Freitag, 19. April 2024

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NS-Vergangenheit von Journalisten
Das überraschte Erstaunen der Medien

Die ARD will sich nun mit der NS-Vergangenheit ihres früheren Programmdirektors Hans Abich beschäftigen. Die Aufarbeitung der Rolle von Journalisten im Nationalsozialismus bleibt ein bis heute wichtiges Thema. Experten fordern allerdings einen anderen Umgang mit ihr - und systematische Forschung.

Text: Michael Borgers / Lutz Hachmeister im Gespräch mit Isabelle Klein | 30.11.2021
Darf ein Medienpreis einem gewidmet sein, der mitverantwortlich war für Nazi-Propaganda? Nein, das darf er nicht. Zu dem Schluss kommt zumindest Armin Jäger. In seinem Artikel „Von der HJ auf den Olymp“ in der „Zeit“ am 11. November beschreibt der Filmhistoriker den Lebensweg von Hans Abich. Denn, so Jäger, „kaum ein Medienfunktionär“ sei „so respektiert wie der ehemalige Programmdirektor der ARD“.
Abich war von 1973 bis 1978 Programmdirektor des Ersten Deutschen Fernsehens. Nach seinem Tod 2003 wurde ein Filmpreis nach ihm benannt, der bis heute verliehen wird. Dabei habe Abich, so zeichnet es Jäger nach, als junger Mann ab 1943 als Referent im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda gearbeitet und sei stellvertretender Hauptschriftleiter bei den Propagandapublikationen „Geist der Zeit“ und „Sieg der Idee“ gewesen.

Jäger fordert Neubewertung Abichs

Abich habe „willig als Propagandahelfer“ gearbeitet, befindet Jäger. Und kommt zum Schluss: „Hans Abichs bis heute unhinterfragte Karriere als das moralische Gewissen zuerst des Nachkriegsfilms, dann vor allem des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sollte jetzt wenigstens posthum an ihr Ende kommen – mitsamt dem nach ihm benannten Preis.“
Welche Konsequenzen die ARD aus den Enthüllungen zieht, steht noch nicht fest. Die Historische Kommission des Senderverbunds will sich nun damit befassen. Genau wie die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste, die ihren Ehrenpreis für herausragende Verdienste um den Fernsehfilm als „Hans-Abich-Preis'“ vergibt.

Historiker Frei: Argumentative Doppelstrategie nach 1945

Und wie sind Medien insgesamt im Nachkriegsdeutschland mit der eigenen NS-Geschichte und der ihres Personals umgegangen? Unter anderem mit dieser Frage hat sich auch der Jenaer Historiker Norbert Frei bereits 1989 in seinem mit Johannes Schmitz veröffentlichten Buch „Journalismus im Dritten Reich“ beschäftigt. Im Kapitel „Stunde Null der deutschen Presse“ beschreiben die Autoren, wie quasi sofort nach Ende des Zweiten Weltkriegs versucht wurde, Geschichte neu zu schreiben.
Der Historiker Norbert Frei spricht in der Paulskirche bei einem Festakt zum Gedenken des 50. Todestages des ehemaligen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer am 01.07.2018. Dieser hatte 1963 den Auschwitz-Prozess in Frankfurt initiiert.
Der Historiker Norbert Frei, hier 2018 in der Paulskirche beim Gedenken an den ehemaligen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (dpa / Frank Rumpenhorst)
„Wie ich darin zeige, kam gleich nach 1945 eine argumentative Doppelstrategie auf“, erklärt Frei nun, vor dem Hintergrund der Abich-Berichterstattung, gegenüber dem Deutschlandfunk: „Einerseits schrieb man den Handlungsspielraum der in der NS-Zeit tätigen Journalisten systematisch herunter, andererseits hielten sich viel zu viele ein ‚Schreiben zwischen den Zeilen‘ zugute“. Insofern überraschten ihn die „vielen späten Entdeckungen journalistischen Mitläufer- und Mittätertums eigentlich weniger als das überraschte Erstaunen, mit dem diese Entdeckungen immer noch kommentiert werden“.

Forscherin Wohl von Haselberg: Brauchen differenzierten Blick

Tatsächlich gehe es bis heute, 76 Jahre nach Kriegsende, um genau diese Überraschung, findet auch Lea Wohl von Haselberg, die an der Filmuniversität Babelsberg zu deutsch-jüdischen Themen und Erinnerungskultur forscht. Der Fall von Hans Abich lenke den Blick „noch mal auf die Kontinuitäten, die es massiv gab, und die wir offenkundig immer noch verdrängen“.

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Kontinuitäten, analysiert die Film- und Medienwissenschaftlerin gegenüber dem Deutschlandfunk, die es im „Biografischen und Professionellen“ gegeben habe – und die bis heute wirkten. Auch deshalb bleibe es sinnvoll, Personalien wie die Abichs auch lange nach dessen Tod aufzuarbeiten. Die Gesellschaft habe noch immer „keinen guten Umgang“ mit dem Thema gefunden, findet Wohl von Haselberg. Und fordert „einerseits weniger erstaunt zu sein – und andererseits einen differenzierten Blick zu entwickeln darauf, was das für die Bewertung des Wirkens und Arbeitens nach 1945 bedeutet“.
Hier brauche es mehr als nur Relativierung oder Verdammung. Es gehe darum, die Kontinuität und Verwicklung in den „NS-Staat eher als die Regel denn als die Ausnahme anzunehmen“.

Publizist Hachmeister für systematische Erforschung

Bereits 1998 hat Lutz Hachmeister in seiner Habilitationsschrift Abichs studentenpolitisches Engagement und sein Referendariat in Salzburg beschrieben.[*] In Gesprächen, die er mit Abich geführt habe, habe dieser „keinen Hehl daraus gemacht“, dem NS-Regime in den Anfangsjahren „nicht ablehnend“ gegenübergestanden zu haben, sagte Lutz Hachmeister nun im Deutschlandfunk. Neu an der „Zeit“-Recherche sei die Tätigkeit für das Propaganda-Ministerium, so der Publizist und Medienforscher.
Journalist und Medienkritiker Lutz Hachmeister
Journalist und Medienkritiker Lutz Hachmeister (Imago)
Die ARD kümmere sich erst „sehr spät“ um das Thema, bemerkt Hachmeister. Was die historische Aufarbeitung angehe, habe sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk um sein Gründungspersonal nie systematisch gekümmert. "Wahrscheinlich auch aus Imagegründen, weil man vielleicht dachte: Da finden wir mehr heraus, als uns lieb ist." Beispielsweise habe der Deutschlandfunk mit Hermann Franz Gerhard Starke vor 60 Jahren einen Gründungsintendanten gehabt, der 1939 eine „wüste nationalsozialistische Dissertation" geschrieben habe, so Hachmeister.
Wenn prominente Fälle wie der des beliebten WDR-Journalisten und -Moderators Werner Höfer diskutiert worden seien, dann "immer zufällig und verspätet". Um einen Kontext herzustellen, müsste das Thema aber "systematisch" erforscht werden, findet Hachmeister. Das wäre zwar eine "sehr komplizierte Forschungsaufgabe", doch sollte man sich ihr stellen "im Sinne der vernünftigen zeithistorischen Aufklärung".
[*] Der ursprüngliche Text enthielt eine falsche inhaltliche Angabe zur Habilitationsschrift. Dies haben wir korrigiert.