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Das Geschäft ohne Gluten, Laktose und Co.

Nur etwa ein Prozent der Bevölkerung in Deutschland leidet an Zöliakie - einer Glutenunverträglichkeit. Tatsächlich verzichten aber viel mehr Menschen auf Gluten - in Deutschland und vor allem in den USA. Glutendiät ist angesagt. Glutenfreie Nahrungsmittel sind auch ein lukratives Geschäft für die Lebensmittelindustrie. Die Ware ist massentauglich geworden.

Von Sina Fröhndrich | 13.12.2015
    Lactose- wie auch glutenfreies Essen findet sich heutzutage häufiger in den Regalen von Geschäften. Allerdings bezweifeln Ernährungsberater die Wirksamkeit einer glutenfreier Diät.
    Glutenfreies Brot in einem Naturkostladen in Leipzig (picture alliance / dpa / Peter Endig)
    Sandra Butz steht vor ihrem geöffneten Kühlschrank. Käse, Wurst, Gemüse, ordentlich sortiert. Alles ganz normal. Tatsächlich aber fehlt etwas: Gluten. Alle Lebensmittel sind glutenfrei. Sandra und ihre Familie verzichten darauf. Sie müssen. Sandras 5-jähriger Sohn hat Zöliakie, Gluten schädigt seinen Dünndarm. Die Nährstoffe werden schlecht aufgenommen und bleiben meist unverdaut im Darm. Die Folge: Müdigkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen. Bei Kindern Entwicklungsstörungen. Sandras Sohn war 3 Jahre alt, als die Zöliakie festgestellt wurde. Ihr war schon vorher aufgefallen, dass der Junge Verdauungsprobleme hat. Bis der Kinderarzt den wesentlichen Bluttest machte, dauerte es allerdings.
    "Dann kam der Anruf vom Kinderarzt und wir waren erst mal fassungslos, weil wir auch gar nicht wussten, was das bedeutet in der Konsequenz jetzt final." Die Familie musste ihren Speiseplan radikal umstellen. Das Klebereiweiß Gluten steckt in Nudeln, Brot, Kuchen - alles nicht mehr möglich. Weizen, Dinkel, Roggen, Hafer sind tabu.
    Etwa ein Prozent der Bevölkerung in Deutschland leidet an Zöliakie und muss eine strenge Diät halten. Eine überschaubare Gruppe von Betroffenen. Tatsächlich verzichten aber noch viel mehr Menschen auf Gluten - in Deutschland und vor allem in den USA. Denn Gluten hat derzeit einen ähnlichen schlechten Ruf wie Fette oder Kohlenhydrate. Glutendiät ist angesagt. Abnehmen und sich gesünder fühlen, das ist das Credo.
    Promis wie die Schauspielerin Gwyneth Paltrow oder die Sängerin Miley Cyrus schwören darauf. Der US-Autor William Davis verteufelt vor allem den Weizen in seinem Bestseller "Weizenwampe" - das Getreide mache dick und krank.
    Kein Gluten im Haushalt
    Sandra und ihr Mann können den Hype nicht verstehen. Auch sie ernähren sich glutenfrei. Ihrem Sohn zuliebe. Es soll kein Gluten im Haushalt sein.
    "Also ich muss persönlich sagen, ich warte immer noch auf diesen Effekt, dass es mir besser geht, ich persönlich halte jetzt von dem Hype um glutenfreies Leben, ich halte davon nichts. Ich habe nicht bemerkt, dass ich mich fitter, gesünder oder kraftvoller fühle."
    Sandra spürt die Diät vor allem im Geldbeutel. Denn glutenfreie Produkte sind deutlich teurer - im Durchschnitt kosten sie fast zweieinhalb Mal mehr als konventionelle Produkte. So hat es die Verbraucherzentrale Hamburg ausgerechnet. Mehr als zwei Euro für eine Packung glutenfreie Nudeln, ein Kilo Mehl kostet drei Euro.
