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Norbert Röttgen zu Merkels Türkei-Besuch
"Ich halte diese Kritik für unsinnig"

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen hat die Gespräche von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan verteidigt. Die Kritik an der Türkeireise bezeichnete er als "unsinnig". Die Türkei sei zurzeit "das Schlüsselland", wenn es um die Steuerung von Flüchtlingsströmen gehe, sagte Röttgen im DLF.

Norbert Röttgen im Gespräch mit Bettina Klein | 19.10.2015
    Norbert Röttgen (CDU) spricht im Deutschen Bundestag in Berlin
    Norbert Röttgen (CDU) spricht im Deutschen Bundestag in Berlin (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Im Bezug auf die Gespräche in der Türkei betonte Norbert Röttgen (CDU), miteinander reden heiße nicht, die eigenen Positionen aufzugeben. Die Kritik etwa am türkischen Justizsystem gelte nach wie vor. Auf die Frage, welches Ziel die Reise der Kanzlerin in die Türkei gehabt habe, sagte Röttgen in Bezug auf die Flüchtlinge aus Syrien: "Wir haben jetzt erkannt, dass wir ein gemeinsames Problem haben." Die Türkei sei vom Terrorismus und dem Krieg in Syrien länger und stärker betroffen als Deutschland und zudem der einzige Nato-Partner in der Krisenregion. Das Land habe eine Schlüsselrolle, wenn es um die Steuerung des Flüchtlingsstroms Richtung Europa gehe.

    Bettina Klein: Kanzlerin Merkel gestern in der Türkei, Außenminister Steinmeier am Wochenende im Iran und ab heute zu Gesprächen in Saudi-Arabien. Zwei unterschiedliche Reisen in wichtige Staaten der Region, unterschiedlich heikel, aber beide im Bemühen, die Flüchtlingsströme etwas einzugrenzen und vor allen Dingen an den Fluchtursachen (Stichwort Syrien-Krieg) etwas zu ändern. Wie sieht es aus mit der deutschen Vermittlerrolle?
    Am Telefon ist Norbert Röttgen (CDU). Er ist der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Röttgen.
    Norbert Röttgen: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Beginnen wir damit: Auch Sie waren am Samstag in Teheran bei der gerade erwähnten Zwischenveranstaltung der Münchner Sicherheitskonferenz. Aber unter dem Strich: Mit der deutschen Vermittlerrolle, auch mit Blick auf Syrien, ist das nicht so einfach.
    Röttgen: Aber es ist notwendig. Es ist auch keine Vermittlerrolle, die wir in Anspruch nehmen, sondern es ist deutsche Außenpolitik als ein Teil von europäischer und auch westlicher Außenpolitik, und wir haben eine wichtige Stimme, die auch gehört wird, und wir haben die in gemeinsame Gespräche mit dem Außenminister, mit anderen Repräsentanten eingebracht. Das Nuklearabkommen ist ein enormer Erfolg, es ist nebenbei der einzige Erfolg in dieser Region. Der hat jetzt nicht einen neuen Iran schon gemacht, aber trotzdem besteht die Möglichkeit und die Notwendigkeit, diesen Erfolg zu sichern - er muss ja noch umgesetzt werden -, zu begleiten und daran fortzusetzen, an dem Ton. Es ist nicht komplett schon Vertrauen wiederhergestellt, aber immerhin hat das Misstrauen nicht überwogen, wie all die ganzen Jahre in der Vergangenheit, und das ist ein Punkt, an dem man ansetzen kann und muss, und das haben wir getan.
    Klein: Die Meinungsverschiedenheiten bleiben ja dennoch gewaltig, gerade mit Blick auf Syrien. Nennen Sie uns ein Beispiel, wo Sie den Eindruck haben, es hat sich ein bisschen was bewegt?
    Röttgen: Man kann auch nicht erwarten, man reist dahin und dann bewegt sich sofort etwas. Es ist auch richtig, dass Syrien aus meiner Sicht der wesentliche Punkt auch aktueller Unterschiede ist. Ich selber habe das auch betont in Gesprächen und Diskussionen. Das war auch, glaube ich, das allgemeine Ergebnis. Darum sind wir ja hingefahren, im Wissen darum, dass es einen grundlegenden Unterschied in der Rolle oder in der Beurteilung der Situation in Syrien gibt, auch in der Beurteilung, wie man die russische militärische Intervention sieht, wie man das Regime von Assad sieht als Teil von Problem und Lösung. Nein, es hat keine Bewegung gegeben, die irgendeiner verzeichnen konnte. Aber es wurde vor zwölf Jahren begonnen, über das Nuklearabkommen zu reden. Ich glaube nicht, dass wir wieder zwölf Jahre Zeit haben, aber man muss anfangen. Das war ein Einstieg, ein Beginn und dort muss man fortsetzen. Man darf das jetzt nicht wieder loslassen. Das ist, glaube ich, das wichtigste.
