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Schwarzer Tod im Mittelalter
Wo nahm der Siegeszug der Pest seinen Anfang?

Der Schwarze Tod des Mittelalters ist bis heute die größte Pandemie der Menschheitsgeschichte. Zwischen 1346 und 1353 raffte der Pesterreger in einem einzigen großen Ausbruch bis zu 60 Prozent der Bevölkerung dahin. Den Ursprung hat ein internationales Team nun in Zentralasien verorten können.

Von Michael Stang | 16.06.2022
Pestkreuze am Ortseingang von Emmingen Liptingen in Baden-Württemberg
Pestkreuze, wie hier am Ortsteingang von Emmingen-Liptingen, wurde zum Gedenken der Opfer der großen mittelalterlichen und neuzeitlichen Pest-Epidemien errichtet. (imago / Werner Otto)
„Es gab verschiedene Theorien zum Ursprung des Schwarzen  Todes“, sagt Johannes Krause. Die zeitlichen und geographischen Anfänge der Pestepidemie waren bislang ungeklärt. Eine Theorie besagte, dass der Erreger der Krankheit, das Bakterium Yersinia pestis, aus China stammte, weil es dort in heutigen Nagetieren eine große genetische Vielfalt gibt. Andere Überlegungen gingen davon aus, dass die Krankheit ihren Ursprung in Zentralasien oder Südasien hatte. Unbestritten ist nur, dass es sich um eine Zoonose handelte, also eine Krankheit, die von einem Tier auf Menschen überging. Früheste Nachweise der Pest stammen aus dem Ostmittelmeerraum, so der Direktor des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.
„Im Schwarzen Meer finden sich die ersten historischen Spuren in Caffa, eine Kolonie der Genuesen, die 1346 belagert werden. Und dann während der Belagerung kommt es zu diesem Ausbruch, und von da aus breiten sich über Schiffe dann die Erreger nach Europa aus und verursachten den schwarzen Tod.“
Diese erste Infektionswelle war der Beginn einer 500 Jahre andauernden Pandemie, die bis ins frühe 19. Jahrhundert andauern sollte.
„Was man im Stammbaum sieht dieser Erreger, und das ist sehr spannend, ist, dass wir so eine Art Big-Bang-Ereignis haben. Wir haben so einen Urknall, wo viel genetische Diversität entsteht, wo innerhalb sehr kurzer Zeit sich vier Abspaltungen ereignen, wo sich vier Stämme bilden und die aus einem gemeinsamen Vorfahren entstehen. Und genau, wo dieser gemeinsame Vorfahre war, das war im Prinzip die Forschungsfrage, der wir in diesem Projekt nachgegangen sind.“

Der schwarze Tod raffte 60 Prozent der Bevölkerung dahin

Bei seiner Forschung ging das internationale Team systematisch vor. Gesucht wurden Skelette aus der Zeit kurz vor dem globalen Ausbruch des Schwarzen Todes, die den Pesterreger in sich trugen. Schnell deutete einiges darauf hin, dass archäologische Funde aus Zentralasien aus einem Gebiet nahe des Yssykköl-Sees im heutigen Kirgisistan die gewünschten Antworten liefern könnten.
„Wir hatten großes Glück. Wir hatten Zugang zu Material, das wurde bereits in den 1880er-Jahren ausgegraben und zwar in einer Fundstelle in der Nähe von Bischkek, der Hauptstadt von Kirgistan. Da gab es eine Siedlung und einen Friedhof von dieser Siedlung, die aus dem 14. Jahrhundert stammte. Und da hat man schon im 18. Jahrhundert Gräber gefunden, mit Grabsteinen, die darauf hindeuteten, dass diese Menschen so um 1338 gestorben sind, dass dort besonders viele Menschen zu dieser Zeit gestorben sind und auf den Grabsteinen stand auch drauf, dass sie an Pestilenz gestorben sind.“
Die ausgegrabenen Gebeine wurden damals nach Sankt Petersburg gebracht. Und dort, in der Sammlung der Kunstkammer, entdeckten Johannes Krause und sein Team die alten Skelette wieder. Die Zähne der Toten wurden genetisch untersucht und wieder hatten sie Glück. Aus drei von sieben Individuen konnten die Genetiker den Erreger nachweisen und den gesamten Bauplan, also das Pesterbgut, rekonstruieren.

Der Ursprungsstamm des Schwarzen Todes ist identifiziert

„Zu unserer großen Überraschung war das dann quasi dieser Big-Bang-Stamm, nämlich genau der, der im Stammbaum an die Stelle fällt, wo 80 Prozent der heutigen Stämme geboren werden. Also wo in sehr kurzer Zeit sehr viele unterschiedliche Stämme entstehen. Es ist ein bisschen wie wenn man aus der Vergangenheit Wuhan für Corona rekonstruieren würde, also so eine Art Patient Zero, also den Ort, wo das erste Mal der Erreger auf den Menschen übergesprungen ist beziehungsweise wo sich in kurzer Zeit viele neue Stämme gebildet haben, wo quasi der Ursprung dieses Stammes ist, der einmal zum Schwarzen Tod geführt hat, aber auch noch zu anderen Stämmen, die wir heute zum Beispiel in Kasachstan, in der Mongolei und in China finden.“
Natürlich ist nicht exakt geklärt, dass diese Menschen tatsächlich die allerersten Opfer des schwarzen Todes waren, aber sie trugen den Ursprungsreger, den sogenannten Stamm in sich und gehörten damit zu den frühen Infizierten. Es kam damals rasch zu einer Epidemie, die später zu dem pandemischen Stamm geführt hat, der in Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika das Massensterben auslöste. Damit hat die lange Suche ein gutes Ende genommen, so Johannes Krause. Denn nun ist klar, wann und wo der Schwarze Tod seinen Ursprung hatte – und zwar 1338 in den Ausläufern des Tian Shan-Gebirges.
„Und, dass wir sozusagen jetzt auch diese temporäre Einordnung haben, dass man überhaupt einen Grabstein haben, auf dem steht, wann gestorben und an was gestorben. Das ist sehr ungewöhnlich, und das jetzt auch noch für diesen Stamm - also das ist wirklich ein Sechser im Lotto, kann man sagen.“
Die neuen Daten helfen dabei, Pandemien genetisch zu verstehen, wann und wie sich Erreger verbreiten und verändern. Das betrifft nicht nur die aktuelle Coronapandemie, sondern könnte auch Hinweise auf noch frühere Epidemien geben, die bislang noch nicht bekannt sind.
„Wir versuchen jetzt, uns in der Zeit zurückzubegeben und dann vielleicht auch prähistorische Pandemien in diesen Daten zu identifizieren - jetzt, wo wir wissen, was sie für Spuren in der Genetik hinterlässt, also wie der Stammbaum einer Pandemie aussieht.“