Donnerstag, 18. April 2024

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Online-Petition zum Loveparade-Unglück
"Sie wollen ein Zeichen setzen"

Mit einer Online-Petition fordern heute 350.000 Unterstützer einen Strafprozess zum Loveparade-Unglück. Der Rechtsanwalt Julius Reiter sagte im DLF, er sei zuversichtlich, dass das Oberlandesgericht die Entscheidung des Landgerichts aufhebe und die Anklage doch noch zugelassen werde.

Julius Reiter im Gespräch mit Doris Simon | 25.07.2016
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    Es wurden auch viele Kerzen aufgestellt, um an die Opfer zu erinnern (Bild: picture alliance / dpa) (Roland Weihrauch/DPA)
    Opfer-Anwalt Reiter sagte, mit der Online-Petition wollten die Opfer und Hinterbliebenen ein Zeichen setzen, dass sie die Entscheidung, die Anklage nicht zuzulassen, nicht nachvollziehen können. Sie appellierten an das Oberlandesgericht, die Sache nicht auf sich beruhen zu lassen, sondern das Landgericht anzuweisen, die Anklage doch noch zuzulassen.
    Reiter sprach sich für die Einrichtung einer unabhängigen Untersuchungskommission für die Aufarbeitung von Katastrophenfällen aus. Die Erfahrung zeige, dass die Behörden in Deutschland nicht gut gerüstet für Großkatastrophenfälle seien. Beispiele seien das ICE-Unglück in Eschede oder der Großbrand im Düsseldorfer Flughafen. Im angelsächsischen Raum gebe es bereits unabhängige Untersuchungskommissionen.
    Die Initiatoren übergeben dem Oberlandesgericht (OLG) in Düsseldorf heute eine Online-Petition, mit der 350.000 Unterstützer einen Strafprozess fordern.
    Bei dem Techno-Festival in Duisburg waren am 24. Juli 2010 im Gedränge 21 junge Menschen ums Leben gekommen. Nachdem das Landgericht Duisburg im April die Anklage gegen zehn Beschuldigte nicht zur Hauptverhandlung zugelassen hatte, legten Staatsanwaltschaft und Nebenkläger Beschwerde ein. Darüber muss in den kommenden Monaten das OLG entscheiden. Bislang sind die Akten aber noch nicht beim OLG eingetroffen.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Doris Simon: Es sollte eine große Party werden, die Loveparade in Duisburg vor sechs Jahren. Aber dann kamen bei einer Massenpanik und Gedränge 21 Menschen ums Leben, über 500 wurden verletzt. Eine Aufarbeitung gibt es bis heute nicht. Gestern wurde des Tages gedacht.
    Julius Reiter vertritt als Anwalt an die 100 Betroffene. Ihn habe ich vor dieser Sendung gefragt, was die Opfer der Loveparade und die Hinterbliebenen erreichen wollen mit der Petition?
    Julius Reiter: Sie wollen ein Zeichen setzen dafür, dass sie die Entscheidung, die Anklage nicht zuzulassen, nicht nachvollziehen können. Und appellieren an die Verantwortung des Oberlandesgerichts, diese Sache nicht einfach auf sich bewenden zu lassen, sondern stattdessen das Landgericht anzuweisen, die Anklage doch noch zuzulassen.
    Simon: In dieser Anklage geht es wie gesagt um zehn Personen, teilweise von der Stadt Duisburg, teilweise von der Organisation der Loveparade. Es geht ausdrücklich nicht um politisch Verantwortliche damals in Duisburg. Es geht auch nicht um zum Beispiel Polizeibeamte, obwohl das Landgericht ausdrücklich zum Beispiel die Polizeiketten damals im Tunnel und auf der Rampe der Loveparade vor sechs Jahren als eine mögliche Ursache der Katastrophe bezeichnet hat. Dass man eine Anklage auch gegen diesen Personenkreis erhebt, ist nicht mehr möglich?
