Freitag, 26. April 2024

Archiv

Nach den Landtagswahlen
"Deutschland ist nicht schwarz-braun geworden, sondern bunt"

Nach dem Erfolg der AfD bei den Landtagswahlen rät der Stern-Redakteur Hans-Ulrich Jörges den anderen Parteien zur Gelassenheit. Die AfD dürfe nicht zum Dreh- und Angelpunkt der deutschen Politik werden, sagte Jörges im Deutschlandfunk. Stattdessen sollten sich die Parteien darauf konzentrieren, für eine gelungene Integration der Flüchtlinge zu sorgen.

Hans-Ulrich Jörges im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 15.03.2016
    Hans-Ulrich Jörges, Mitglied der "Stern"-Chefredaktion.
    Hans-Ulrich Jörges, Mitglied der "Stern"-Chefredaktion. (Imago / Jürgen Heinrich)
    Tobias Armbrüster: Die AfD war einer der großen Gewinner der Landtagswahlen am vergangenen Sonntag. Sie ist jetzt in insgesamt sechs Landesparlamenten vertreten. Gestern der erste Auftritt der Parteispitze in der Bundespressekonferenz in Berlin. Das ist so etwas wie der Ritterschlag für jeden deutschen Politiker. Aber die AfD gilt als rechtspopulistisch. Manche sagen, sie ist auch ein Sammelbecken zumindest in Teilen für Rechtsextreme. Das Stichwort "völkisch-national" fällt immer wieder im Zusammenhang mit dieser Partei. Müssen Politiker und müssen Medien mit dieser Partei also anders umgehen, oder verhelfen sie mit so einer Sonderbehandlung der AfD nur zu weiteren Erfolgen? Darüber können wir jetzt reden mit Hans-Ulrich Jörges. Er ist Mitglied der Chefredaktion des "Stern", debattenerprobt aus vielen Talkshow-Auftritten und natürlich auch ein Kenner der politischen Szene in Berlin. Schönen guten Morgen, Herr Jörges.
    Hans-Ulrich Jörges: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Jörges, ist die AfD eine normale Partei?
    Jörges: Das ist sie nicht. Der Charakter der AfD ist unklar. Sie bewegt sich in einer Grauzone zwischen rechts und rechtsextrem. Solange das so ist und ihr Charakter nicht geklärt ist und sie sich auch im Rechtsextremismus bewegt und ihre Wähler dort zieht, muss man ihr mit besonderer Vorsicht begegnen.
    Armbrüster: Lassen Sie uns über diese Vorsicht sprechen. Was muss da passieren im Umgang mit der AfD, Ihrer Meinung nach?
    Jörges: Das Allerwichtigste ist, glaube ich, jetzt, dass die AfD durch die anderen Parteien nicht zum Dreh- und Angelpunkt der Politik schlechthin erklärt wird, weil man schockiert ist von ihren Wahlerfolgen. Das darf nicht passieren. Ich empfehle also Gelassenheit. Das Wichtigste ist, dass die Parteien, die übrigen Parteien, ihre Aufgaben erledigen, für die sie gewählt worden sind. Das heißt, die Flüchtlingskrise lösen, kommen wir vielleicht noch kurz drauf, und dann aber vor allem, jetzt, sofern der Flüchtlingsstrom nach Deutschland versiegt - es sieht ja ganz danach aus -, sich dann wirklich mit aller Kraft auf die Integration der hier lebenden Flüchtlinge zu konzentrieren.
    Und was die AfD angeht, der Umgang mit ihr, die jetzt in den Parlamenten sitzt: Zusammenarbeit verbietet sich wegen des unklaren Charakters der Partei. Ich warne aber auch vor sogenannten Entlarvungsstrategien. Das ist früher oft schiefgegangen. Das hat man beispielsweise am Beispiel des österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider gesehen. An dem haben sich viele die Zähne ausgebissen und das hat den Haider und die Rechtspopulisten nur noch stärker gemacht. Schneiden, also nun wirklich zwanghaft jeden Kontakt in den Parlamenten vermeiden, das würde ich davon abhängig machen, wie die dort in den Parlamenten auftreten. Der baden-württembergische Landesvorsitzende Jörg Meuthen ist sicher ein eher bürgerlicher Typ, während der sachsen-anhaltinische Spitzenmann André Poggenburg mir sehr rechtsextrem erscheint, und mit dem würde ich nun wirklich jeden Kontakt vermeiden.
