
"Das ist grundsätzlich auch ein Wert an sich, denn bei einer Zerfledderung der Glücksspielregulierung in Deutschland gäbe es eigentlich nur einen Nutznießer, das wären private Anbieter, die sich nicht an den Schutzzielen des Paragraphen 1 orientieren."
Und dort sei als wesentliches Ziel des Glücksspielstaatsvertrages ein wirksamer Spieler- und Jugendschutz formuliert, so Ukrow. Überdies hätte jedes Bundesland, das den Vertrag nicht ratifiziert, das Glücksspiel in eigener Regie regeln müssen. Damit haben die Bundesländer allerdings keine guten Erfahrungen gemacht.
Schleswig-Holstein scherte aus Staatsvertrag aus
"Das ist ein großes Ärgernis. Wir haben hier ein Land mit 2,9 Millionen Einwohnern und da wird die ganze Bundesrepublik beschallt mit Werbung für Online-Casinos. Und es geht ja nur darum, dass man neue Kunden anwirbt und auch schon für die neuen Zeiten vorsorgt."
"Rein rechtlich kann keiner verstehen, dass Unternehmen, die über Jahre hinweg gegen Gesetze verstoßen haben und sich an keinerlei Regeln gehalten haben, plötzlich toleriert werden und dann auch Lizenzen bekommen."
Spielsucht-Experten sehen Legalisierung kritisch
"Die Glücksspielanbieter, die Online-Glücksspielanbieter vornehmlich, haben aus dem illegalen Bereich Fakten geschaffen, sie haben Spielanreize gesetzt und argumentieren jetzt damit, okay, wir müssen also raus aus dem illegalen Bereich, erst dann können wir dieses ganze Glücksspielwesen letztendlich in geordnete Bahnen lenken. Und das finde ich ist ein sehr krudes, ein sehr schiefes Argument. Stellen sie sich einmal vor, irgendjemand aus dem Cannabis-Bereich vermarktet sein Produkt aus dem illegalen Bereich heraus und rennt dann zur Politik und sagt, oh, ich beherrsche hier neunzig Prozent des Marktes, gib mir bitte eine Lizenz, dann kann ich auch für den Verbraucherschutz Sorge tragen. Das ist meiner Meinung nach rechtspolitisch fragwürdig."
"TIPICO bewirbt auf der eigenen Homepage nicht nur Sportwettenangebote sondern auch sonstige "Games", wie es da heißt, und diese Vermischung, die ist nach dem aktuellen Glücksspielstaatsvertrag aus unsere Sicht unzulässig und deswegen hätte diese Lizenz nicht erteilt werden dürfen. Wir können uns nicht vorstellen, dass es mit rechten Dingen zugeht, dass man sagt, okay, demnächst ändert sich vielleicht das Gesetz und im Vorfeld erteilt man dann schon mal eine Genehmigung, dass sie ab jetzt schon offiziell ihr Glücksspiel anbieten dürfen. Das finden wir nicht in Ordnung. Deswegen haben wir die Anzeige erstattet."
Von Staatswegen geduldet: Spieleindustrie macht Milliardengewinne
Über Jahre landete die Vergabepraxis immer wieder vor den Gerichten. Und es hat bis Oktober des vergangenen Jahres gedauert, bis der juristische Streit beigelegt war und die privaten Wettanbieter in Deutschland Konzessionen erhielten. In der Zwischenzeit haben diese auch ohne Erlaubnis - allerdings von Staats wegen geduldet - Milliarden verdient, sagt Jan Kleibrink vom Handelsblatt Research Institute.
"Insgesamt haben wir in Deutschland ein nicht hart zu messendes durch verschiedene Schätzverfahren angenommene Größenordnung von ungefähr zweieinhalb bis drei Milliarden Euro an Spielerträgen, die auf diesem nicht regulierten Markt jährlich zustande kommen. Und das macht damit in etwa 20 Prozent des gesamten Glücksspielmarktes in Deutschland aus."
Der Markt lässt sich in drei Segmente aufteilen: einen regulierten Teil, dazu zählen zum Beispiel staatliche Lotterien oder auch Spielhallen. Einen nicht regulierten Graumarkt, darunter fallen die privaten Sportwettenangebote sowie Online-Casino-Spiele, die in anderen EU-Ländern erlaubt sind und von dort den Weg ins Netz finden. Und schließlich existiert auch ein Schwarzmarkt, häufig gesteuert von asiatischen Playern. Diese zu legalisieren ist in Deutschland nicht vorgesehen, denn diese sollen vielmehr zurückgedrängt werden. Und das sei ganz im Sinne der Spieler. Jan Kleibrink:
"Wir sehen heute, das haben Meinungsumfragen unter Spielern gezeigt, dass es ein großes Bedürfnis gibt, dass man sich im legalen Bereich aufhält, dass viele Spieler, die jetzt gerade am illegalen Angebot teilnehmen, das teilweise gar nicht wissen, dass es nicht legal ist, was sie da gerade online spielen."
