Samstag, 27. April 2024

Neues Grundsatzprogramm
Wohin steuert die CDU?

Härterer Migrationskurs, Schuldenbremse, verpflichtendes Gesellschaftsjahr: Die CDU will Anfang Mai 2024 ihr viertes Grundsatzprogramm beschließen. Was bedeutet es für die Ausrichtung der Partei?

19.04.2024
    Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz steht vor Publikum an einem Rednerpult, hinter ihm an der Wand ist auf einem runden Schild zu lesen: Grundsätzlich CDU. Rechts am Bühnenrand sind die Farben Schwarz, Rot, Gold als aufstrebende Balkendiagramme zu sehen.
    Die CDU unter Parteichef Friedrich Merz gibt sich ein neues Grundsatzprogramm. Kann sie damit die AfD schwächen? (picture alliance / dpa / Ole Spata)
    Die CDU hat den Entwurf für das vierte Grundsatzprogramm in der Geschichte der Partei vorgelegt. Das 70-seitige Papier mit dem Titel „In Freiheit leben – Deutschland sicher in die Zukunft führen“ soll helfen, nach dem Gang in die Opposition im Jahr 2021 den CDU-Markenkern neu zu bestimmen.
    Neben einer restriktiveren Migrationspolitik enthält die Vorlage ein klares Bekenntnis zu Israel sowie eine Entlastung bei der Einkommensteuer. In der Energiepolitik setzt die CDU auf Technologieoffenheit. Die Rente soll durch eine obligatorische kapitalgedeckte Altersvorsorge ergänzt werden. Das Programm soll auf dem CDU-Parteitag im kommenden Jahr beschlossen werden.
    Mit dem Programm richtet sich Partei einerseits konservativer aus, sagen Experten. Doch es gibt auch progressive Elemente. Was steht im Entwurf und was bedeutet er für die Ausrichtung der Partei tatsächlich?

    Inhalt

    Was steht im Entwurf für ein neues CDU-Grundsatzprogramm?

    Migration
    Die CDU spricht sich für Asylverfahren in Drittstaaten aus. „Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen“, heißt es in dem Dokument. Im Falle eines positiven Ausgangs werde der sichere Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren. Dazu müsse mit dem Drittstaat eine umfassende vertragliche Vereinbarung getroffen werden.
    Das Papier sieht vor, dass nach der erfolgreichen Einrichtung des Drittstaatenkonzepts „eine Koalition der Willigen innerhalb der EU jährlich ein Kontingent schutzbedürftiger Menschen aus dem Ausland aufnimmt und auf die Koalitionäre verteilt“. Mit diesem Kontingent würde es eine Obergrenze für Zuzug geben. Eine konkrete Zahl nennt die CDU nicht. Das Grundrecht auf Asyl tastet die Partei nicht an.
    Leitkultur
    Die CDU setzt sich für eine Leitkultur in Deutschland ein, ein Begriff, den im Jahr 2000 Friedrich Merz in die politische Debatte eingebracht hatte. Laut dem CDU-Programmentwurf gehörten dazu die Achtung der Würde jedes Menschen, der Grund- und Menschenrechte, des Rechtsstaats, des Respekts und der Toleranz sowie die Anerkennung des Existenzrechts Israels. „Nur wer sich zu unserer Leitkultur bekennt, kann sich integrieren und deutscher Staatsbürger werden“, heißt es in dem Entwurf.
    Das Papier betont zudem, „jüdisches Leben gehört zu Deutschland“. Zu den hier lebenden Muslimen hieß es ursprünglich: „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland.“ Nach Kritik, wonach Muslime damit stigmatisiert würden, änderte die Antragskommission im April 2024 diesen Satz. Nun heißt es: „Muslime sind Teil der religiösen Vielfalt Deutschlands und unserer Gesellschaft.“ Ergänzend dazu: „Ein Islam, der unsere Werte nicht teilt und unsere freiheitliche Gesellschaft ablehnt, gehört nicht zu Deutschland.“
    Die CDU grenzt sich damit auch von einem Satz des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff (CDU) ab, der 2010 gesagt hatte: „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“
    Energiepolitik und Klimaschutz
    In der Energiepolitik fordert die CDU eine Kehrtwende beim Atomausstieg. „Wir können zurzeit nicht auf die Option Kernkraft verzichten“, heißt es in dem Dokument. „Dem Klimawandel begegnen wir technologieoffen und setzen auf Anreize.“ Energie müsse „sicher, sauber und bezahlbar“ sein.
    Haushalt
    Mit dem Programmentwurf stellt sich die CDU hinter die Schuldenbremse als Gebot der Generationengerechtigkeit. Schattenhaushalte wie schuldenfinanzierte Sondervermögen lehnt sie demnach grundsätzlich ab – sie „dürfen nur in äußersten Ausnahmefällen eingerichtet und später nicht für andere Zwecke umgewidmet werden“.
    Arbeitsmarkt
    Kleine und mittlere Einkommen sollen nach Vorstellung der CDU entlastet werden. „Wer Sozialleistung erhält und arbeiten kann, soll arbeiten“, heißt es im Entwurf.
    Wer mehr arbeiten wolle als bisher, soll dazu attraktive Rahmenbedingungen vorfinden: „Deshalb wollen wir Überstunden bei Vollzeitbeschäftigung steuerfrei stellen.“
    Rente
    In ihrem Entwurf spricht sich die CDU für eine längere Lebensarbeitszeit für jenen aus, die arbeiten können. Außerdem will die Partei die Regelaltersgrenze an die Lebenserwartung koppeln. Vieles spreche dafür, wenn die Rente finanzierbar gehalten werden solle.
    Es soll eine verpflichtende kapitalgedeckte Altersvorsorge eingeführt werden – für Menschen mit geringem Einkommen seien staatliche Zuschüsse nötig. Wer nach dem Erreichen des gesetzlichen Rentenalters freiwillig weiterarbeiten wolle, solle sein Gehalt bis zu einem bestimmten Betrag steuerfrei bekommen.
    Gesellschaftsjahr und Sprachtests
    Die CDU setzten sich für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für alle Schulabgänger ein. Jedes Kind soll laut Entwurf im Alter von vier Jahren einen einheitlichen und verpflichtenden Sprachtest machen.