    Nicht alles hinnehmen
    Armbrüster: Kontakt vermeiden ist ja möglicherweise das eine Stichwort. Aber was sollen Parlamentarier zum Beispiel tun - wir haben das immer wieder auch gesehen in den vergangenen Monaten -, wenn AfD-Politiker plötzlich ausfällig werden, wenn sie Äußerungen von sich geben, bei denen manche Leute sagen würden, das ist rassistisch, das erinnert uns eigentlich eher an längst vergangen geglaubte Zeiten?
    Jörges: Na klar muss man sich mit ihnen auseinandersetzen. Das gilt vor allem in solchen Situationen. Wenn solches gesagt wird in den Parlamenten, wenn die Vertreter der AfD, einzelne Vertreter so auftreten, muss man ihnen sofort entgegentreten, und die Parlamentspräsidenten sind aufgerufen, sie möglicherweise aus dem Saal zu weisen. So was hat es ja alles gegeben. Im sächsischen Landtag beispielsweise hat es immer wieder solche Zwischenfälle gegeben. Gelassenheit, wie ich es meine, bedeutet nicht, dass man sich nun alles anhört und alles hinnimmt, was aus den Reihen dieser Partei kommt. Das heißt Auseinandersetzung, aber keine irgendwie geartete Konzentration auf die AfD. Ich wiederhole: Die dürfen nicht zum Dreh- und Angelpunkt der deutschen Politik werden.
    Armbrüster: Aber wenn man nun immer auf solche Äußerungen eingeht, ist das nicht auch die Gefahr, steckt da nicht die Gefahr dahinter, dass man sie damit automatisch aufwertet, dass man ihnen zusätzlichen Platz einräumt, indem man zum Beispiel bestimmte Zitate ständig wiederholt?
    Jörges: Das Parlament ist der Ort der politischen Auseinandersetzung. Wenn dort AfD-Vertreter Dinge äußern, die nicht hingenommen werden können, muss man ihnen entgegentreten. Das tun die Parteien untereinander ja auch. Das ist ja der Sinn eines Parlaments und das ist auch völlig in Ordnung. Das muss sein. Eine Entlarvungsstrategie - unter diesem Stichwort habe ich ja vorhin etwas anderes gemeint, was ich so genannt habe -, eine Entlarvungsstrategie ist eine zwanghafte Hinwendung, um ständig nach Punkten zu suchen, die man der AfD um die Ohren hauen kann. Davor warne ich, das geht schief. Das nehmen die Wähler und die Beobachter als eine solche zwanghafte Parteistrategie wahr und reagieren sauer. Das macht die AfD nur stärker.
    "Die Demokratie erträgt eine solche Partei"
    Armbrüster: Was ist mit so einer Strategie, haben wir ja auch häufiger gesehen in den vergangenen Jahren bei anderen Parteien, wenn die übrigen Parlamentarier einfach das Parlament verlassen, wenn jemand ans Podium tritt?