    Klein: Auch die USA, namentlich Präsident Obama, bestärken ja Deutschland, gerade in dieser Frage aktiv zu werden oder zu bleiben. Gerade in den USA herrschen große Bedenken und die Frage, wie vertrauenswürdig der Iran agiert. Sie haben es gerade selbst angesprochen: Es muss eine weitere Begleitung stattfinden, um vertrauensbildende Maßnahmen zu schaffen. Was konkret kann Deutschland da leisten?
    Röttgen: Wir müssen den Punkt aufnehmen, haben das auch getan, den der iranische Außenminister Sarif genannt hat. Er hat gesagt, das Nuklearabkommen ist zustande gekommen, weil wir das alte Denken, dass der eine nur gewinnen kann, wenn der andere verliert, überwunden haben, und wir haben erkannt, dass durch das Nuklearabkommen wir beide gewinnen: Für die Entwicklung des Irans, auch wirtschaftlich, aber auch für die Sicherheitsentwicklung aller in der Region, aber auch des Westens. Wenn der Iran eine Atombombe bekommen hätte, dann wäre das eine dramatische Veränderung der Sicherheitslage gewesen, und der Iran braucht wirtschaftliche Entwicklung.
    Wir haben in Syrien ein gemeinsames Problem von Sicherheit, für den Iran, aber auch für Europa, und das ist nicht im Gegeneinander zu lösen, sondern es ist ein gemeinsames Problem. Terrorismus wurde einheitlich von beiden Seiten als das größte gegenwärtige Problem aller Seiten benannt. Dort müssen wir ansetzen, um gemeinsam etwas zu tun: gegen Terrorismus von IS, aber auch gegen den Staatsterrorismus von Assad. Soweit waren wir allerdings noch nicht.
    "Die Türkei ist von dem Terror und dem Krieg in Syrien länger und stärker betroffen als wir"
    Klein: Herr Röttgen, während der Außenminister gestern vom Iran nach Saudi-Arabien weitergereist ist, besuchte die Bundeskanzlerin die Türkei. Ich würde darauf gerne mit Ihnen noch zu sprechen kommen. In zwei Wochen findet die Wahl dort statt. Es gab eine Menge Kritik an dem Zeitpunkt. Muss man sagen, die Aufwertung, die es jetzt gegeben hat an Präsident Erdogan und die AKP, wurde nicht nur in Kauf genommen, sondern war auch ein ganz bewusster Teil der Strategie, denn genau das beabsichtigt die Türkei ja?
    Röttgen: Ich halte diese Kritik eigentlich, möchte ich sagen, für unsinnig. Wer kann denn bestreiten, dass wir ein dringendes, übrigens auch gemeinsames Problem haben? Die Türkei ist von dem Terrorismus und dem Krieg in Syrien länger und stärker betroffen, als wir es sind. Wir sind es jetzt auch. Und manchmal gibt es Probleme, die sind so drängend. Wir hatten ein Ereignis hier am Wochenende in Köln etwa mit einer Messerattacke. Das zeigt doch, wie dringend und wie auch unsere Bevölkerungen von diesem Thema betroffen sind. Wenn eine Regierungschefin, die deutsche Kanzlerin sagen würde, jetzt warte ich noch mal ein paar Wochen ab, am 1. November ist die Wahl, dann haben wir vielleicht wochenlange Regierungsbildungszeit, dann würde sie unverantwortlich handeln und würde Kritik verdienen. Aber dass sie dieses Thema ungeachtet von innenpolitischen Wahlkämpfen aufnimmt, weil wir ein gemeinsames akutes Problem haben, ist absolut richtig, und übrigens viele Stellungnahmen scheinen mir eher von innenpolitischer Parteinahme, die das kritisieren, von innenpolitischer Beteiligung und Parteinahme in der Türkei geprägt zu sein, als das die deutsche Position der deutschen Bundeskanzlerin ist.
    Klein: Aber, Herr Röttgen, bisher galt ja auch für die CDU starke Kritik an der mangelnden Meinungs- und Pressefreiheit unter Erdogan in der Türkei, das Treten von Menschenrechten mit Füßen geradezu, das war immer ein Hemmnis, auch in Beitrittsverhandlungen einzusteigen. Jetzt hören wir plötzlich, wir wollen da ein bisschen mehr Dynamik reinbringen. Gelten denn all die Argumente nicht mehr?
    Röttgen: Jedes Argument gilt und wir haben kein einziges aufgegeben. Ich habe zum Beispiel auch schon seit Längerem gesagt, wenn wir Kritik gegenüber der Türkei haben, was den Justizbereich zum Beispiel anbelangt, dann sollten wir dieses Kapitel öffnen in den Verhandlungen, um genau auf diese Defizite zu sprechen zu kommen und darauf zu dringen, dass sie abgestellt werden. Miteinander reden heißt ja nicht, dass man seine Positionen aufgibt, sondern es heißt, dass man seine Positionen dringlicher einbringt in Gespräche und Verhandlungen, damit sich gemeinsame Probleme lösen lassen. Genau das passiert. Alles andere halte ich für Unterstellungen.
    !Klein: Was genau war jetzt das Ziel der Reise und ist es erreicht? War das Ziel, dass die Türkei keine Flüchtlinge mehr in die EU hineinlässt, oder was?