    Glutenfreie Nahrungsmittel sind ein lukratives Geschäft
    Entsprechend sind die Regale in Supermärkten und Drogerien gut gefüllt mit glutenfreien Keksen, Broten, Schokoriegeln. Lifestyleprodukte. Die Ware ist massentauglich geworden. Eine Nische für eine übersichtliche Gruppe von Betroffenen sieht anders aus.
    Zu Besuch in Berlins erster glutenfreien Bäckerei.
    Zu Besuch in Berlins erster glutenfreien Bäckerei. (Deutschlandradio / Ernst Ludwig von Aster)
    117 Millionen Euro werden aktuell mit glutenfreien Lebensmitteln umgesetzt. So hat es das Marktforschungsunternehmen Nielsen ausgerechnet. Das entspricht zuletzt einem Zuwachs von 39 Prozent. Glutenfrei als Verkaufsargument und Qualitätsmerkmal. Aber besser und gesünder sind die Produkte nicht.
    "Ich rate keinem dazu, einfach mal glutenfrei sich zu ernähren, bevor er nicht eine vernünftige Diagnostik hatte, also eine Magen- und Darmspiegelung sollte in aller Regel vorher erfolgen."
    Professor Wolfgang Holtmeier ist Chefarzt des Magen-Darm-Zentrums am Krankenhaus Porz in Köln.
    "Jetzt ist es so, es kommt aus den USA und auch aus Australien so 'ne Welle - auch mit vielen Veröffentlichungen, dass eben Weizen Schuld an allen Industrieerkrankungen ist - Diabetes, Übergewicht, Demenz usw. Die Leute sind völlig verunsichert, und jeder will sich heutzutage gesund ernähren, man geht in den Supermarkt, steht vorm Regal, glutenfrei, laktosefrei, fruktosefrei, je weniger drin ist, desto teurer, und denkt, wenn er das kauft, er tut sich was Gutes, da wäre es sinnvoller, man macht mehr Aufklärung, dass das nicht gesünder ist als die anderen Produkte."
    Wolfgang Holtmeier empfiehlt: Wer Beschwerden hat, sollte zum Arzt gehen und die Ursache abklären lassen – und nicht auf eigene Faust auf Gluten verzichten. Weizen sei ein sehr nahrhaftes Getreide. Auch von Allergietests, die etwa Heilpraktiker anbieten, hält der Mediziner wenig.
    "Es ist so, dass es viele Menschen gibt, die Probleme haben. Blähungen, Durchfall, Schmerzen. Die wandern von Arzt und zu Arzt und wenn man ehrlich ist, die Ärzte haben die Zeit gar nicht mehr sich das anzuhören. Aus einer Verzweiflung heraus wenden sie sich an Leute, die Zeit haben. Und das sind dann meistens Heilpraktiker. Und es werden zum Teil Tests angeboten, immunologische Test, die im Blut angeblich nachweisen können, was man nicht verträgt. Dann gibt es einen Ausdruck von 100 Nahrungsmitteln, und denen wird dann erzählt, du darfst das und das nicht essen, das stimmt meist nicht und es gibt wissenschaftlich keinen Beleg, dass das Sinn macht."
    Inzwischen verzichtet jeder vierte Deutsche auf bestimmte Lebensmittel, so eine Studie im Auftrag für Spiegel Online. Knapp 10 Prozent der Befragten ernähren sich glutenfrei. Obwohl sie keine ärztlich festgestellte Unverträglichkeit haben. Und obwohl glutenfreie Produkte nicht unbedingt besonders lecker sind. Für Zöliakie-Betroffene wie Sandra und ihren Sohn hat der Hype nur einen Vorteil. Es gibt mehr Produkte, die sie kaufen können. Gleichzeitig werde aber auch das Krankheitsbild Zöliakie verwässert.
    "Das Problem ist vielleicht, wie man diese Diät / Ernährungsform umsetzt, dass man da natürlich auch in der Außenwahrnehmung ein Zeichen setzt - weil wenn man sagt, auch heute ist das nicht so schlimm, wenn ich da doch mal auf dem Salat einen Crouton habe und nicht weiß, ist das glutenfrei oder nicht, für einen Zöliakieerkrankten ist das durchaus maßgeblich, weil sich der Darm dann wieder verabschiedet."
