Donnerstag, 18. April 2024

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Vor 400 Jahren getauft
Molière - das schöne Theater der Gnadenlosigkeit

Mit einer noch heute bewunderten Sprache erneuerte der französische Dramatiker Molière durch Werke wie "Tartuffe" oder "Menschenfeind" das Theater. Er brachte die Widersprüche seiner Epoche schonungslos auf den Punkt. Vor 400 Jahren wurde er getauft.

Von Maike Albath | 15.01.2022
Eine Zeichnung von Jean Baptiste Molière.
Eine Zeichnung von Jean-Baptiste Molière (imago stock & people)
Paris, 15. Februar 1665. Am Palais Royale führt der Hofdramatiker, Regisseur und Schauspieler Molière pünktlich zum Karneval seine neue Prosakomödie "Don Juan" auf. Molière selbst tritt in der Rolle des Kammerdieners Sganarelle auf, der seinen liebeswütigen Herrn zu mehr Anstand mahnt. Aber Don Juan will davon nichts wissen.
"Nein, nein, Beständigkeit taugt nur für Narren! Alle schönen Weiber haben ein Recht darauf, uns zu begeistern. Mich bezaubert die Schönheit überall, wo ich sie finde."

Eklat um Don Juans Kammerdiener

Molières Don Juan, ist ein nihilistischer Freigeist, der sämtliche gesellschaftliche Institutionen verhöhnt. Folgerichtig landet er schließlich in der Hölle. Sein Diener Sganarelle erstarrt nicht vor Angst, sondern hat durch und durch weltliche Sorgen.
"Mein Lohn! Wo bleibt mein Lohn? Da hat nun ein jeder seine Genugtuung durch dieses Ende, der beleidigte Himmel, die verletzten Gesetze, die geschändeten Mädchen, die entehrten Familien, die beschimpften Eltern, die verführten Ehefrauen, die betrogenen Männer, die ganze Welt ist zufrieden gestellt. Ich allein bin der Unglückliche. Mein Lohn! Mein Lohn1"

 Molière, der Skandal-Routinier

Schon nach der ersten Aufführung ist Molière gezwungen, die Schlussworte des Kammerdieners wegen mangelnder religiöser Ehrfurcht zu streichen. Seine spitzfindige Mischung aus Drama, Farce und Gesellschaftssatire wird dann vier Wochen später endgültig abgesetzt. Es entbrennt ein heftiger Streit um die Gottlosigkeit des Stückes. Molière sind Auseinandersetzungen dieser Art nur allzu vertraut: 1664 hatte seine Verskomödie "Tartuffe" über einen parasitären Frömmler einen veritablen Theaterskandal ausgelöst. Seit jeher wählte er eher den unbequemen Weg.

Ab 1643 Impresario

Molière wurde am 13. oder 14. Januar 1622 als Jean-Baptiste Poquelin geboren und am 15. Januar getauft. Als Sohn eines königlichen Tapissiers wäre ihm die Nachfolge am Hof sicher gewesen, doch davon wollte er nichts wissen. Ob er tatsächlich das Jesuitenkolleg in Clermont besuchte und eine Anwaltslizenz erwarb, ist ungewiss. Belegt ist die Gründung einer Theatertruppe 1643 gemeinsam mit der Schauspielerin Madelaine Béjart und deren Geschwistern. Schulden erzwangen die Auflösung, aber der junge Mann, der sich jetzt Molière nannte, und die Béjarts schlossen sich einer anderen Kompagnie an und zogen 13 Jahre lang durch die Provinz.

Die heuchelnde Hof-Gesellschaft als dankbares Thema


Die Erfahrungen als Leiter der Truppe kamen Molière zugute, als er 1658 nach Paris zurückkehrte und vor Ludwig XIV. auftreten durfte, der ihm die Nutzung eines Saals im Schloss gestattete. Die höfische Gesellschaft mit ihrem Hang zur Heuchelei wird immer wieder zum Sujet seiner brillanten Charakterstudien. 1666 kommt "Der Menschenfeind" auf die Bühne. Alceste, ist ein Aufrichtigkeitsfanatiker:
"Ich kann den üblen Brauch nicht dulden, nicht entschuldigen, den unsre Modeherrn zu ihrer Schande huldigen. Wer’s ehrlich meint, der muss auch das Getue hassen. Die Hände drücken, zärtliche Grimassen, Freundschaftsbeteuerungen und Phrasendrescherei. Man überbietet sich in Lüg und Heuchelei, fällt jedem um den Hals und himmelt jeden an, ob er ein eitler Geck, ob er ein Biedermann."

"Man soll bekämpfen ohne Gnade"

Meisterhaft entfaltet Molière die Zwänge seiner Epoche und liefert mit der schroffen Absage an soziale Geschmeidigkeit ein ironisches Selbstporträt:
„Wer unter Menschen lebt, muss sich nach ihnen richten und muss auf manches, was ihm sonst gefiel, verzichten.“ / „Nein, sag ich, nein. Man soll bekämpfen ohne Gnade.“
Einige Jahre noch genießt Molière das Wohlwollen des Königs und führt auf Festen auch opulente Ballettkomödien auf. Er hatte unterdessen die zwanzig Jahre jüngere Tochter von Madelaine Béjart geheiratet und war Familienvater geworden. Ob grantige Außenseiter, religiöse Fanatiker, dünkelhafte Adlige oder prätentiöse neureiche Bürger, Molière nimmt jeden aufs Korn und gerät immer wieder in Konflikte mit den herrschenden Strukturen. Von seinen unzähligen Kämpfen erschöpft, stirbt Molière 1673 nach der vierten Aufführung seines "Eingebildeten Kranken". 2.421mal war seine Truppe am Hof aufgetreten, 32 seiner Stücke sind erhalten und werden immer noch gespielt.