    Jörges: Das halte ich für ganz verkehrt. Ich empfehle Gelassenheit. Die AfD ist eine Partei mit vielen Gesichtern. Sie ist nicht eindeutig rechtsradikal. Sie hat wesentliche Teile auch, wie soll man sagen, im demokratisch, aber rechten Spektrum, aber im demokratischen. Im Prinzip möchte ich mal sagen, es ist für die deutsche Demokratie nach meinem Eindruck kein Schaden, dass die AfD in Parlamente einzieht. Wir haben jetzt wie andere Länder auch eine rechte, man kann sagen rechtspopulistische Partei mit ziemlich unklarem Charakter. Die hat auch Wähler, die bisher abstinent waren, an die Wahlurnen geholt. Und wir dürfen nun nicht in Hysterie verfallen nach diesen Wahlergebnissen. Der Eindruck, der sich aus diesen Wahlen ergibt, ist ja ein sehr vielfältiger. Deutschland ist nicht schwarz-braun geworden, sondern bunt. Wir haben auch zum ersten Mal eine grüne Partei, die zur stärksten Partei geworden ist in Baden-Württemberg. Die FDP ist in zwei Landesparlamente zurückgekehrt. Die SPD hat in Mainz einen ganz überraschenden Wahlerfolg verbucht, den man ihr gar nicht mehr zugetraut hatte. Es kommen nun mutmaßlich Koalitionen zustande, die man bisher für ziemlich unmöglich oder sehr schwierig gehalten hatte, möglicherweise Grün-Schwarz in Stuttgart. Das ist alles gut und wird von der Anwesenheit der AfD in den Parlamenten nicht etwa relativiert, sondern unsere Demokratie ist, glaube ich, stark. Sie ist reif und sie erträgt eine solche Partei in den Parlamenten.
    Armbrüster: Herr Jörges, Sie haben jetzt gerade gesagt, Teile der AfD passen durchaus in dieses demokratische Parteienspektrum, so wie wir es kennen. Da ist nicht alles schwarz oder auch nicht alles rassistisch. Könnte das ein Ziel sein, dass man versucht, im Laufe der Jahre sozusagen die AfD zu erziehen, in dieses Spektrum sich einzufügen, und dass wir dann möglicherweise in vier, fünf Jahren hier sitzen und sagen, die AfD hat sich gemausert, sie passt da jetzt rein?
    AfD wird Islam-Ängste schüren
    Jörges: Nein. Die anderen Parteien, auch die Medien übrigens, haben keinen Erziehungsauftrag gegenüber einzelnen Parteien und gegenüber der AfD schon gar nicht. Das muss die AfD in ihren eigenen Reihen klären. Ich glaube, sie wird das nicht tun, denn sie bezieht wesentliche Teile ihrer Wählerschaft auch aus der Schnittmenge, die sie mit der NPD hat und mit anderen rechtsextremen Parteien. Auf die wird sie kaum verzichten wollen. Das heißt, sie wird immer doppelgesichtig auftreten. Wir stellen ja jetzt schon fest, dass die Spitzenvertreter auf Samtpfoten daherkommen und sich an die anderen Parteien wenden und signalisieren, sie möchten gern in die Mitte und sie möchten Umgang mit ihnen haben. Aber die Wurzeln, die sie auch im Rechtsextremismus haben, wollen sie nicht abschneiden. Also ich glaube, dass die AfD ihren Charakter nicht eindeutig im demokratischen Sinne klären wird. Sie wird sich, sofern die Flüchtlingskrise gelöst wird - die Flüchtlingszahlen sind ja deutlich rückläufig; in der vergangenen Woche waren es pro Tag weniger als 100 -, sofern das geklärt ist, wird sich die AfD, glaube ich, darauf verlegen, die Ängste vor dem Islam auszubeuten. Das ist ein fruchtbarer Acker. Da gehen die Wurzeln tief auch in den Rechtsextremismus und den Rassismus rein. Dem können die anderen Parteien nur durch eine erfolgreiche Integrationspolitik begegnen, und das empfehle ich jetzt auch den anderen Parteien dringend als wichtigste Aufgabe, nicht auf die AfD starren, sondern ihre Aufgaben erledigen. Und das heißt, jetzt mit Macht und aller Kraft und auch mit viel Geld die Integration der hier lebenden Flüchtlinge in Angriff zu nehmen. Das ist die einzige Möglichkeit, um dieser absehbaren Kampagne gegen Muslime entgegenzutreten.
    Armbrüster: Wie also umgehen in den kommenden Jahren mit der AfD - darüber haben wir gesprochen mit Hans-Ulrich Jörges, Journalist und Mitglied der Chefredaktion beim "Stern". Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen, Herr Jörges.
    Jörges: Danke Ihnen auch, Herr Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.