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Politikwissenschaftler Patzelt
"Intensiv über Vorratsdatenspeicherung nachdenken"

Anders als Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hält der Politologe Werner Patzelt es durchaus für sinnvoll, über die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland nachzudenken. "Sie hilft zwar nicht bei der Prävention, sehr wohl aber bei der anschließenden Aufklärung", sagte der Wissenschaftler der TU Dresden im DLF.

Werner Patzelt im Gespräch mit Mario Dobovisek | 12.01.2015
    Der Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt.
    Werner Patzelt: "Man sollte sich auch vor Hysterie dem eigenen Staat gegenüber bewahren." (dpa / Karlheinz Schindler)
    Mario Dobovisek: Bereits am Tag nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo in Frankreich legte die CSU auf ihrer Klausur in Wildbad Kreuth ein Papier mit sicherheitspolitischen Forderungen auf den Tisch. Vorratsdatenspeicherung, zeitweise Wiedereinführung von Grenzkontrollen und das intensivere Beobachten sozialer Netzwerke - keine wirklich neuen Forderungen, aber Forderungen, denen die Anschläge in Frankreich wieder Auftrieb verleihen dürften. Verfassungsschutzpräsident Maaßen warnt vor einer Anschlagsgefahr in Deutschland. Mittlerweile seien mindestens 180 Personen aus Syrien und dem Irak nach Deutschland zurückgekehrt, sagte er, und ein Großteil davon dürfte radikalisiert und brutalisiert worden sein. Am Telefon in Dresden begrüße ich den Politikwissenschaftler Werner Patzelt. Guten Tag, Herr Patzelt.
    Werner Patzelt: Guten Tag.
    Dobovisek: Schärfere Gesetze - wir haben die Debatte gerade mitverfolgen dürfen. Ist das der richtige Weg, Herr Patzelt?
    Patzelt: Ich halte nichts davon, dass man oder wenn man nach Anschlägen zunächst einmal nach einer Verschärfung von Gesetzen ruft. Das erfüllt oft genug den Tatbestand rein symbolischer Politik oder rein symbolischer Forderungen. Was man freilich tun muss ist, auf Praktiker hören, auf jene Praktiker, die wir dafür bezahlen, dass sie uns im Rahmen des Möglichen vor Terrorangriffen schützen, und wo immer Praktiker meinen, dass bestimmte gesetzliche Rahmenbedingungen verändert werden müssten, um ihnen ihre Aufgabe zu erleichtern, da soll man sie ernst nehmen. Und man sollte zwar darauf achten, dass die Bürgerrechte nicht eingeschränkt werden, aber man sollte sich auch vor Hysterie dem eigenen Staat gegenüber bewahren, denn unser Staat ist nun einfach keiner, der es darauf anlegt, sich in eine Diktatur zu verwandeln, sondern einer, dem man durchaus vertrauen kann.
    Dobovisek: Welche Schritte sehen Sie denn als angemessen an, ohne dem Aktionismus zu verfallen?
    Patzelt: Mir scheint, man kann schon intensiv über Vorratsdatenspeicherung nachdenken. Sie hilft zwar nicht bei der Prävention, sehr wohl aber bei der anschließenden Aufklärung, und aus der Aufklärung wiederum können präventiv wirksame Kenntnisse gezogen werden. Bei der Kriminalisierung oder Bestrafung der Finanzierung von Terror wird man ansetzen können und wir haben natürlich in Europa das Problem der offenen Grenzen, wobei man dafür vermutlich so schnell keine tragfähige Lösung finden wird.
    Dobovisek: Heute Abend wieder werden wohl Tausende Menschen auf die Straßen gehen, um gegen die angebliche Islamisierung des Abendlandes zu demonstrieren, vor allem in Dresden bei der Kundgebung der Pegida. Herr Patzelt, Sie beobachten die Pegida seit Langem intensiv. Was bedeuten die Anschläge in Paris für die Proteste?
    "Ich rechne mit mehr Demonstranten heute Abend als beim letzten Mal"
    Patzelt: Viele, die heute Abend dabei sein werden, werden das Gefühl haben und auch äußern, schaut her, das, wovor wir die ganze Zeit gewarnt haben, ist nicht einfach die Ausgeburt einer kranken Fantasie, sondern es gibt eine reale Gefährdung unserer freiheitlichen Ordnung durch radikale Islamisten, was kritisiert ihr uns also, wenn wir doch nichts anderes sagen als das, was wir jetzt in Paris vor aller Augen vorgefunden haben. Wir - so würden die Differenzierteren unter ihnen das Argument weiterführen -, wir tun doch nichts anderes, als davor zu warnen, dass eine andere Religion uns vorschreiben will, wie wir über Religion, über öffentliche Positionen nachdenken und schreiben und wie wir unsere freiheitliche Gesellschaft ausgestalten.
    Dobovisek: Am Ende also ein Auftrieb für die Proteste?
    Patzelt: Das wird ganz gewiss so sein und ich rechne mit mehr Demonstranten heute Abend als beim letzten Mal.