    Wird die CDU nun konservativer?

    Der Politologen Jürgen Falter spricht mit Blick auf das Programm von einer Verschiebung zum Konservativeren hin. Ähnlich bewertet die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch das Papier: Es sei der Versuch, wieder ein Stück weit vor die Merkel-Zeit zu kommen. Die CDU wolle wieder sichtbar konservativer werden, man wolle verhindern, „in so einem Einheitsmittebrei übersehbar zu werden“.
    Neben konservativen Positionen erkennt Dlf-Korrespondentin Katharina Hamberger aber auch progressive Anteile in dem Papier. Beispielsweise werde die Ehe nicht mehr definiert als die Gemeinschaft von Mann und Frau, sondern als Gemeinschaft von zwei Menschen. Das hätte man so bei der CDU früher nicht gelesen, sagt Hamberger.

    Ahmt die CDU mit ihrem Programm die AfD nach?

    Das neue Grundsatzprogramm der CDU hat bei muslimischen Verbänden scharfe Kritik ausgelöst. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, warf der Partei vor, am rechten Wählerrand zu fischen. Dabei bezog er sich auf die Formulierung „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland“. Mazyek sagte dem „Stern“: „Spicken bei der AfD war schon in der Schule nicht besonders klug. Im Übrigen wird erfahrungsgemäß der Wähler das Original am Ende wählen.“ Der deutsche Islamrat kritisierte die Passage ebenfalls.
    Dagegen hält der Politologe Jürgen Falter den kritisierten Satz „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland“ für taktisch gut gewählt. Er sagte, mit Blick auf die CDU-Wähler dürfte dies mehrheitlich auf Zustimmung stoßen. Es gehe hierbei jedoch nicht um christliche Werte, sondern um ein Bekenntnis zu unserer Verfassung.
    Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch hält es für falsch, zu attestieren, die CDU ahme in ihrem Grundsatzprogramm der AfD nach. Die konservativen Einschätzungen des Papiers seien deutlich älter als die AfD. Allerdings seien sie zum Teil in der Amtszeit von Angela Merkel ein bisschen in Vergessenheit geraten. Münch sieht in dem Programm konservative Positionen ohne Rassismus, ohne Antisemitismus und ohne Antiislamismus.
    Münch glaubt zudem – im Gegensatz zu Mazyek –, dass die CDU der AfD mit manchen ihren Positionen Wähler abwerben könne. Etwa mit ihren Forderungen nach einer härten Flüchtlingspolitik, den Warnungen vor Islamismus oder der geplanten Abschaffung der Gendersprache in Behörden oder Schulen.
    Auch der Politologe Uwe Jun meint, die CDU könne der AfD mit einer stärker konservativen Profilierung Wähler abspenstig machen. Allerdings geht er von einer relativ kleinen Anzahl aus. Die CDU müsse zudem in Rechnung stellen, dass ihr dadurch Wähler der politischen Mitte verloren gehen könnten. Doch sei dort das Wählerpotenzial viel höher.

    Will die CDU den Sozialstaat beschneiden?

    Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisierte das Grundsatzprogramm ausdrücklich. „In einer Zeit, in der immer mehr Teile der Bevölkerung Abstiegsängste haben, ist das Papier denkbar ungeeignet, die Menschen zu beruhigen", sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Verbandes. Schneider sprach von einem Angriff auf die gesetzliche Rentenversicherung und das Bürgergeld. Es würden die Grundpfeiler des Sozialstaats zur Disposition gestellt.
    Ein Grundsatzprogramm ist jedoch kein Wahlprogramm und schon gar kein Koalitionsvertrag – darauf weist die Politologin Ursula Münch hin. Als Partner in einer Regierungskoalition müsste die CDU von ihrem Grundsatzprogramm abrücken und Kompromisse eingehen. Hieße der Koalitionspartner SPD, wären harte Einschnitte in der Sozialpolitik eher unwahrscheinlich.

    Wird es mit einer CDU-Regierung ein Zurück zur Atomkraft geben?

    Die Positionierung der Partei zur Atomkraft-Frage war in der CDU stark diskutiert worden, berichtet Dlf-Korrespondentin Katharina Hamberger. Nicht jeder in der Partei sei begeistert von einem Zurück zur Kernenergie. Schon der Ausstieg in der Regierungszeit Angela Merkel war parteiintern umstritten. Daher sei Formulierung im Grundsatzprogramm „relativ offen“. Die Partei sage nicht, wir wollen sofort zurück, zugleich sage man, wir verschließen uns der Atomkraft nicht.
    Die Politologin Ursula Münch glaubt, das Thema Atomkraft sei für Deutschland abgehakt. Aus dem Grundsatzprogramm könne man aber zumindest die Forderung nach einer gewissen Technologieoffenheit herauslesen. Etwa mit Blick auf Forschung.

    Kann die CDU mit dem Grundsatzprogramm bei den Wählern punkten?

    Dass die CDU mit ihrem neuen Grundsatzprogramm Wähler für sich gewinnen kann, bezweifeln die Politologen Falter und Münch. Grundsatzprogramme würden von den Bürgern kaum gelesen. Wichtiger für die Wahlentscheidung sind nach Ansicht von Experten die Wahlprogramme der Parteien.

    tmk