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Polizeiskandal in Hessen
Kabarettistin Idil Baydar: "Ich habe Angst vor der Polizei"

Die Kabarettistin Idil Baydar hat Drohmails erhalten, die offenbar mithilfe von Daten von einem Wiesbadener Polizeicomputer erstellt wurden. Der hessische Polizeipräsident Udo Münch wusste von den Datenabfragen, gab die Information dazu allerdings nicht weiter. Am Dienstag ist er zurückgetreten.

Von Ludger Fittkau | 15.07.2020
Idil Baydar in der ARD-Talkshow maischberger
Erst wenn die Polizei die eigenen rassistischen Strukturen erkenne und diese bekämpfe, könne sie dieser wieder Vertrauen, sagt Idil Baydar (imago)
Die Berliner Kabarettistin Idil Baydar zeigte sich jetzt in unserem Schwesterprogramm DLF Nova schockiert darüber, dass offenbar Daten aus einem Wiesbadener Polizeicomputer benutzt wurden, um Drohmails gegen sie zu formulieren. Diese Mails wurden mit "NSU 2.0"unterzeichnet. Sie könne der deutschen Polizei nicht mehr vertrauen, so Idil Baydar. Sie habe inzwischen acht Mails mit massiven Drohungen bekommen und bisher sei der Täter nicht ermittelt worden:
"Jetzt bin ich an einem Punkt wo ich eigentlich noch mehr Angst habe vor der Polizei. Weil ich ja überhaupt nicht weiß, ist das jetzt ein Rechter, ist das jetzt ein Rassist? Dreht der jetzt durch? Knallt der mich jetzt ab? Wird der dann so tun, als ob ich mich irgendwie gewehrt hätte? Die ganze Zeit passiert das. Es ist natürlich die Frage, ob ich irgendwie die nächste bin? Na klar, stelle ich mir die Frage. Aber ich kann auch nichts machen. Kann nichts machen. Kann nichts machen. Und ich weiß, die Polizei macht es auch nicht."
Viel zu wenig gemacht – das hatte tatsächlich Udo Münch, der nun zurückgetretene hessische Landespolizei-Präsident. Münch gab nämlich die Information, die er über die Abfrage etwa von Daten Idil Baydars in hessischen Polizeicomputern hatte und die später für Drohmails benutzt wurden, nicht an den hessischen Innenminister Peter Beuth (CDU) weiter. Beuth erklärte nun dazu in Wiesbaden, er habe über das Ausmaß der Drohungen erst in der vergangenen Woche erfahren:
"Der Verdacht, dass nunmehr in drei Fällen womöglich ein Zusammenhang zu erfolgten Drohungen und Datenabfragen in polizeilichen Systemen bestehen könnte, lastet schwer. Diese neue Dimension der Ermittlungen wurde mir erst am vergangenen Mittwoch berichtet. Am Tag darauf habe ich daher den polizeilichen Sonderermittler beauftragt, die Ermittlungen zu übernehmen und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln voranzutreiben, um den oder die Straftäter ihrer gerechten Strafe zuzuführen und den schwerwiegenden Verdacht vorbehaltlos aufzuklären."
"Jämmerlich, dass die Polizei sich da so drückt"
Auch Idil Baydar hofft, dass vielleicht der hessische Polizeiskandal nun dazu führt, dass die Polizei Morddrohungen gegen engagierte Menschen mit Migrationshintergrund ernster nehme als bisher:
"Wenn die Polizei anfängt, transparent zu kommunizieren. Wenn sie anfängt, zuzugeben, dass sie da massive Probleme haben. Dass sie sich da einfach besser drum kümmern müssen, dass das nicht irgendwelche Neonazis sind, die Polizei spielen. Diese Menschen haben ganz viel Macht und ganz viel Unterstützung. Also das ist echt jämmerlich, dass die Polizei sich da so drückt und leugnet und wegduckt. Es ist schockierend. Bevor dass sich nicht verändert hat und bevor nicht klar ist, dass wir diese rassistischen Strukturen innerhalb der Polizei benennen und mit ihnen umgehen, indem wir sie abschaffen wollen und durch bessere Konzepte ersetzen, kann ich mir nicht vorstellen, der Polizei in Deutschland nochmal zu vertrauen. Wie denn?"
04.07.2020, Hessen, Wiesbaden: Peter Beuth (CDU), Innenminister von Hessen, spricht mit Janine Wissler (Die Linke), Fraktionsvorsitzende ihrer Partei in Hessen, im Plenarsaal. Sondersitzung des hessischen Landtags zu den Corona-Finanzhilfen. Geplant ist die Verabschiedung eines milliardenschweren Corona-Sondervermögens und eines Nachtragshaushalts. Foto: Andreas Arnold/dpa | Verwendung weltweit
Rechtsextreme Todesdrohungen - "Das ist ein katastrophales Bild, das sich da abzeichnet"
Todesdrohungen von einem "NSU 2.0", Daten-Abrufe von Polizeicomputern, Austausch rechtsradikaler Botschaften zwischen Polizisten. Der Journalist und NSU-Experte Tanjev Schultz fordert im Dlf Aufklärung.
Auch die Opposition im hessischen Landtag fordert ebenfalls nun schnelle Ermittlungsergebnisse im Komplex "NSU 2.0." Stefan Müller, innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion:
"Wir haben ja wirklich das Problem, dass seit bald zwei Jahren in Sachen NSU 2.0 nun ermittelt wird. Aber ich glaube, es ist an der Zeit, dass alles unternommen wird und wir schnellstmöglich zu Ergebnissen zu kommen."
So sieht das auch die bedrohte Idil Baydar, die sich gerne wieder sicherer fühlen will:
"Ich werde eher wütend, das ist meine erste Reaktion. Aber natürlich gründet die sich in Angst."