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Odysseus war nichts dagegen

Lehrern in Sachsen steht derzeit das Wasser bis zum Hals. Obwohl viele Schulen händeringend nach neuen Lehrkräften suchen, finden vor allem viele Gymnasiallehrer keinen Job. Sebastian Fuchs ist einer von ihnen. Drei Jahre lang hangelte er sich erfolglos von Bewerbung zu Bewerbung.

Von Claudia Euen | 31.07.2013
    Den Eintritt ins Berufsleben hatte sich Sebastian Fuchs leichter vorgestellt. Zwei Jahre lang bewarb sich der frischgebackene Lehrer an Schulen. Die Resonanz aber war verhalten.

    "Die Rückmeldungsquote würde ich mit 10 Prozent angeben. Ich hab mich nicht nur bei Gymnasien beworben, ich hab mich bei unglaublich vielen privaten Bildungsträgern beworben. Ich hab vielleicht 30, 40 Bewebungen geschickt per E-Mail und hab 4 Antworten bekommen, das meiste Absagen. Die einen wollten mich für 6 Unterrichtsstunden einstellen."

    Zum Leben hätte das nicht gereicht. Die Odyssee durchs sächsische Bildungssystem aber begann schon viel früher. 2008 beendete Sebastian Fuchs sein Lehramtsstudium an der Universität Leipzig und bewarb sich für ein Referendariat. Eineinhalb Jahre meldete sich niemand zurück. Unsicherheit und Arbeitslosigkeit standen auf seinem Stundenplan.

    "Ich dachte immer, Lehrer werden gesucht, so wie es in der Presse immer steht. Letztendlich habe ich gemerkt, dass ich kaum eine Chance auf dem Arbeitsmarkt habe, im öffentlichen Dienst irgendwo eine Anstellung zu finden. Jetzt gerade ist mir das bewusst geworden."

    Dabei hatte Sebastian Fuchs Geschichte und Gemeinschaftskunde studiert – Fächer, die ihn wirklich interessierten. Er dachte, er sei auf dem richtigen Weg.

    "An der Uni haben sie gesagt, das passt ja gut, das ist ja eine Kombination, die sich ergänzt. Es hat nie jemand gesagt, schauen Sie mal Herr Fuchs, im Nachhinein muss ich sagen, hätte ich lieber noch Deutsch dazu studiert, dann hätte ich noch ein Hauptfach gehabt und wesentlich bessere Chancen."
    Aber nicht nur die falsche Fächerkombination ist ein Problem: Angebot und Nachfrage stimmen auf dem sächsischen Lehrermarkt nicht überein. Zum ersten August 2013 gibt es 510 freie Stellen, aber 760 Absolventen. Mittlerweile hat die Sächsische Landesregierung weitere 250 befristete Stellen zur Verfügung gestellt. Dennoch werden viele junge Lehrer keinen Job finden oder sie wechseln die Schulart, weiß Jens Weichelt, Vorsitzender des sächsischen Lehrerverbandes.

    "Wir haben genügend Bewerber, aber wenn ich die Absolventen schaue, die zurzeit ihr Referendariat abschließen und vergleiche mit den Einstellungszahlen, so fehlen mir 100 Grundschulabsolventen, 100 Förderschulabsolventen, 80 Mittelschulabsolventen wogegen im Gymnasialbereich 270 Lehrerinnen und Lehrer, die ihre Ausbildung jetzt gerade beenden werden, keine Chance auf Einstellung an einem Gymnasium zu haben."

    Jedes Jahr kommen zu den Gymnasiallehrern, die keinen Job finden, neue Absolventen hinzu. Zwei Drittel aller Lehramtsstudenten spezialisieren sich auf Gymnasien, mittlerweile wird an den Universitäten auf das Problem hingewiesen. Weil Sebastian Fuchs keinen Job fand, ließ er sich zum Wirtschaftslehrer weiterbilden.

    Nun hat er eine Teilzeitstelle an einem privaten Gymnasium in Sachsen-Anhalt gefunden. Die täglich 100 Kilometer Fahrstrecke nimmt er in Kauf, auch die schlechtere Bezahlung. Immerhin hat er eine Familie zu versorgen. Viele junge Pädagogen aber ziehen weg, weil sie woanders leichter einen Job finden, verbeamtet werden oder einfach besser verdienen. Für Jens Weichelt sind diese Standortnachteile kontraproduktiv:

    "Aus unserer Sicht völlig unverantwortlich, dass man ausgebildete Gymnasiallehrer, deren Ausbildung über 120.000 Euro gekostete hat in all den Jahren, dass man diese jungen Leute einfach so ziehen lässt, obwohl man genau weiß, dass wir spätestens 2017/18 diese Leute brauchen werden, weil wir dann zu wenig Bewerbungen auch für das Gymnasium haben werden. Ganz zu schweigen von der Mittelschule."

    Der Sächsische Lehrerverband fordert eine bessere Bezahlung für Lehrer - vor allem für Mittelschullehrer, die pädagogisch oft größere Herausforderungen meistern müssen. Bei finanzieller Gleichbehandlung würde auch der ein oder andere Gymnasiallehrer an eine Mittelschule wechseln. Zudem sollen ältere Lehrer eher aus dem Beruf aussteigen können. Einerseits, um jungen Lehrern schon heute den Einstieg zu ermöglichen, andererseits um gerade jene, die mehr als 40 Dienstjahre hinter sich haben, zu entlasten. Das ist dringend notwendig, sagt Jens Weichelt.

    "Wir merken das jetzt an dem hohen Krankenstand, und der wächst stupide an, und wir haben ab nächstem Schuljahr ein Viertel unserer Lehrkräfte über 60 Jahre alt. Das ist eine Situation, die hat es noch nie gegeben. Weil es bis Ende 2009 attraktive Altersteilzeitmodelle gegeben hat. Die gibt es jetzt nicht."

    Das neue Altersteilzeitmodell der Sächsischen Landesregierung sieht vor: Für 50 Prozent Arbeit werden 60 Prozent des Nettogehaltes gezahlt. Darüber wollen die Gewerkschaften nach der Sommerpause weiter verhandeln. Denn die daraus resultierenden Einbußen in der Rente wird so schnell kein Lehrer freiwillig in Kauf nehmen.