Bundesländer wollen beim Online-Glücksspiel mitmischen
"Das Problem, das wir sehen, ist, dass wir kein attraktives Gesamtpaket für die Spieler und Spielerinnen schnüren werden können."
Das hängt zum einen daran, dass die Länder beim Online-Glücksspiel mitmischen wollen. Sie unterteilen den Online-Markt in zwei Hälften: Einmal das virtuelle Automatenspiel, das sind so zusagen Online-Kopien von Spielautomaten, wie sie in den stationären Spielhallen vorgehalten werden und Online-Poker. Das sollen die Privaten machen. Und zum zweiten schaffen sie die Kategorie Casino-Spiele. Dazu zählt das, was die staatlichen Spielbanken anbieten, zum Beispiel Roulette oder Black Jack. Darauf wird den Privaten der Zugriff wohl verwehrt, fürchtet der DOCV.
"Das wird eine extra Konzession sein und die wird von den Ländern vergeben, wahrscheinlich an das Monopol, an die Lotterien oder an die landgestützten Casinos."
Die bayerischen Behörden begründen ihr geplantes Online-Engagement mit besserem Spielerschutz. Die Befürworter sitzen in den landeseigenen Lotto- und Totogesellschaften. Michael Burkert, langjähriger Direktor bei Saartoto.
"Wir als staatliche Gesellschaft sagen, dass man im Bereich des klassischen Casinospiels, wie beim Lotto, auf ein staatliches Monopol setzten sollte, weil da die Gewähr am ehesten besteht, dass Suchtprävention eingehalten wird und die Erträge dem Staat beziehungsweise dem Gemeinwohl zugeführt werden."
Experten plädieren für staatliche Spiele-Angebote
"Der größte Fehler ist, wenn man diese Angebote künstlich unattraktiv macht, weil man damit die Menschen in illegale Angebote bewegen wird, die es nach wie vor in riesigem Umfang terrestrisch und auch im Netz gibt."
Limit im Glücksspielstaatsvertrag pro Spieler zu hoch
"Ich gestehe zu, wir brauchen eine gewisse Attraktivität. Ich rede immer von einer hinreichenden attraktiven Spiellandschaft. Aber wir müssen diskutieren, was hinreichend attraktiv heißt. Ich habe da andere Vorstellungen als die Glücksspielanbieter."
Hayer warnt allerdings eindringlich davor, nach dem Prinzip des schneller, höher, weiter zu verfahren und immer mehr drauf zu satteln auf die Angebote. Ohnehin sei das im Glücksspielstaatsvertrag festgesetzte Limit von 1.000 Euro, das ein Spieler pro Monat einsetzten dürfe, zu hoch. Das sieht Kurt-Willi Sirrenberg vom Betroffenenbeirat genauso.
"Wir sagen halt, da eine Familie von Normalverdienern kaum tausend Euro im Monat übrig hat für Vergnügungen, kann es nicht sein, dass man einem Spieler mit normalem Einkommen, oder auch mit geringem Einkommen, eine solch hohe Verlustgrenze anbietet. Das ist von der Höhe her für uns alle indiskutabel."
Schutz durch spielformübergreifende Sperrdatei
Egal ob der Kunde eine Sportwette abschließt, eine Spielhalle betrifft, eine Spielbank aufsucht oder sich im Netz an virtuellen Spielformen beteiligt, er darf erst spielen, wenn zuvor geprüft wurde, dass er sich an die Regeln hält. Terrestrisch, ausgehend von den Spielbanken und auch im europäischen Ausland, ist dieses Prinzip bereits erprobt und gilt grundsätzlich als unverzichtbar, sagt Georg Stecker, der Vertreter der Spielhallenbetreiber.
"Das muss funktionieren. Es ist ganz wichtig, dass bei allen Spielformen das gleiche Schutzniveau herrscht – und das hat der Staat ja auch zugesagt."
Die Sperrdatei bewertet auch die private Online-Glücksspiel-Industrie positiv. Ganz im Gegensatz zu den beiden anderen Kontrollinstrumenten, der so genannten Limit- und der Aktivitätsdatei. Letztere soll sicherstellen, dass ein Spieler zur selben Zeit nicht in verschiedenen Spielformen unterwegs ist. Beides sei weder gut gemacht noch zeitgemäß, findet der Vertreter des deutschen Online-Casino-Verbandes.
