Samstag, 20. April 2024

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Nach Chat-Enthüllungen
Österreichs Journalismus in der Vertrauenskrise

Auch gut ein Jahr nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler halten die Regierungsjahre von Sebastian Kurz Österreich weiter in Atem. Zentral bleibt dabei das enge Verhältnis von Politik und Medien. Nach neuen Enthüllungen wird nun der Ruf nach einem journalistischen Neuanfang lauter.

Text: Michael Borgers | Audio: Wolfgang Vichtl | 08.11.2022
Das Logo der österreichischen Tageszeitung "Die Presse"
"Die Presse" - eine in Wien erscheinende überregionale österreichische Tageszeitung mit großer Tradition (IMAGO / Alex Halada / IMAGO / ALEX HALADA)
Nabelschau ist nicht neu für „ZiB 2“, das Nachrichtenmagazin am späteren Abend im ORF-Fernsehen. Was er denn besser könne als Vorgänger Alexander Wrabetz – das wollte Moderator Armin Wolf im August 2021 von Roland Weißmann wissen, dem damals designierten ORF-Generaldirektor. Schlagzeilen machte das Interview dann vor allem, weil der Befragte sekundenlang über eine Antwort nachdenken musste.
Inzwischen leitet der von der regierenden ÖVP ins Amt gebrachte Weißmann den Österreichischen Rundfunk. Und er musste sich dort nun erneut in eigener Sache zu Wort melden - bzw. der seines Hauses: Er habe sich an den ORF-Ethikrat gewandt, erklärte Weißmann am Montagabend (07.11.2022) in einem Beitrag in „ZiB 2“.

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Hintergrund von Weißmanns Erklärung sind Vorwürfe gegen den eigenen Chefredakteur, Matthias Schrom, der laut ORF zuvor „ab sofort“ seinen Urlaub angetreten hat.

Versuchte Einflussnahme aufs ORF-Programm

Schrom war wegen vor Kurzem (wie zuvor bereits verschiedene Politiker) wegen öffentlich gewordener Chat-Verläufe in die Kritik geraten. Es geht um Nachrichten von und an Heinz-Christian Strache. Der frühere Chef der rechtspopulistischen FPÖ und Vizekanzler hatte sich darin über Berichterstattung beim ORF geärgert und Druck auf Verantwortliche beim Sender gefordert. Schrom soll dafür Verständnis gezeigt und Strache Hinweise gegeben haben.
Der Chat-Austausch stammt aus den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen ehemalige Regierungsmitglieder in Folge der sogenannten „Ibiza-Affäre“ rund um Korruptionsvorwürfe. Die Zeitung „Der Standard“ hatte zuerst über den 166-seitigen Untersuchungsbericht berichtet.  

Seilschaften mit Regierungsbeamten

Demnach gibt es weitere Nachrichten, die auch Rainer Nowak belasten. Der Chefredakteur und Herausgeber der überregionalen Tageszeitung "Die Presse" soll im direkten, persönlichen Austausch mit Thomas Schmid, einem früheren Spitzenbeamten im Finanzministerium, gestanden haben.

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Thomas Schmid gilt als enger Vertrauter von Sebastian Kurz und sollte eigentlich gerade im Untersuchungsausschuss als eine Art Kronzeuge gegen den früheren Kanzler ausgesagt, verweigerte das dann aber überraschend. Seine privaten Nachrichten mit dem Medienmanager Nowak legen nahe, dass sich die beiden gegenseitig beruflich unterstützen wollten – oder das bereits getan haben.
So heißt es in einer Nachricht von Nowak an Schmid: „Ehrensache. Jetzt musst du mir bitte beim ORF helfen“. Nowak soll damals, die Chats stammen aus dem Jahr 2019, Ambitionen auf den Posten des ORF-Generaldirektors gehabt haben. Sein aktueller Arbeitgeber, die Styria Media Group, gab nun bekannt, dass Nowak dort seine Arbeit vorerst ruhen lässt.
Zuvor hatte er seine Leser wegen "Tonalität und unangemessener Nähe" der Chatverläufe um Entschuldigung gebeten. Einen Einfluss auf die Berichterstattung im Sinne der Regierung wies er aber zurück, genau wie Schrom und sein Chef, ORF-Intendant Weißmann. Dieser betonte, die Glaubwürdigkeit des ORF sei „zu keiner Zeit gefährdet gewesen“, Journalisten hätten immer unabhängig berichten können.

Ruf nach Konsequenzen

Von Einflussnahme auf die Berichterstattung in der Vergangenheit sprach auch nicht der Vorsitzende des ORF-Redakteursrats Dieter Bornemann. Dennoch fordert er im Namen der ORF-Mitarbeiter Konsequenzen: „Wenn der Chefredakteur der wichtigsten Nachrichtensendung des Landes seine unangebrachte Nähe zu Regierungspolitikern in dieser Form hat und sie berät, wie er mit dem ORF umgehen soll und die Redaktion gleichzeitig vernadert (denunziert), dann geht sich das überhaupt nicht aus“, sagte Bornemann bei „ZiB 2“.
Der ORF müsse „entpolitisiert werden“, forderte im ORF dann auch Daniela Kraus vom Presseclub Concordia, der als älteste noch bestehende Journalistenvereinigung der Welt gilt. Das Problem sei ein strukturelles und resultiere aus „verfehlter Medienpolitik seit Jahrzehnten“, so Straus.

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Nur kurz nach den Reaktionen der belasteten Journalisten Schrom und Nowak gab „Reporter ohne Grenzen“ bekannt, einen Watchblog für Medienschaffende in Österreich einrichten zu wollen. Die aktuellen Vorkommnisse seien „eines demokratischen Staates bereits in höchstem Maße unwürdig“, erklärte die Organisation. Österreich gehöre „zurecht zu den europäischen Schlusslichtern in Bezug auf Pressefreiheit“ Daher biete man sich nun als „Plattform für die notwenige Aufklärung und Diskussion an“.