    Reiter: Das ist richtig. Die Polizei ist draußen. Und da muss man erkennen, dass die Staatsanwaltschaft sich darauf konzentriert, zu sagen, es ist ein Planungsfehler. Und alles andere, was dann geschehen ist, ist nicht mehr kausal. Wenn dieser Planungsfehler nicht gewesen wäre, dann wäre alles andere auch nicht passiert. Das, was die Polizei gemacht hat, ist nachgelagert. Hier trifft die Verantwortung den Veranstalter beziehungsweise dessen Mitarbeiter und die Stadtverwaltung. So sieht es die Staatsanwaltschaft.
    Simon: Haben Sie denn Anzeichen dafür als Vertreter von Opfern, in welche Richtung die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Düsseldorf gehen könnte für eine Anklageerhebung?
    Reiter: Ausgang beim OLG Düsseldorf ist völlig offen
    Reiter: Nein, das ist völlig offen. Ich bleibe aber zuversichtlich, dass das Oberlandesgericht diesen Beschluss des Landgerichts aufhebt, als rechtsfehlerhaft erkennt. Dann ist zwar wieder Zeit verloren gegangen, aber die Staatsanwaltschaft versucht diese Zeit ja etwas aufzuholen, indem sie jetzt schon ein Gutachten beantragt hat, einen neuen Gutachterauftrag erteilt haben, sodass möglichst bald dann die Richter auch noch ein Ersatzgutachten haben.
    Simon: Im Strafrecht muss ja immer individuelle Schuld nachgewiesen werden, damit bestraft werden kann. Das ist ja einerseits recht schwierig - das sehen wir bei so komplexen Sachverhalten, Beispiel Prozesse zur Kölner Silvesternacht. Außerdem kann damit ja nur bedingt Aufarbeitung geleistet werden. Ist es trotzdem richtig, den Weg übers Strafrecht einzuschlagen?
    Reiter: Ich finde, dass die Erfahrung zeigt, dass wir in Deutschland nicht gut gerüstet sind für diese Großkatastrophenfälle. Denken Sie an den Flughafenbrand in Düsseldorf, kein Verurteilter am Ende, eine Blamage für die Justiz, auch ein Trauma hier in diesem Oberlandesgerichtsbezirk, dann Eschede, ...
    Simon: Das ICE-Unglück.
    Reiter: Das ICE-Unglück. Und wenn Sie sich Italien angucken, da haben die innerhalb von anderthalb Jahren die Sache mit der Costa Concordia aufgearbeitet, die Opfer sind entschädigt worden. Ich glaube, wir brauchen in Deutschland unabhängige Untersuchungskommissionen, damit die Leute erst mal Klarheit haben, was ist dort passiert. Im angelsächsischen Raum gibt es so etwas und das würde weiterhelfen.
    Ich sehe es ja hier aus der Vertretung der Opfer und Hinterbliebenen, wie schwer das ist, deren Rechte durchzusetzen. Wenn ich jetzt vors Zivilgericht ginge, um jetzt Schmerzensgeld einzuklagen, um Schadenersatz einzuklagen, dann muss ich selber den Beweis liefern, weil dort der Beibringungsgrundsatz gilt. Das heißt, der Geschädigte muss beweisen, was an dem Tag passiert ist. Vorm Strafgericht ist das anders. Deshalb schielen wir so auf dieses Strafverfahren, denn dort muss der Richter versuchen, die Wahrheit herauszufinden, was ist an dem Tag tatsächlich passiert. Deshalb stehen wir im Grunde genommen ganz dumm da, wenn dieses Verfahren eingestellt wird, die Anklage nicht zugelassen wird. Weil dann die Opfer jetzt selber noch mal Gutachten bemühen müssten, um den Sachverhalt zu beweisen. Und alle werden die Schuld von sich weisen. Das ist eigentlich gar nicht möglich.
    Simon: Eine erneute Traumatisierung. Aber diese unabhängige Kommission, die Sie angesprochen haben, das würde außerhalb des üblichen gerichtlichen Prozesses laufen?