Kritik an Wirksamkeit einer sogenannten "Limitdatei"
"Das heißt, mit dieser Datei wird dann gesehen, dass ich, wenn ich eine Einzahlung auf mein Spielerkonto bei Anbieter X mache, ob ich nicht beim Anbieter Y schon so viel Geld eingezahlt habe, dass ich an die 1.000 Euro drankomme. Und jeder, der sich ein bisschen damit auseinandersetzt, weiß, dass diese Limitdatei 2023 sicherlich nicht eingeführt werden wird. Das heißt, es ist eine Art Feigenblatt für den Spielerschutz. Diejenigen, die sich ein bisschen damit beschäftigt haben wissen, dass es nicht funktionieren wird."
Auch die geplante Aktivitätsdatei sei ein überaus ambitioniertes Vorhaben, so Becker. "Wenn das Amazon machen würde oder google, würde ich denken, ja, das könnte klappen. Aber wenn der Staat das organisieren soll, da ist meine Hoffnung sehr gering, dass das klappt."
So viel Pessimismus will Michael Burkert, der Vertreter der staatlichen Toto- und Lottogesellschaft nicht unwidersprochen stehen lassen.
"Ich kann mir vorstellen, wie das auch in anderen europäischen Ländern geht, dass das technisch möglich ist. Es wird die Frage sein, wie schnell so eine Behörde dieses vielleicht auch mit einem technischen Dienstleister aufbaut."
Strukturen zur Überwachung des Marktes schaffen
"Wir fürchten eben, solange diese Behörde nicht installiert ist, wird es wahrscheinlich keine wirksame Überwachung geben. Es heißt zwar nominell, dass die Bundesländer bis dahin die Überwachung übernehmen, nur, es hängt natürlich so viel dran. Wie sollen die Bundesländer das mit ihren heutigen Mitteln überhaupt schaffen? Also, das ist mir ein Rätsel."
Die Länder, die in der bevorstehenden Übergangszeit gemeinsam mit der Zentralbehörde in Sachsen-Anhalt dafür sorgen müssen, dass das Marktgeschehen beobachtet wird, seien besser als ihr Ruf, beschwichtigt Jörg Ukrow, von der saarländischen Glücksspielaufsicht.
Kaum Neuerungen für Angebote in Spielhallen
Kaum Neuerungen hält der Glücksspielstaatsvertrag für das terrestrische Angebot in Spielhallen und Gaststätten parat. Lediglich das Personal in den Spielstätten muss künftig intensiver geschult werden, um auffälliges Spielverhalten zu erkennen. Das wird vom zuständigen Verband begrüßt, ebenso wie die regelmäßige Zertifizierung der Spielstätten. Unzufrieden sind die Spielhallenbetreiber allerdings damit, dass es den Ländern weiterhin erlaubt ist, das stationäre Angebot zum Beispiel über Abstandsregeln zu regulieren. Im Sinne der Suchtprävention sei das das falsche Signal. Georg Stecker:
"Abstandsregeln haben schon früher nicht gestimmt und stimmen erst recht nicht in Zeiten des digitalen Zeitalters. Und das können sie schon daran sehen, dass die Abstandsregeln in den Ländern so unterschiedlich sind, dass man in einem Fall 100 Meter, und im nächsten Fall 500 Meter ansetzt. Also, mit dem Zollstock kann man keinen Spielerschutz betreiben. Es kommt vielmehr darauf an, was in der Spielhalle stattfindet. Das ist entscheidend."
Spielhallen sind weiterhin attraktiv
"Wir sehen in den letzten Jahren gerade in den Ländern, die stark Onlinespiele lizenziert haben, dass sich da zumeist zwei parallele Märkte entwickelt haben, und dass wir zwar leichte Rückgänge an der ein oder anderen Stelle im stationären Bereich hatten, dass es aber zumeist nicht zu einer vollkommenen Substitution von stationär durch online kam, sondern dass beide Märkte durchaus stark innerhalb der Gesellschaft verankert geblieben sind."

Spielerschutz wichtiger als Steuern in Milliardenhöhe
Die steuerliche Seite, so sehr sie für die Glücksspielanbieter von Bedeutung sein dürfte, für den Staat ist sie unerheblich. Denn die in Paragraf 1 des Glücksspielstaatsvertrages formulierten Ziele lauten: Das Entstehen von Glücksspielsucht und Wettsucht verhindern, unerlaubte Glücksspiele in Schwarzmärkten bekämpfen und den natürlichen Spieltrieb – von dem Experten sagen, dass es ihn nicht gibt - in geordnete und überwachte Bahnen lenken.