    Schon ein Brotkrümel kann einem Zöliakiebetroffenen ordentlich Bauchschmerzen bereiten. Für Sandra und ihren Sohn bedeutet das: außer Haus zu essen, ist fast unmöglich. Strikt glutenfrei zu leben, heißt Organisation, sagt die Mutter.
    Strikt glutenfrei zu leben, heißt Organisation
    Und trotzdem entscheiden sich zunehmend mehr Menschen freiwillig für den Verzicht.
    Grund ist ein neu beschriebenes Krankheitsbild. Die Glutensensitivität - oder Weizensensitivität. Auch der Kölner Mediziner Wolfgang Holtmeier glaubt, dass es diese Krankheit gibt. Er sagt: Bis zu fünf Prozent der Bevölkerung reagierten auf Gluten oder einen anderen Stoff im Weizen, ohne eine Zöliakie oder eine Weizenallergie zu haben.
    "Erst in den letzten Jahren kam diese Welle - denn es gibt ein Krankheitsbild, das heißt die Weizensensitivität. Es gibt Patienten, Menschen, bei denen definitiv keine Zöliakie vorliegt, die aber sagen, ich vertrage keinen Weizen, das hab' ich anfangs auch sehr skeptisch gesehen, aber inzwischen ist es schon auch international so, es gibt diese Patienten und gar nicht so selten. Man schätzt 2 bis 5 Prozent der Bevölkerung vertragen Weizen aus noch ungeklärten Gründen nicht. Was jetzt der Grund ist und was der Inhaltsstoff im Weizen ist, ist noch völlig unklar."
    Eine Kundin greift nach einem Apfel aus ökologischem Anbau in einem Lebensmittelgeschäft, das Bio-Nahrungsmittel in Hannover verkauft.
    Eine Kundin greift nach einem Apfel in einem Lebensmittelgeschäft (dpa / picture alliance / Peter Steffen)
    Es ist eine Ausschlussdiagnose. Ähnlich wie beim Reizdarm. Vieles ist unklar. Worauf reagieren die Patienten genau? Gluten? Pestizide? Ist vielleicht schlicht zu viel Weizen in unserem Essen? Auch die Symptome sind alles andere als klar definiert: Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Müdigkeit. Auch von geistiger Verwirrung ist die Rede.
    Und trotzdem sind sich zahlreiche Wissenschaftler einig: Es gibt dieses Krankheitsbild. Helfen können keine Medikamente, sondern eine glutenfreie Ernährung.
    Die Münchner Ernährungsberaterin Imke Reese beobachtet dieses Phänomen kritisch: Sie könne zwar nicht ausschließen, dass es eine Sensitivität in Bezug auf Weizen oder Gluten gebe, sagt sie. Aber: Noch lasse sich diese nicht eindeutig diagnostizieren. Sie spricht von einer "Pseudodiagnose". Diese diene vor allem den Herstellern glutenfreier Produkte. In einem Aufsatz für eine Fachzeitschrift schreibt Imke Reese.
    "Die derzeitigen "Diagnosekriterien" basieren auf der Beobachtung - oftmals allerdings nur Eigenbeobachtung der Betroffenen -, dass unter glutenhaltiger Ernährung Beschwerden auftreten, die sich unter glutenfreier Kost bessern, obwohl eine Weizenallergie und eine Zöliakie definitiv ausgeschlossen sind. Aufgrund der aktuellen Datenlage ist die Existenz (...) wissenschaftlich (noch) nicht begründbar."
    Reese vermutet: Es werde ein Krankheitsbild erschaffen. Es sollte "(...)kritisch hinterfragt werden, ob nicht der Hauptantrieb für die Etablierung dieses Krankheitsbildes vor allem finanzielle Interessen sind."
    Lange am Krankheitsbild gezweifelt
    Auch die Verbraucherzentrale NRW hat schon 2011 am neuen Krankheitsbild gezweifelt. Und US-Wissenschaftler erklärten 2013: Es könnte sich auch um einen psychologischen Effekt handeln. Über Weizen und Gluten werde schlecht gesprochen – deswegen fühlten sich Probanden nach dem Verzehr solcher Produkte auch schlecht.