    Röttgen: Auch hier ist es nicht mit einer Reise getan. Leider haben wir ein viel größeres Problem. Aber wir haben nun wechselseitig erkannt, dass wir ein gewaltiges gemeinsames Problem haben. Die Türkei ist für Europa, damit besonders auch für Deutschland, das Schlüsselland im Allgemeinen, was übrigens auch die regionale Sicherheitssituation anbelangt. Es ist unser einziger NATO-Partner, damit Partner, der in die Region hineinreicht. Und zweitens hat die Türkei eine absolute Schlüsselstellung, wenn es darum geht, Steuerung auf die Flüchtlingsströme, Steuerungskontrolle und Gewalt auf die Flüchtlingsströme zu bekommen. Es geht nicht um Abwehr, sondern es geht um die Steuerung eines Flüchtlingsstromes nach Europa hinein. Dafür ist die Türkei entscheidend. Und die Türkei selber hat ja deutlich mehr Flüchtlinge aufgenommen als wir schon. Das heißt, wir haben ein gemeinsames Problem.
    Rötgen: Rekers-Attentat als Einzeltat abscheulich, aber nicht Ausdruck der Situation in der Gesellschaft
    Klein: Sie haben es schon angedeutet. Die Debatte über das ganze Thema nimmt hier auch in Deutschland wieder an Intensität zu. Ich würde gerne noch nach einer Meldung des heutigen Morgens fragen, wonach es in der Unions-Fraktion, der Sie ja angehören, im Bundestag einen Antrag, eine Initiative gibt zum Beschluss zur Abkehr von der bisherigen Politik der offenen Grenzen und dazu, die Grenzen zu schließen. Dabei dürfe auch Grenzbefestigung kein Tabu sein. Können Sie dazu etwas sagen?
    Röttgen: Ich selber bin noch nicht eingeladen worden, an einem solchen Antrag mitzuwirken. Ich habe nur davon gelesen. Wir machen uns ja alle darüber Gedanken. Und wenn es so einfach wäre, dann wäre es ja schon geschehen. In der Sache: Dass man mit Grenzbefestigungen im 21. Jahrhundert das Problem lösen kann, ich glaube, davon mögen manche träumen, aber realistische Politik ist es nicht. Zweitens werden ja auch Obergrenzen wieder in die Diskussion gebracht und gleichzeitig wird gesagt, wir wollen aber das individuelle Asylrecht, nebenbei auch die individuellen Rechte aus der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in Frage stellen. Das ist ein Widerspruch in sich. Entweder - oder! Also gehen auf dem Boden des geltenden Rechts Obergrenzen für den Eintritt auch nicht. Darum bleibt es dabei, dass wir in Deutschland Verfahren verbessern und beschleunigen müssen, dass wir konsequenter zurückführen müssen. Das ist dann in Wahrheit die quantitative Begrenzung, dass die Rückführung funktioniert. Und wir müssen eine viel, viel intensivere - darüber haben wir gesprochen - Außenpolitik, Migrations-Außenpolitik, Politik jenseits der Grenzen machen. Dafür brauchen wir viel mehr Engagement und dafür brauchen wir nebenbei kurzfristig viel mehr Geld. Denn wenn wir nicht die humanitäre Situation vor Ort verbessern, sichtbar, fühlbar, auch mit europäischem und deutschem Geld, und da rede ich über einen Milliarden-Betrag mindestens auch zum Einstieg, dann werden wir den Menschen nicht vermitteln können, dass wir ihnen vor Ort eine Perspektive geben. Dann werden sie weiter zu uns kommen. Das sind die Möglichkeiten des Handelns.
    Klein: Herr Röttgen, wir haben noch eine knappe Minute. Sie haben diesen Anschlag in Köln hier erwähnt. Wie besorgt sind Sie eigentlich über das politische Klima in Deutschland?
    Röttgen: Der Anschlag ist etwas, das den Menschen ein Signal gibt, dass wir zusammenhalten. Das vereint in Abscheu mit der Tat und in der Solidarisierung mit Opfern und gegen die es sich wendet, nämlich gegen unsere Offenheit gegenüber Menschen, die in Not kommen. Davon bin ich ganz überzeugt. Darum ist das Attentat abscheulich als Einzeltat, aber nicht Ausdruck der Situation in der Gesellschaft. In der Gesellschaft ist es vielmehr so, dass wir eine bleibende Offenheit, Freundlichkeit, Engagement haben und gleichzeitig natürlich die Sorge, wie bekommen wir als Land, als Staat auch wieder einen kontrollierenden Einfluss auf die Entwicklung, wo ist das Licht am Ende des Tunnels. Das ist die entscheidende Frage, die die Politik beantworten muss.
    Klein: Herr Röttgen, danke für die Einschätzung heute Morgen. Wir müssen zum Ende kommen. Wir werden das Thema mit Ihnen, aber auch heute Morgen hier in der Sendung fortsetzen. Norbert Röttgen war das (CDU), Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss.
    Röttgen: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.