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Operation Aderlass und die Tour
"Was möglich ist, wird auch genutzt"

Nach den Enthüllungen rund um die Operation Aderlass fährt auch bei der Tour de France der Zweifel weiter mit. Der Blutdoping-Skandal hat die Lücken im Kontrollsystem deutlich gemacht. Die jüngere Profigeneration fährt womöglich schlauer und weniger riskant - aber nicht zwangsläufig sauber.

Von Tom Mustroph | 13.07.2019
Radprofis bei Tour de France bei der Fahrt durch Arbois
Der Zweifel fährt mit - auch bei der aktuellen Tour de France (Philippe Trias / MAXPPP / dpa)
Michael Rasmussen lächelt, als er hier bei der Tour nach Operation Aderlass befragt wird. Der Däne stand vor zwölf Jahren selbst im Mittelpunkt eines Dopingskandals. Er hatte das Gelbe Trikot an, und sein Team Rabobank nahm ihn wegen Dopingverdachts aus dem Rennen. Jetzt ist er als Kolumnist für eine dänische Zeitung hier, und er erinnert sich an das Frühjahr, als bei ihm die Nachricht von Operation Aderlass ankam.
"Als es rauskam, schrieb ich Stefan Matschiner eine SMS, um halb sieben morgens. Und ich fragte ihn: Ist das unser altes Equipment, das da gebraucht wurde? Ich wusste, dass der Apparat irgendwo im Südosten Deutschlands war. Ich wusste aber nicht ganz genau, wo."
Rasmussen: "Maschine stand nicht still"
Fünf Minuten später rief ihn Matschiner an. Der Österreicher war einst ein sehr umtriebiger Dopingmakler. Er hatte Rasmussen, aber auch den Gerolsteiner-Profi Bernhard Kohl mit Dopingpräparaten versorgt und das Blutdoping organisiert. Matschiner bestätigte, es war das alte Equipment. Es zeugt von viel Chuzpe bei Mark S., dem Erfurter Arzt. Er benutzte offenbar eine bereits von der Polizei sichergestellte Apparatur einfach erneut für Doping.
"Man darf annehmen, dass es benutzt wurde, seitdem S. es 2011 oder 2012 erhielt. Ich denke, die Maschine hat die ganzen acht Jahre lang nicht stillgestanden."
Diese Annahme von Rasmussen ist plausibel. Operation Aderlass hat auch für den Dänen noch einmal die Lücken des Antidopingsystems deutlich gemacht.
"Meine Meinung ist, solange die Möglichkeit da ist, und sie war offensichtlich da, denn der Skiläufer wurde ja nicht durch den biologischen Pass überführt, sondern von der Polizei mit der Nadel in seinem Arm, solange wird das genutzt. Das zeigt, dass noch ein langer Weg zu gehen ist. Und der biologische Blutpass ist auf gar keinen Fall eine Garantie, dass wir einen sauberen Sport haben."
Radprofis bei der Tour de France sind immerhin froh, dass aufgeräumt wird, dass der Sport sauberer wird. Emanuel Buchmann, einer der beiden Rundfahrtkapitäne des Rennstalls Bora hansgrohe:
"Gut, ich meine, schön ist das natürlich nicht, dass es wieder so einen Fall gibt. Aber am Ende ist es besser für den Sport, wenn das aufgedeckt wird. Wenn die ganzen Leute, die da involviert sind in den Sport, erst einmal rauskommen. Und dass es einfach aufgedeckt wird. Und dass es das nicht mehr gibt."
Zweifel fährt mit bei der Tour
So blauäugig, dass alle jetzt sauber fahren, sind aber auch die Tour-Teilnehmer nicht. Patrick Konrad, Co-Kapitän bei Bora hansgrohe, verurteilt Betrug. Er ist aber realistisch genug, die Anreize zu sehen, im Sport und darüber hinaus.
"Ich kann nur sagen, die Idioten sterben halt nicht aus in der Welt. Es wird immer Idioten geben, nicht nur im Sport. Auch in der Politik, ja, in allen Bereichen. Wenn die Idiotie einfach aussterben würde, dann würden wir wahrscheinlich ernsthaft gegen den Klimawandel ankämpfen, dann hätten wir keine korrupten Politiker, dann hätten wir keinen Abgasskandal bei VW, und dann hätten wir wahrscheinlich auch keine Betrüger."
Aber es gibt sie. Selbst in einer jüngeren Fahrergeneration, von der man glaubte, sie sei mit einer anderen Mentalität aufgewachsen.
"Ja, das trifft es ganz gut: Man glaubt, sie sind mit der gleichen Mentalität aufgewachsen, und das war schon sehr enttäuschend für mich. Da war ich wirklich geschockt, nicht nur einen Tag, sondern das hat mich schon mehrere Wochen beschäftigt. Aber im Endeffekt ist es jetzt so und ich muss mich auf mich selber konzentrieren. Und, ja, es ist schade."
Der frühere Doper Michael Rasmussen setzt nicht so sehr auf Bewusstseinsprozesse und Mentalitätsänderungen.
"Wir müssen davon ausgehen, dass all das, was möglich ist, auch genutzt wird. Wenn EPO erlaubt gewesen wäre, hätten es alle genutzt. Es ist kein moralisches Problem, sondern eher die Frage, ob man eine positive Probe abgibt."
Verbesserter EPO-Nachweis
Die Kontrollen müssen also funktionieren. Operation Aderlass hat jedoch gezeigt, dass man dopen kann und nicht bei den Kontrollen erwischt wird. Das französische Dopingkontrolllabor Chatenay-Malabry hat in diesem Jahr immerhin einen Test entwickelt, der das Nachweisfenster von Mikrodosierungen von EPO von etwa 24 Stunden auf 48 Stunden verlängert. Das Problem ist nur: Der Test darf in diesem Jahr noch nicht offiziell eingesetzt werden. Und überhaupt, warum werden meistens nur die kleinen Fische erwischt, und so selten die Stars des Sports? Dazu Michael Rasmussen:
"Oh, da kann es mehrere Erklärungen geben. Sicherlich haben ein paar Fahrer und ein paar Teams einfach mehr Power, sie haben mehr Muskeln und sind auch wichtiger für den gesamten Radsport. Es gibt auch eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass sie weniger Risiken eingehen und einfach schlauer sind."
Schlauer, weniger riskant - das ja. Aber eben nicht zwangsläufig sauber.