    London 2011. Der europäische Marktführer für glutenfreie Produkte, Dr. Schär, lädt internationale Wissenschaftler zu einem Kongress ein. Thema: Die Glutensensitivität. Auf der Internetseite des Unternehmens ist von einem historischen Datum die Rede. Denn hier wird die Krankheit erstmals beschrieben und definiert. Seitdem lässt Dr. Schär weiter forschen. Das Südtiroler Unternehmen definiert die Sensitivität so: "Es könnte sich um eine vorübergehende Unverträglichkeit handeln, die sich nach einer glutenfreien Diät über einen Zeitraum von mindestens ein bis zwei Jahren wieder bessern kann."
    Auch der Kölner Arzt Wolfgang Holtmeier arbeitet hin und wieder für das Unternehmen. Er hat Dr. Schär dabei unterstützt, eine Onlineschulung zum Thema Glutensensitivität zu erarbeiten. Und es gibt noch mehr Informationsmaterial anderer Wissenschaftler, das Dr. Schär im Netz anbietet. Ist die Glutensensitivität nur eine Kampagne oder tatsächlich ein neues Krankheitsbild? Nicht leugnen lässt sich: Das alles spielt einem Teil der Lebensmittelkonzerne in die Hände. Der europäische Marktführer Dr. Schär kann sich seit Jahren über steigende Umsätze freuen.
    "In den letzten 10 Jahren, das heißt von 2004 bis 2014 - ist der weltweite Umsatz von Dr. Schär von 47 Millionen auf 260 Millionen Euro gestiegen." Sagt Matthias Müller-Thederan, Verkaufsleiter bei Dr. Schär in Deutschland. "In Deutschland haben wir von 2012 auf 2013 als auch von 2013 auf 2014 das Umsatzplus um über 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr steigern können."
    Erst im Herbst hat das Südtiroler Unternehmen eine neue Produktionsstätte für glutenfreie Tiefkühlpizzen in Italien eröffnet. Es läuft gut für Dr. Schär. Auch dank guter Unternehmenskommunikation.
    "Wie kann sich Gluten auf unsere Gesundheit auswirken? (...) Die Transglutaminase des Darms verwandelt das Glutamin in Aminosäure, die bei anfälligen, empfindlichen Menschen unterschiedlich schwere Entzündungsprozesse im Darm auslösen kann und in schweren Fällen zur Zöliakie führt." (Quelle:Glutenunverträglichkeit/)
    Tenor des Informationsvideos: Eine glutenfreie Ernährung kann nicht nur bei der Zöliakie helfen. So formuliert es auch Verkaufsleiter Matthias Müller-Thederan.
    "Menschen, die sich glutenfrei ernähren, ohne von einer Zöliakie betroffen zu sein, die können auch andere Motive haben. Das ist die angesprochene Gluten- oder Weizensensitivität und zudem schadet es ja niemandem, sich glutenfrei zu ernähren, auch wenn er sich aus dem gesundheitlichen Aspekt nicht glutenfrei ernähren muss. Das kann jeder so machen, wie er möchte."
    Nicht nur Dr. Schär profitiert vom Negativimage, das Weizen und Gluten inzwischen haben. Die Supermarktkette Rewe hat seit einigen Jahren eine eigene Marke im Regal. Barilla hat glutenfreie Pasta ins Angebot aufgenommen. Bäcker verkaufen Dinkelbrot statt Weizenbrot.
    Wort glutenfrei - zu Werbezwecken
    Allerdings: Einige Hersteller arbeiten auch nur mit dem Wort glutenfrei - zu Werbezwecken.
    Die Verbraucherzentralen beobachten den Markt genau. Wiebke Franz von der Zweigstelle Frankfurt mit zwei Beispielen. "Wenn es sich um Wasser handelt, da wird sich auch der Verbraucher fragen, wo das Gluten herkommen soll oder reines solo Tiefkühlgemüse wie Brokkoli zum Beispiel, der soll dann glutenfrei sein. Ok, er könnte Kontamination mit Mehlstaub haben, aber ist doch relativ unwahrscheinlich."
