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Antikorruptionsprogramm
Operation Händewaschen - vor 30 Jahren erschütterte "Mani pulite" Italiens Erste Republik

Der Fall eines korrupten Mailänder Kommunalpolitikers offenbarte 1992 einen italienweiten Komplex illegaler Parteienfinanzierung. Die Justiz bildete eine Sondereinheit namens „Mani pulite – saubere Hände“ - und brachte das politische System des Nachkrieg-Italiens ins Wanken.

Von Henning Klüver | 17.02.2022
Eine zentrale Figur im "mani pulite"-Skandal: Italiens langjähriger Regierungschef und PSI-Vorsitzender Bettino Craxi (r.) hier 1979 mit dem christdemokratischen Senatspräsidenten Amintore Fanfani in Rom
Eine zentrale Figur im "mani pulite"-Skandal: Italiens langjähriger Regierungschef und PSI-Vorsitzender Bettino Craxi (r.) hier 1979 mit dem christdemokratischen Senatspräsidenten Amintore Fanfani in Rom (picture-alliance/ dpa)
Am späten Nachmittag des 17. Februar 1992 betrat der Reinigungsunternehmer Luca Magni im Pio Albergo Trivulzio, einer großen städtischen Sozialeinrichtung von Mailand, das Büro des Direktors Mario Chiesa. Er überreichte sieben Millionen Lire, umgerechnet 3.500 Euro, in Geldscheinen, die aber zuvor von der Staatsanwaltschaft signiert worden waren. Das war die erste Rate einer geforderten Gegenleistung für einen Großauftrag, den Magni erhalten hatte. Chiesa deponierte das Geld in einer Kassette. Was er nicht wusste: Magni hatte sich von einem Carabiniere in Zivil begleiten lassen, der im Vorzimmer wartete. Der ermittelnde Staatsanwalt Antonio Di Pietro erinnerte sich später in einem Dokumentarfilm:
„Ich bin sofort hingefahren und habe gebeten, die Kassette zu öffnen. Da war das Geld drin, und ich habe gefragt, wessen Geld das sei. Mein Geld, hat Chiesa gesagt. Nein, habe ich gesagt, mein Geld, denn da ist überall meine Unterschrift drauf.“

Die Presse taufte die Schmiergelder "Tangenti"

Mario Chiesa war nicht einfach nur ein korrupter städtischer Beamter, sondern führendes Mitglied der Sozialistischen Partei Mailands, die seit Jahrzehnten die politische Szene der Stadt prägte. Als enger Vertrauter des Parteichefs und zweifachen Ministerpräsidenten Bettino Craxi galt Chiesa als Anwärter auf den Stuhl des Bürgermeisters für die nächste Kommunalwahl. Bereits in den Jahren zuvor hatte es Vermutungen gegeben, dass Teile der Politik in Mailand und eine Gruppe von Unternehmen eine Art Kartell bilden würden, bei dem Ausschreibungen für öffentliche Aufträge manipuliert würden und an die Parteien im Gegenzug für den Gewinn der Ausschreibung rund zehn Prozent der jeweiligen Auftragssumme – „Tangenti“ im journalistischen Jargon – weiterflossen. Gerichtlich verwertbare Beweise für systematische Korruption blieben jedoch aus. Mario Chiesa schwieg hartnäckig in Untersuchungshaft. Er hoffte darauf, dass ihn sein Parteichef irgendwie rausboxen würde. Doch Craxi ließ Chiesa fallen und versuchte die Angelegenheit in einem Fernsehinterview als Gaunerei eines Einzelnen darzustellen:
"Auch ich bin ein Opfer dieser Angelegenheit. Ein kleiner Gauner wirft Schatten auf das Bild einer Partei, die sich in Mailand in 50 Jahren nichts zuschulden hat kommen lassen.“
Der „kleine Gauner“ Mario Chiesa packte jetzt tiefgetroffen aus. Eine Reihe von Unternehmern wurde daraufhin wegen Bestechung verhaftet. Da ging es längst nicht mehr um Sozialeinrichtungen, sondern um Milliardenaufträge für eine neue U-Bahnlinie oder den Umbau des Fußballstadions. Staatsanwalt Antonio Di Pietro bildete zusammen mit zwei weiteren Kollegen einen Pool, eine Sondereinheit unter dem Namen „Mani pulite – saubere Hände“, die sich allein diesen Fällen von systematischem Amtsmissbrauch, Korruption und illegaler Parteienfinanzierung widmete.

Wie der Skandal in die neapolitanische Folklore einging

Ein System, für das die Medien den Begriff „Tangentopoli“ schufen, der sogar im neapolitanischen Volkslied Eingang fand. Denn ähnliche kriminelle Verbindungen von Politik und Wirtschaft kamen nicht nur in Mailand, sondern auch in anderen Städten, in Neapel oder Rom ans Licht, wo nun ebenfalls Sondereinheiten der Staatsanwaltschaften gebildet wurden. Bis Ende März 1993 gab es im Zusammenhang mit „Tangentopoli“ 1356 Verhaftungen und über 1.000 Einleitungen von Strafverfahren:
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"Die Einzelvorgänge liefen so zusammen zu einem großen Prozess gegen eine ganze politische Elite.", kommentierte Jens Petersen vom Deutschen Historischen Institut in Rom in seinem Buch „Quo vadis, Italia?“

Berlusconi et al. - die Profiteure des Skandals

Derweil spalteten sich die alten Regierungsparteien, allen voran die Christdemokraten, die nach Kriegsende ununterbrochen an der Macht beteiligt gewesen waren. Die Sozialisten lösten sich nach einer über einhundertjährigen Tradition sang- und klanglos auf. Neue Gruppen bildeten sich. Die Lega Nord eroberte Mailand bei den Kommunalwahlen 1993 aus dem Stand. Und bei den vorgezogenen Parlamentswahlen 1994 triumphierte die Forza Italia, die ein Silvio Berlusconi in Windeseile aus dem Boden gestampft hatte.