Donnerstag, 16. Mai 2024

Atomkraft
Kommentar: Kleine AKWs als Sicherheitsrisiko

Sogenannte „Small Modular Reactors“ seien der neue Nuklear-Hype, kommentiert Gerwald Herter. Nüchtern betrachtet blieben die Versprechen der kleineren Atomkraftwerke aber vage. Und in Kriegszeiten uferten die Sicherheitskosten ins Unerträgliche aus.

Kommentar von Gerwald Herter | 06.05.2024
Das Atomkraftwerk Nogent-sur-Seine - davor eine Hochspannungsleitung
Noch gibt es in Europa vor allem große Atomkraftwerke. So sollte es auch bleiben, kommentiert Gerwald Herter. (IMAGO / ABACAPRESS / Januario Helder)
Man muss die FDP auch einmal loben. Bei ihrem Parteitag am letzten Sonntag haben sich die Delegierten gegen einen Wiedereinstieg in die Atomkraft in Deutschland ausgesprochen. Und damit haben sie recht.
Schließlich herrscht Krieg in Europa, Russland hat die Ukraine völkerrechtswidrig angegriffen und niemand weiß, wie und wann dieser Krieg zu Ende gehen wird. Sicherheit war immer das größte Problem von Atomkraftwerken. Trotz Tschernobyl und Fukushima ist es aus Sicht der Befürworter zwar beherrschbar, aber doch zumindest ein Faktor, der zu sehr hohen Kosten führt.
Realistisch angesetzt würden diese Sicherheitskosten jetzt ins Unerträgliche ausufern, besonders, wenn sich in Deutschland die Idee durchsetzt, statt großer Reaktoren, kleinere Atomkraftwerke einzusetzen. Sogenannte „Small Modular Reactors“, also kleine, modulare Reaktoren, sind international so etwas wie der neue Nuklear-Hype.

Deutschland ist dicht besiedelt

Viel Geld ist im Spiel und damit lässt sich weltweit viel Atom-Marketing machen. Nüchtern betrachtet bleiben die Versprechen auf die kleineren Atomkraft-Werke als Game-Changer aber sehr vage. Ausgerechnet Russland muss immer wieder als Beispiel herhalten, das den Fortschritt belegen soll. Weil dort schon zwei kleinere Reaktoren, die sich auf einem Schiff, der „Akademik Lomonossow“ befinden, eine nordsibirische Stadt und nahe Bergwerke seit einigen Jahren mit elektrischer Energie versorgen.
Das erinnert daran, dass gerade Schiffe seit Jahrzehnten mit kleineren Atomreaktoren betrieben werden - nichts wirklich Neues also. Es sind aber vor allem Kriegsschiffe, deren Sicherheit von ganzen Armeen garantiert werden kann. Und Schiffe lassen sich, wenn etwas schiefgeht, rasch in menschenleere Meeresgebiete bringen. Bei kleineren Atomreaktoren, die an allen möglichen Orten im dicht besiedelten Deutschland laufen würden, wäre das leider nicht so.

Schutz durch Nebelwände und Flugabwehrraketen

Denn trotz des Marketingkonfettis, das die Idee von den „ganz anderen“, angeblich völlig neuen Atomkraftwerken einhüllt: Die Grundgesetze der Physik lassen sich selbst mit noch so hohen Entwicklungsinvestitionen nicht aufheben. Auch in kleineren Reaktoren finden Kettenreaktionen statt, auch sie müssen gekühlt werden, auch sie sind schon deshalb ein Sicherheitsrisiko.
Das betrifft einerseits mögliche Pannen, andererseits Einwirkungen von außen. Es war schon aufwändig genug, die inzwischen abgeschalteten Reaktoren in Deutschland in den letzten Jahrzehnten vor möglichen terroristischen Anschlägen, militärischen Angriffen, Flugzeugabstürzen, Cyberangriffen und zuletzt auch anfliegenden Drohnen zu schützen.
International betrachtet reichen die Maßnahmen von Nebelwänden bis hin zu Flugabwehrraketen. Also viel Aufwand. Wenige, große Reaktoren lassen sich zumindest viel kostengünstiger schützen als viele kleine. Das entspricht ökonomischen Erfahrungswerten, es geht um Skaleneffekte, die sich ebenfalls nicht einfach so außer Kraft setzen lassen.

Grundsatzprogramm der CDU geht in die falsche Richtung

Deutschland muss sich nicht allein mit klassisch-militärischen Bedrohungsszenarien und kürzeren Vorwarnzeiten auseinandersetzen, sondern auch mit hybriden Angriffen. Die Sicherung kritischer Infrastruktur ist da besonders wichtig und besonders aufwändig. Sogenannte „kleine Atomreaktoren“ passen schon deshalb nicht hierher. Noch dazu produzieren auch sie Atommüll, von dem noch niemand weiß, wo er endgültig gelagert werden soll, wenn das überhaupt geht.
Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 hatte eine schwarz-gelbe Koalition unter Führung von Bundeskanzlerin Merkel den Atomausstieg beschlossen. Ihre Partei, die CDU wird in der kommenden Woche ihr Grundsatzprogramm beschließen. Im Entwurf steht der Satz: „Deutschland kann zurzeit nicht auf die Option Kernkraft verzichten“.  Das ist falsch. Noch dazu lässt sich schwer erkennen, was dieser Satz überhaupt bedeuten soll, welche Folgen er also hätte. Entwürfe lassen sich ändern.
Gerwald Herter
Gerwald Herter studierte Geschichte und Internationale Beziehungen in München und Straßburg. Tätigkeit im Institut für Zeitgeschichte, freie Mitarbeit bei ARTE und beim ARD-Fernsehen. Volontariat beim Bayerischen Rundfunk. BR-Korrespondent zunächst in Bonn, dann in Brüssel, anschließend Leiter des ARD-Studios Südosteuropa, später ARD-Terrorismusexperte. Seit 2011 in der Abteilung Hintergrund des Deutschlandfunks, Schwerpunkt Europa- und Internationale Politik.