
Eine biblische Krankheit als Strafe, Bilder von Aussätzigen, die ausgegrenzt leben und mit einer Klapper auf sich aufmerksam machen müssen, lebendig Begrabene: Die Krankheit Lepra ist bis heute von teilweise schauerlichen Mythen umgeben.
Eine Beschäftigung mit der Geschichte der Krankheit zeigt jedoch, dass dies auf historischen Fehlurteilen beruht. Sie sind schwer aus der Welt zu schaffen und prägen bis heute Vorstellungen über die Lepra. Doch mit der Realität – auch mit der historischen – haben sie oft wenig zu tun.
Lepra ist weltweit immer noch verbreitet
Die Lepra: eine biblische, mittelalterliche – in jedem Fall historische – Krankheit, die es nicht mehr gibt – das ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Er erschwere die Bekämpfung der Lepra, sagt die Soziologin und Anthropologin Beatriz Miranda-Galarza, Berichterstatterin bei den Vereinten Nationen. Und: Von Lepra betroffene Personen würden dadurch marginalisiert.
Dabei wird nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedes Jahr bei mehr als 200.000 Menschen eine Lepra diagnostiziert. Die meisten Erkrankungen treten heute in Brasilien, Indien und Indonesien mit mehr als 10.000 Fällen pro Jahr auf. In 13 weiteren Ländern Afrikas und Südasiens erkranken pro Jahr mehr als 1000 Personen.
Die Dunkelziffer sei hoch. Bis zu fünf Millionen Menschen seien weltweit aufgrund der Krankheit von Stigmatisierung und Diskriminierung betroffen.
In der WHO-Region Europa gab es 2023 dagegen nur 37 Fälle. Es wird davon ausgegangen, dass es sich dabei um eingeschleppte Erkrankungen handelt.
Lepra tritt also vor allem in Ländern auf, in denen es viel Armut gibt. Der Immunologe John Spencer von der Colorado State University erklärt dies so: Faktoren wie Mangelernährung oder andere, unbehandelte Infektionen erhöhen das Risiko für eine Ansteckung und einen schweren Verlauf.
Deshalb sei Lepra eine Krankheit der Armut, die vor allem in Regionen mit schlechten Hygienebedingungen und wenig Zugang zu medizinischer Versorgung vorkomme.
Übertragungswege, Symptomatik, Behandlung: So ist Lepra wirklich
Lepra wird durch Bakterien mit dem Namen Mycobacterium leprae – in einigen Fällen auch M. lepromatosis – verursacht. Es handelt sich um eine chronische Infektionskrankheit. Der Übertragungsweg ist nicht genau bekannt, der Nachweis der Bakterien in der Nasenschleimhaut deutet jedoch auf eine Tröpfcheninfektion hin.
Lepra führt zu sichtbaren Veränderungen an der Haut - auf dunklerer Haut wirken die Hautveränderungen heller als die umgebende Haut, insbesondere bei hellerer Haut erscheinen sie rötlich.
Hinzu kommt die Schädigung von Nerven. Das kann zur Beeinträchtigung der Berührungsempfindung sowie des Schmerz- und Temperaturempfindens führen. Auch Schleimhäute, Atemwege und die Augen können betroffen sein.
Fatal bei der Lepra sei, dass sie nicht schmerzt, sagt die Infektionsbiologin Christa Kasang, die die Forschungsabteilung bei der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe* leitet. Veränderungen im Körper fänden statt, ohne dass ein Schmerzsignal gesendet wird. Kommt es dann zu den typischen Lähmungserscheinungen – Verkrümmungen der Hände oder dass die Augenlider nicht mehr geschlossen werden können –, seien die Nerven schon längst betroffen.
Lepra ist gut heilbar. Wichtig ist eine frühzeitige Behandlung, um leprabedingte Behinderungen zu vermeiden. Die Krankheit wird mit Antibiotika behandelt. Die Multi-Drug-Therapie mit Rifampicin, Clofazimin, Dapson ist hoch effektiv und kuriert die Infektion in der Regel nach sechs bis zwölf Monaten.
Lepra ist gering ansteckend. Nur ein längerer und enger Kontakt kann zu einer Infektion führen. Nur etwa fünf Prozent der Personen entwickeln nach Kontakt mit dem Erreger Beschwerden.
Ob es zu einer Infektion und dann einem schweren Verlauf kommt, hängt von den Lebensumständen und dem Immunsystem ab. Auch erbliche Faktoren scheinen einen Einfluss darauf zu haben. Bei über 90 Prozent der Menschheit verhindert das Immunsystem, dass die Krankheit überhaupt ausbricht.