    Glutenfrei als Verkaufsargument und Marketingstrategie. Und das funktioniert auch mit anderen Labels. Umsatz verspricht etwa die Kennzeichnung "laktosefrei".
    Etwa 15 Prozent der Deutschen vertragen den Milchzucker nicht. Der Umsatz mit laktosefreien Produkten geht jedoch weit darüber hinaus. Die Gesellschaft für Konsumforschung hat für das Jahr 2014 ermittelt: Von 9 Millionen Käufern laktosefreier Produkte hatten nur 20 Prozent eine Laktoseunverträglichkeit. Viele kaufen die meist teureren Produkte, weil sie glauben, dass sie ihnen guttun oder weil sie ihnen besser schmecken. Die Lebensmittelindustrie reagiert und etikettiert und verkauft. Und schreibt auch laktosefrei drauf, wo nie Laktose drin war. Verbraucherschützerin Wiebke Franz.
    "Hartkäse, Schnittkäse, und da macht es wirklich überhaupt keinen Sinn, da bezahlen die Verbraucher bis zu 30 Cent mehr pro 100 Gramm und dabei könnten sie ganz herkömmlichen Bergkäse, Parmesan kaufen, das ist alles durch den Reifeprozess laktosefrei." Die Ernährungsmesse Anuga im Herbst in Köln, am Stand des Marktführers für laktosefreie Produkte. Das Unternehmen Omira präsentiert seine Marke Minus L. Für Firmenvertreter Christoph Brändle ist laktosefreie Ernährung längst keine Modeerscheinung mehr.
    "Es ist sicher so, dass viele Verbraucher aus einem Gefühl heraus diese laktosefreien Produkte kaufen, weil sie denken, es tut mir besser, und haben tatsächlich keine Abklärung beim Facharzt machen lassen, es kostet Geld und etwas Mühe diesen H2-Atemtest über sich ergehen lassen, um sicherzugehen, ich bin laktoseintolerant oder nicht." Die Zahl der Konsumenten steige Jahr für Jahr, sagt Christoph Brändle. Omira spüre die Konkurrenz.
    "In Fachkreisen wird immer wieder darüber gesprochen, wo gibt es noch Nischen, wo kann man noch Zuwächse erzielen, da sind laktosefreie Produkte immer ein Thema, und viele sagen, da muss man aufspringen, der Markt ist gesättigt, da sucht man Sparten, wo es noch Zuwächse gibt, sei es glutenfrei, bio oder vegan oder eben laktosefrei."
    "Hi, was ich kann ich euch Gutes tun?" "Was ist das: Lupine?" "Das ist innovativ, aber die Lupine ist eigentlich alt, eine alte Kulturpflanze, es ist schwierig, daraus was Leckeres zu machen, das ist uns jetzt gelungen..."
    Symbolisch steht ein Schild mit der Aufschrift "Genfood" vor einem gentechnisch veränderten Maiskolben auf einem Feld nahe Ramin im Landkreis Uecker-Randow.
    Die EU streitet um die Anbau-Zulassung der Genmais-Sorte 1507. (picture-alliance / ZB)
    Wenige Messestände weiter. Ein junges Unternehmen aus Mecklenburg-Vorpommern lässt Joghurt verkosten, hergestellt aus der Hülsenfrucht Lupine. Alles ohne Laktose und ohne Gluten. "Gentechnikfreie, heimische Alternative, probieren wir doch mal, das ist Joghurt pur, das darf ich zwar nicht so nennen."
    Zielgruppe des Unternehmens: Veganer und Vegetarier und Menschen mit Unverträglichkeiten. Die Lupine als regionaler Sojaersatz. So sehen es Forscher des Münchner Fraunhofer-Instituts, die die Produkte entwickelt haben. Die Lupine gehört auch zur Kategorie Superfood. Der neueste Streich der Lebensmittelbranche. Super Lebensmittel für super Wohlbefinden. Gojibeeren, Weizengras, Sonnenblumenprotein. Produkte mit exotischem Namen, die besonders gesund sein sollen. Und oft besonders teuer sind.
