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Pöttering kritisiert Putin

EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering beklagt unmittelbar vor der russischen Duma-Wahl ungleiche Chance für die Parteien. Die Medien seien völlig in der Hand des Kremls, sagte der CDU-Politiker. "Und das gibt natürlich der Opposition überhaupt keine Chancen, so dass die Wahl eigentlich schon entschieden ist, bevor sie stattfindet."

Moderation: Dirk Müller | 30.11.2007
    Dirk Müller: Am Telefon sind wir nun verbunden mit Hans-Gert Pöttering (CDU), Präsident des Europäischen Parlaments. Guten Morgen!

    Hans-Gert Pöttering: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Pöttering, sind lupenreine Demokraten in Wirklichkeit Autokraten?

    Pöttering: Also dieser Ausdruck von den lupenreinen Demokraten war, als er gebraucht wurde von einer führenden deutschen Persönlichkeit, ein großer Fehler. Und es ist der Eindruck entstanden, als wenn Russland eine gute Demokratie sei. Dieser Eindruck ist auf jeden Fall falsch. Und es ist unser Anliegen in der Europäischen Union, dazu beizutragen, dass die Demokratie in Russland sich entwickelt. Wir wollen ein stabiles Russland, aber nicht ein autoritäres Russland.

    Müller: Warum haben so viele das Gefühl, dass die Europäer nicht mit Putin Tacheles reden?

    Pöttering: Ja, das ist die Frage, was man unter Europäer versteht. Wir führen jetzt dieses Gespräch über die Situation in Russland, damit steht das Europäische Parlament zur Verfügung, um die Situation in Russland zu kommentieren. Der Präsident der Europäischen Kommission hat sich ebenso klar geäußert wie auch andere. Sicher kann man immer noch mehr tun, aber wir sind an Bord und stehen zur Verfügung für Ihre Fragen und kommentieren das gerne.

    Müller: Herr Pöttering, man kann also nur mit Blick auf Russland reden?

    Pöttering: Wir müssen mit Russland reden. Russland ist für die Zukunft Europas und der Welt ein ganz wichtiges Land. Und ich bin davon überzeugt, dass die Sicherheit auf dem europäischen Kontinent im 21. Jahrhundert maßgeblich davon abhängt, dass wir eine starke Europäische Union haben und ein stabiles, hoffentlich demokratisches Russland und beide gut zusammenarbeiten. Und das muss man immer im Auge behalten, wenn man die innere Situation in Russland kritisiert. Man muss sie kritisieren, aber wir sagen in gleicher Weise, wir wollen gute Beziehungen, wir wollen ein stabiles Russland, aber eben kein autoritäres Russland.

    Müller: Hört sich, Herr Pöttering, so ein wenig an wie Wandel durch Dialog. Doch all dieses Reden und auch die vielen Dialoge, die es gegeben hat, auch bilateral, multilateral, haben bislang wenig genutzt.

    Pöttering: Ja, aber sie haben doch Öffentlichkeit geschaffen, und wenn heute die Vorgänge um die Verhaftung von Garri Kasparow, den ich am 23. Mai im Europäischen Parlament empfangen habe - wir haben auch eine gemeinsame Pressekonferenz gemacht -, wenn wir in dieser Sache engagiert sind, wenn Öffentlichkeit jetzt hergestellt wird, dann zeigt das doch, dass auch Unterstützung für die Demokratiebewegung in Russland möglich ist. Aber wir kritisieren natürlich, dass die Demokratiebewegung, dass ganz bestimmte Parteien, die sich für ein anderes Russland einsetzen, und das ist ja die Partei von Garri Kasparow, die ich jetzt auch gar nicht darstellen möchte, als wenn sie keine Fehler machte, auch die Opposition macht Fehler, aber wir geben denjenigen, die ein anderes Russland wollen, die Möglichkeit zu Kontakten mit uns. Und damit schaffen wir Öffentlichkeit, auch in Russland.

    Aber was wir kritisieren, ist - und wir müssen es mit aller Kraft kritisieren -, dass alles zugeschnitten ist auf die Person des Präsidenten, auf Wladimir Putin, auf seine Partei "Geeintes Russland" und dass die Medien völlig in der Hand dieser Partei beziehungsweise des Kremls sind. Und das gibt natürlich der Opposition überhaupt keine Chancen, so dass die Wahl eigentlich schon entschieden ist, bevor sie stattfindet.

    Müller: Nun gibt es ja viele Bezeichnungen im Umgang mit Russland. Sie haben gesagt, wir müssen die Beziehungen weiterhin pflegen, es soll eine konstruktive Partnerschaft sein, wie immer das auch bezeichnet wird, Wladimir Putin hat dann, aus Dank vielleicht, aufgrund der europäischen Kooperation, der westeuropäischen Kooperation, die es immer ja auch noch in der politischen Haltung gibt, den KSE-Vertrag ausgesetzt. Er hat das heute Nacht - kamen jedenfalls die Eilmeldungen - unterzeichnet. Das heißt, der Abrüstungsvertrag ist zunächst einmal auf Eis gelegt. Ist das alles, als nur zu sagen, so geht das nicht, und sie müssen das wieder ändern in Moskau?

