführer wird eingestellt. Die Anklage konzentriert sich auf zehn Mitarbeiter der Stadt Duisburg und des Veranstalters. Denn die hätten bei der Planung die Engstelle am Ein- und Ausgang der Technoparty erkennen müssen, so der leitende Oberstaatsanwalt Horst Bien.

    "Insbesondere dieser Bereich war damit deutlich zu schmal. Im Laufe der Veranstaltung musste es damit zu einem Versagen des Systems und zu lebensgefährlichen Situationen kommen."
    Gedränge bei der Loveparade am 24. Juli 2010 in Duisburg
    Eine Massenpanik im Ein-und Ausgangsbereich des Festivalgeländes löste 2010 in Duisburg die Katastrophe aus. (dpa / picture-alliance / Daniel Naupold)
    Landgericht lehnt Anklage 2016 ab
    Das Duisburger Landgericht muss die Anklage allerdings noch zulassen. Und nach und nach wird klar: Die zuständige Strafkammer zweifelt an einem zentralen Gutachten der Staatsanwaltschaft. Im Februar 2015 schickt sie dem britischen Sachverständigen 75 Nachfragen. Einer der Opferanwälte, Julius Reiter, ist empört.
    "Die Verfügung des Gerichts ist eine Ohrfeige für die Staatsanwaltschaft, denn diese Fragen hätte die Staatsanwaltschaft dem Gutachter genauso als Nachfragen stellen können."
    Gutachten kann Verantwortliche für das Unglück nicht nachweisen
    Der Paukenschlag folgt am 5. April 2016: Das Duisburger Landgericht lehnt die Anklage ab. Aus Sicht der Strafkammer kann das kritisierte Gutachten nicht beweisen, dass wirklich die Planer für das Unglück verantwortlich sind. Wieder kommt die Polizei ins Spiel, gegen die die Ermittlungen ja eingestellt worden waren. Der Präsident des Duisburger Landgerichts Ulf-Thomas Bender:
    "Für die Todesfälle und Verletzungen kommen aus diesem Grunde auch mögliche andere Ursachen, insbesondere die später eingezogenen Polizeiketten, die unterlassene Schließung der Zugangssystem und später entfernte Begrenzungszäune an den Eingangsanlagen in Betracht."
    Fotos der Opfer, Kerzen und Blumen an der Loveparade-Gedenkstätte in Duisburg.
    Heute erinnert eine Gedenkstätte an die Opfer in Duisburg. (picture alliance / dpa / Monika Skolimowska)
    Neue Beweismittel sehen schwere Fehler bei der Planung
    Staatsanwaltschaft und Nebenkläger legen sofort Beschwerde gegen den Beschluss ein. Am Ende mit Erfolg. Am 24. April 2017 teilt das Düsseldorfer Oberlandesgericht als zweite Instanz mit: Der Prozess wird doch eröffnet. Die Präsidentin des Gerichts, Anne-José Paulsen, tritt vor die Presse:
    "Das Ermittlungsergebnis lege nah, dass die unzureichende Dimensionierung des Ein- und Ausgangssystems und die mangelnde Durchflusskapazität für die Besucher planerisch angelegt und für die Angeklagten vorhersehbar zu der Katastrophe geführt haben."
    Am 24. Oktober 2017 - also knapp sieben Wochen vor Prozessbeginn - teilt die Staatsanwaltschaft mit, dass der erste Teil eines neuen Sachverständigengutachtens vorliege. Auch das neue Beweismittel sieht schwere Fehler bei der Planung und Genehmigung der Duisburger Loveparade.