Bis nach einer Ansteckung erste Symptome auftreten, können drei Monate bis 40 Jahre vergehen, im Durchschnitt sind es zwei bis vier Jahre.
Bis nach einer Ansteckung erste Symptome auftreten, können drei Monate bis 40 Jahre vergehen, im Durchschnitt sind es zwei bis vier Jahre.
Lebendig begrabene Aussätzige: Die Mythen um Lepra und ihr Ursprung
Das weit verbreitete und verzerrte Bild von der Lepra hat seinen Ursprung im 19. Jahrhundert. Zu dieser Zeit war Lepra in den meisten Ländern Europas viel seltener als im Mittelalter, so Magnus Vollset, Wissenschaftshistoriker an der Universität Bergen in Norwegen. Dies wurde als die Folge von europäischem Fortschritt und westlicher Zivilisation gedeutet.
In den Kolonien der europäischen Großmächte breitete sich die Krankheit dagegen aus – Zeichen mangelnder Zivilisation, so die damalige Auffassung. Eben diese fehlende Zivilisation halte mit der Kolonialisierung Einzug – eine Rechtfertigung des kolonialen Projektes, so Vollset.
Die Lepra wird zum Zeichen der „Rückständigkeit“
1873 entdeckt der Norweger Gerhard Armauer Hansen den auslösenden Krankheitserreger, das Mycobacterium leprae. Mit dieser Entdeckung setzt sich langsam die Sichtweise durch, dass Lepra einen biologischen Ursprung hat.
Doch Hansen und andere ziehen daraus die Schlussfolgerung, dass Europa die Lepra in der Vergangenheit allein durch strikte Absonderung besiegt habe. Leprakranke, die in Norwegen vielzähliger waren als im übrigen Europa, wurden in Leprahäusern abgesondert – und mit Nahrung, Kleidung und guter Pflege versorgt.
Um diese moderne Praxis zu legitimieren, wurde die Behandlung der mittelalterlichen Lepra als möglichst grausam und rückständig dargestellt, so Vollset – um im Gegensatz die moderne Segregation der Kranken human und fortschrittlich erscheinen zu lassen.
Irrtümer über die Lepra formen die Vorstellungen über sie bis heute
Lepra als Kranheit der Armen, Rückständigen und Abgesonderten - mit dieser Perspektive wird im 19. Jahrundert dann auch die Geschichte der Krankheit teilweise falsch umgedeutet.
Schon im Alten Testament der Bibel wird der Zustand „Aussatz“ erwähnt. Die davon Befallenen werden ausgesondert – weil ihr Zustand als verunreinigend gilt. Sie sind stigmatisiert. „Aussätzige“ wurden fortan oft als Lepra-Kranke interpretiert, obwohl die in der Bibel genannten Personen wohl nicht an Lepra erkrankt waren, wie die britische Historikerin Carole Rawcliffe erklärt.
Ein weiterer Irrglaube zur Lepra betrifft das Mittelalter: Aussätzige seien rigoros ausgegrenzt worden, aus Furcht vor Ansteckung. Doch die Forschung zum Mittelalter zeigt: Dieses Bild stimmt nicht mit den historischen Gegebenheiten überein. So befanden sich Lepraheime, die sogenannten Leprosarien, in Großbritannien in unmittelbarer Nähe zu Burgen, Städten und Siedlungen. Als sichtbares Zeichen, dass sich die Gesellschaft um ihre Mitglieder kümmere, die unter Lepra leiden, sagt Rawcliffe.
Leprakranke werden im Mittelalter überdies ganz normal begraben, so ein Forschungsergebnis der Archäologin Charlotte Roberts, emeritierte Professorin der Durham University in England – ein Zeichen dafür, dass sie nicht stigmatisiert waren. Roberts hat die Gräber von Skeletten, die Anzeichen von Lepra aufweisen, in Großbritannien und in anderen Teilen der Welt untersucht.
Auch zu Lebzeiten scheint man Leprakranke besser behandelt zu haben, als heute vermutet. Die meisten wurden wohl nicht zwangsweise in die Leprosarien eingewiesen und das Leben dort konnte durchaus angenehm sein.
Die vielen Missverständnisse prägen das Bild von der Lepra jedoch bis heute – und führen auch weiterhin zu sozialer Ausgrenzung und Ächtung. Um das archaische Bild loszuwerden, fordern manche, die Krankheit umzubenennen – nach Hansen. So darf in Brasilien die Krankheit offiziell nur noch als Hansen-Krankheit bezeichnet werden.
*Wir hatten hier in einer ersten Version versehentlich eine veraltete Organisationsbezeichnung verwendet.
csh