    Reiter: Neue Instrumentarien schaffen
    Reiter: Ich glaube, dass wir so ein Instrumentarium schaffen müssten. Vielleicht bekommt man auch außerhalb des Strafrechtlichen mehr heraus aus den Leuten, wenn nicht gleich die strafrechtliche Keule über einem schwebt. Ich finde nur, diese Verfahren, auch NSU-Prozess und so weiter, zeigen eigentlich, dass dieses Strafprozessrecht nicht geeignet ist, diese Großverfahren aufzuarbeiten. Und wenn es um Täter-Opfer-Ausgleich geht, dann werden Sie immer erleben, dass die Strafverteidiger natürlich blockieren, weil sie Angst haben, dass das sofort als Schuldanerkenntnis gesehen wird, wenn man in irgendeiner Form den Opfern gegenüber Zugeständnisse macht. Und wenn sie nur finanzieller Art sind.
    Simon: Herr Reiter, Sie vertreten ja an die 100 betroffene Opfer der Loveparade von Duisburg vor sechs Jahren. Sagen die Ihnen denn auch, dass das ihnen erst mal reichen würde?
    Reiter: Natürlich möchten die Opfer und Hinterbliebenen Verurteilte sehen. Aber das Wichtigste ist erst einmal - und das hören Sie überall heraus -, zu erfahren, was an dem Tag eigentlich geschehen ist. Bei dem Germanwings-Absturz beispielsweise hat die Staatsanwaltschaft alle eingeladen nach Paris und alle Hinterbliebenen sind im Raum geblieben, als die Staatsanwaltschaft dann vorgeführt hat, was tatsächlich geschehen ist, wie die letzten Minuten für die Opfer abgelaufen sind, was sie durchlitten haben. Die Hinterbliebenen und Angehörigen haben einfach ein Bedürfnis danach. Und ich kann das auch sehr gut nachvollziehen.
    Simon: Die Angehörigen, nur um das mal plastisch zu machen, der ausländischen Todesopfer der Duisburger Loveparade, die bekommen ja wenigstens zum Jahrestag die Anreise und die Unterkunft bezahlt. Aber die Hinterbliebenen deutschen Todesopfer und alle anderen noch lebenden und teilweise schwer traumatisierten Opfer bekommen gar nichts. Fehlt hier in Deutschland Aufmerksamkeit, fehlt Lobby für solche Opfer? Sind die am Ende immer auf sich selber gestellt?
    Reiter: Schmerzensgelder in Deutschland zu gering
    Reiter: Auf jeden Fall. Wir haben viel zu geringe Schmerzensgelder, die in Deutschland gegeben werden bei solchen Anlässen. Es ist ja so, dass eine Familie beispielsweise, die um einen Angehörigen trauert, an so einem Tag einfach einen Tag der Besinnung haben will. Es geht gar nicht darum, dass das Riesengelder sein müssen. Aber die wollen dann zusammenkommen oder einfach nachdenken. Und dafür braucht man natürlich in gewisser Weise auch Geld. Das Justizministerium hat ja mal davon gesprochen, dass sie Trauergeld einführen wollen bis zu 50.000 Euro. Das Gesetzesvorhaben ist aber jetzt nicht weiter vorangetrieben worden. Ich schätze, da muss erst wieder eine Katastrophe kommen, bis das aus der Schublade geholt wird. In Deutschland ist es für Versicherungen unwahrscheinlich billig, Großschäden zu haben, weil in Deutschland nicht die Schmerzensgelder und die Schadenersatzzahlungen geleistet werden wie in anderen Ländern. Obwohl Versicherungen ja internationale Konzerne sind, die über die ganze Welt rückversichert sind und verbunden sind miteinander. Wir sind hier in gewisser Weise die Billigheimer. Und das mit gesetzgeberischer Unterstützung für die Versicherungen.
    Simon: Julius Reiter vertritt als Anwalt an die 100 Opfer der Loveparade und Hinterbliebenen der Loveparade. Der Jahrestag der Katastrophe war gestern. Heute werden 350.000 Unterschriften überreicht am Oberlandesgericht Düsseldorf für eine Petition, um ein neues Verfahren wieder aufzunehmen. Herr Reiter, vielen Dank für das Gespräch!
    Reiter: Ihnen auch vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.