    Pöttering: Ja, wir müssen im Dialog bleiben, aber wir müssen auch klar unsere Stimme erheben, wie ja auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel es macht. Das heißt Dialog einerseits, aber andererseits auch uns einsetzen für Menschenrechte, für Demokratie. Und ich glaube, dass dieses ein verantwortlicher Weg ist. Wir müssen mit Russland leben, wir müssen ein Interesse daran haben, dass Russland sich schrittweise zu einer wirklichen Demokratie entwickelt. Aber wenn Sie beispielsweise daran denken, dass die überwiegende Zahl der Gouverneure - ich glaube, es gibt 84 Gouverneure in Russland, davon 73 der Partei Putins angehörend -, dann zeigt das schon diesen großen Einfluss. Wenn von Präsident Putin und seiner Partei "Geeintes Russland", wenn man daran denkt, dass der Wahlleiter Wladimir Tschurow ein Vertrauter des russischen Präsidenten aus den Petersburger Zeiten ist, dann zeigt dieses alles, es wird alles kontrolliert vom Kreml. Und da müssen wir unsere Stimme erheben, und wir können nur darauf vertrauen, indem wir unsere Stimme erheben, dass sich schrittweise die Dinge in Russland bessern.

    Müller: Herr Pöttering, sind vor allem der deutschen Politik die Hände gebunden, weil Wladimir Putin immer wieder damit droht und das zum Teil ja auch schon konkret angedeutet hat, mit der Energiekarte zu spielen?

    Pöttering: Ja, da müssen wir ganz klar sagen, die Europäische Union steht geschlossen zur Solidarität zwischen den Ländern der Europäischen Union. Und gerade unsere polnischen Partner und Freunde hatten ja immer eine große Sorge, auch die jetzt abgewählte Regierung - also in Polen abgewählte Regierung -, dass Russland die Energieversorgung abschneiden könnte. Wir haben immer gesagt in der Europäischen Union, auch ich persönlich für das Europäische Parlament, auch vor dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Länder der Europäischen Union, wir sind solidarisch mit Polen. Wir hoffen nicht, dass ein Land in der Energieversorgung abgeschnitten wird. Aber sollte das passieren, sind wir solidarisch mit Polen. Und dieses muss das Grundkonzept sein in der Europäischen Union. Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen.

    Wir müssen einerseits kooperationsbereit sein, zur Zusammenarbeit mit Russland selbstverständlich bereit sein, aber jeder sollte wissen, dass wir uns nicht erpressen lassen. Das heißt Standfestigkeit, aber diese Standfestigkeit verbinden mit der Bereitschaft zum Gespräch mit Russland, das wir dringend brauchen.

    Müller: Herr Pöttering, Sie meinen damit aber nicht die deutsch-russische Pipeline?

    Pöttering: Das ist eine Frage, die deutsch-russische Pipeline, wenn sie denn gebaut werden sollte, dass wir darüber auch mit unseren Partnern in der Europäischen Union reden. Ich würde davon abraten, ein solches Projekt zu verwirklichen, ohne dieses mit unseren Partnern in der Europäischen Union, mit den Polen, mit den Balten, mit den Schweden, den Finnen besprochen zu haben. Hier ist doch ein großer Bedarf an Dialog, auch innerhalb der Europäischen Union.

    Müller: Macht, Herr Pöttering, das politisch und auch wirtschaftspolitisch Sinn, sich aus dieser Abhängigkeit der russischen Gaslieferung beispielsweise zurückzuziehen, zu versuchen, in andere Bereiche zu gehen, wie die Franzosen das auch getan haben?

    Pöttering: Also ich weiß nicht, ob die Franzosen es gemacht haben. Aber ich würde nicht dafür plädieren, jetzt zu sagen, wir stellen unsere Energiekooperation oder wirtschaftliche Kooperation mit Russland ein, das wäre ziemlich töricht, sondern was wir brauchen, ist eine Diversifizierung unserer Energieversorgung. Das heißt, dass wir unsere Energieversorgung mit Öl, mit Erdgas auf verschiedene Beine stellen, damit wir von keinem Partner abhängig sind alleine. Wir dürfen nicht nur nicht abhängig von Russland, wir sollten auch nicht abhängig sein vom Iran oder anderen Ländern oder Ländergruppen, sondern wir brauchen eine wirkliche Vielfalt in der Energieversorgung. Und wenn wir die haben und wenn wir auch selber eine hinreichende Energieversorgung möglich machen - denken Sie an Kernenergie -, dann werden wir nicht erpressbar. Und für ein solches Konzept der Diversifizierung, der Vielfalt plädiere ich.

    Müller: Also können wir doch noch ein bisschen von den Franzosen lernen in Richtung Kernenergie?

    Pöttering: Jeder kann von jedem lernen, und keiner hat die Weisheit für sich alleine in Anspruch zu nehmen. Und die Europäische Union ist ja eine Gemeinschaft des Dialogs und gemeinsamen Handelns, und je geschlossener wir in der Europäischen Union sind, die 27 Länder mit 500 Millionen Menschen, einem starken Europäischen Parlament, je geschlossener wir sind, umso überzeugender können wir unsere Interessen und Werte durchsetzen.

    Müller: Hans-Gert Pöttering, Präsident des Europäischen Parlaments bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch.

    Pöttering: Auf Wiederhören.