    Dobovisek: Hören wir, was der Islamwissenschaftler Bassam Tibi heute Früh bei uns im Deutschlandfunk über die Pegida sagte.
    O-Ton Bassam Tibi: "Muslime, die ausgegrenzt werden, sind anfällig für den Islamismus. Dann muss man Pegida dafür verurteilen. Pegida will Sicherheit, aber Pegida unterstützt die Islamisten. Eine größere Unterstützung der Islamisten kann nicht erfolgen ohne das, was Pegida tut."
    Dobovisek: Führt Pegida am Ende, Herr Patzelt, also erst recht zu einer Radikalisierung unter den Muslimen, ein Teufelskreis?
    Patzelt: Das Tragische mit Pegida ist, dass die Organisatoren der Bewegung außerordentlich mediokere Gestalten sind und dass sie es zugelassen haben, dass nun Redner von Teils der übelsten Sorte bei den Pegida-Veranstaltungen gesprochen haben und in der Tat auch sehr häufig sehr niedrige Gefühle bedient haben. Das haben die Organisatoren auch versäumt, ihre 19 Punkte sozusagen quasi plebiszitär legitimieren zu lassen, die ja im Grunde nichts anderes wollen, als den bundesdeutschen Mehrheitskonsens beim Umgang mit Einwanderern und ihrer Kultur zu beschwören. Kurzum: Hätte die Pegida-Organisatorenschaft nicht ein so jämmerliches Bild abgegeben und so jämmerliche Reden halten lassen, wäre mancher Eindruck dieser Demonstrationen ein anderer gewesen und gäbe es wesentlich weniger Gründe für Muslime, Pegida zu fürchten, als es tatsächlich gibt.
    Dobovisek: Trauerflor wollen die Pegida-Demonstranten heute Abend tragen. Justizminister Heiko Maas - wir haben ihn zu Beginn der Sendung gehört - nennt das heuchlerisch. Wie nennen Sie das?
    "Feindbilder, die unser Justizminister kultiviert"
    Patzelt: Na ja, man muss schon die Logik sehr strapazieren, wenn man aus dem Tragen von Trauerflor heute Abend Heuchelei schließen will. Es kritisieren Pegida-Demonstranten zwar auf das Heftigste und inzwischen mehr und mehr sehr ungerecht die Presse als Lügenpresse, aber daraus folgt doch nicht, dass man sich offen oder klammheimlich darüber freut, dass Journalisten ermordet werden. Da muss man schon die Logik sehr verbiegen, um aus der Tatsache, dass man selbst einen Konflikt mit der Presse hat, die Gutheißung von abscheulichen Morden abzuleiten.
    Dobovisek: Das heißt, Sie haben Verständnis für die Demonstranten der Pegida, wenn sie heute Abend Trauerflor zeigen, denjenigen gegenüber, die sie bisher als Lügenpresse bezeichnet haben?
    Patzelt: Ein jeder mitfühlende Mensch kann, wenn so viele Menschen, bloß weil sie ihren Beruf sachgerecht ausüben, ermordet werden, bloß Empathie, Mitgefühl und Betroffenheit zeigen, und natürlich ist es eine angemessene Verhaltensweise. Und noch einmal: Bloß weil sich Pegida-Teilnehmer von der Presse übel behandelt gefühlt haben, mehr und mehr zu Unrecht sich übel behandelt fühlen, bloß daraus folgt doch nicht, dass man sich klammheimlich oder offen darüber freut, wenn Journalisten ermordet werden. Und ich müsste mich sehr wundern, wenn ich heute nennenswert viele Pegidisten vorfände auf der Straße, die sagen, das ist diesen Journalisten recht geschehen, lasst es uns in Deutschland auch so versuchen. Das sind hier, scheint mir, Feindbilder, die unser Justizminister kultiviert.
    Dobovisek: Französische Karikaturisten sind angewidert vom Pegida-Trauermarsch in Dresden und wehren sich mit Flugblättern und Karikaturen, sagen, "Pegida verschwinde". Auch CSU-Chef Horst Seehofer fordert einen Stopp der Demonstrationen. Kann und sollte Pegida überhaupt gestoppt werden?
    Patzelt: Na ja, es ist doch nicht so, als ob zu dieser Demonstration heute Abend erstmals aufgerufen wäre, um antiislamische Gefühle zu schüren. Der Punkt ist doch eher der, dass in die von Pegida an den Tag gebrachten Besorgnisse von manchen über eine Umprägung unserer Kultur durch eine Einschränkung von Presse und Kritikfreiheit, dass diese Besorgnisse durch den Pariser Anschlag neue Bestätigung gefunden haben, und es braucht wahrhaft absonderliche Lust, Feindbilder zu kultivieren, um sozusagen die Thermometer für die Temperatur verantwortlich zu machen.
    Dobovisek: Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt über Pegida nach den Anschlägen in Frankreich. Vielen Dank für das Gespräch.
    Patzelt: Gern geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.