    "Gucken wir mal, Alnaturashop...schauen wir mal..." Harald Seitz arbeitet für den Lebensmittelinformationsdienst aid. Er hält wenig von den neuen Superfrüchten. "Die schönen Gojibeeren, 12,99 pro 100 Gramm, da kommen sie vielleicht im Müsli ein bis zwei Wochen aus, das ist schon ordentlich."
    Trotzdem verkaufen sich die Produkte. Die Biolebensmittelkette Alnatura hat seit diesem Herbst 56 Superfood-Artikel im Regal – vor einem Jahr war es gerade mal die Hälfte. Superfood verkauft sich. Dabei sind andere Lebensmittel oft gesünder, sagt Harald Seitz. Beispiel schwarze Johannisbeere oder Rotkohl. "Ist überhaupt nicht sexy im Gegensatz zu Acaibeeren, das ist völlig klar, hat aber die selben Inhaltsstoffe, teilweise sogar noch mehr, hat 'nen super CO2-Foodprint, weil es hier angebaut wird."
    Essen in der modernen Industriegesellschaft. Das heißt für viele Menschen mittlerweile freiwilliger Verzicht und das Hoffen auf Gesundheit. Und es ist ein politisches Statement. Die Marktforschungsexperten von Nielsen haben einen Namen für solche Konsumenten gefunden: sensible Esser. "Dass ich mich damit so intensiv befasse, hat für mich noch einen ganz anderen Aspekt: Nämlich den, dass ich häufig beobachte oder zunehmend beobachte, dass das Essen so etwas wie ein Ideologieersatz oder Religionsersatz wird." Christine Brombach ist Ernährungssoziologin. Sie lehrt an der Zürcher Hochschule ZHAW.
    "Dass ich eben mit meiner Ernährungsweise meine Sinnhaftigkeit erklären kann, das ist ein Novum, was wir beobachten. Das hat sicherlich auch mit einer generellen Zunahme der Komplexität unserer Welt zu tun. Das hat auch damit zu tun, dass auch das, was uns eigentlich in unserem christlich geprägten Abendland vermittelt wurde, für viele keine Verbindlichkeit mehr hat, dass das Essen diese Leerstelle neu auffüllt."
    Brombach ist zudem der Auffassung, dass die Masse an Produkten den Verbraucher überfordere. Es gibt nicht mehr eine Brotsorte, sondern 50. Indem der Konsument auswähle, verschaffe er sich Ordnung. "Der Bereich, den ich noch kontrollieren kann, das ist eben das Essen, weil es meinen Körper betrifft." Du bist was Du isst, oder was Du nicht isst. Ernährungswissenschaftler und Mediziner raten zu mehr Gelassenheit. Der Kölner Arzt Wolfgang Holtmeier.
    "Es gibt eigentlich kein Produkt mehr, was nicht schon mal angeprangert wurde krankhaft zu sein. Wenn Sie das ernst nehmen, können Sie gar nichts mehr essen, also ich möchte alle beruhigen, es gibt keine vergiftete Nahrung bei uns in Deutschland. Und Sie können alles essen. Und so lange man sich nicht einseitig ernährt, ist man auf der richtigen Seite."
    So sieht es auch die Ernährungssoziologin Christine Brombach. An Feiertagen wie Weihnachten oder zu Familienfesten sei es manchmal mühsam, wenn es ans Kochen gehe. Wie kann es jedem am Tisch recht gemacht werden? Brombach wünscht sich wieder mehr Freude am Essen. Weniger Nachdenken über das, was auf den Teller kommt.
    "Ein Tier ernährt sich, aber Menschen essen. Und wenn ich mich nur auf das Ernähren fokussiere, dann sind wir nicht mehr als ein Organismus, der Nährstoffe aufnimmt und vergessen dabei, dass dieses wunderbare Miteinander dabei ganz schnell verloren gehen kann."