Mittwoch, 24. April 2024

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Präsident der Bundesärztekammer
Reinhardt: Europäische Behörde muss Impfstoff-Zulassung schneller prüfen

Ein Impfstoff gegen das Coronavirus könnte nach Ansicht des Präsidenten der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, schneller in Europa zugelassen werden. Daten und Zahlen lägen vor, nun müsse sich die Europäische Behörde mit mehr Druck und Engagement daran machen, diese zu prüfen, sagte Reinhardt im Dlf.

Klaus Reinhardt im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 04.12.2020
Corona-Impfstoff in Ampullen mit Hand in Kunststoff-Handschuh
Impfstoff gegen COVID-19 - "An vielen Probanden ist der Impfstoff untersucht worden, mit, soweit man das beurteilen kann und es mitgeteilt wird, guten Ergebnissen", sagt Klaus Reinhardt (imago-images / Stephane Ferrer Yulianti)
Nach wie vor hohe Infektionszahlen und viele Todesfälle durch das Coronavirus: Klaus Reinhardt, der Präsident der Bundesärztekammer, glaubt nicht, dass man diesen Trend "nur durch Lockdown-Maßnahmen auf Ewigkeiten wird bekämpfen können". Entscheidend sei die Zulassung eines Impfstoffs und da gelte es jetzt Tempo zu machen, sagte Reinhardt.
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, steht am 18.07.2020 vor einer Glastür mit dem Logo der Bundesärztekammer
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (dpa / picture alliance / Kumm)
Die Zeitspanne von vier Wochen für die Prüfung des Impfstoffs in der EU hält Reinhardt für zu hoch. Schließlich müsse nur eine Prüfung von in den letzten Monaten stattgefundenen Studien durchgeführt werden und keine weitere Überprüfung des Impfstoffs. Auf die Frage, ob jetzt seitens der Europäischen Behörde, die für die Prüfung zuständig ist, kostbare Zeit verschwendet werde, sagte Reinhardt: "Das ist zumindest mein Eindruck." Eine Prüfung vorliegender Daten könne man schneller machen als in vier Wochen, so der Mediziner.
Der Europaabgeordnete Peter Liese (CDU) verteidigte im Gegensatz zu Reinhardt das Vorgehen der Europäische Arzneimittelbehörde und widersprach der Position des Präsidenten der Bundesärztekammer. Liese betonte im Dlf, dass eine sorgfältige Prüfung wichtig sei und Zeit brauche. "Es kommen noch Daten, die die Europäische Arzneimittel-Agentur noch nicht hat, und die Daten, die in Großbritannien vorgelegt wurden, sind nicht so umfangreich und nicht so detailliert wie das, was die Europäische Arzneimittel-Agentur braucht," so Liese. Das Verfahren auf EU-Ebene sei sicher.
06.03.2019, Nordrhein-Westfalen, Lennestadt: Peter Liese, Spitzenkandidat der NRW-CDU für die Europawahl
Liese (CDU): "Was die Briten gemacht haben, ist wirklich problematisch"
Durch die schnelle Impfstoff-Zulassung bekämen die Briten nicht mehr Impfstoff, sagte Peter Liese (CDU) im Dlf. Es gehe darum, dass 400.000 Briten drei Wochen früher geimpft würden. Das sei die Sache nicht wert.

Das Interview mit Klaus Reinhardt im Wortlaut:
Jörg Münchenberg: Herr Reinhardt, die Zahl der täglichen Todesfälle mit oder wegen Corona, die liegt weiter extrem hoch. Ist es da am Ende nicht müßig, über eine weitere Verlängerung der Lockdowns zu streiten? Ist das nicht eigentlich eine Selbstverständlichkeit?
Klaus Reinhardt: Na ja, das ist schwer zu beurteilen, weil man muss das alles in eine Balance bringen. Auf der einen Seite die Einschränkung eines sozialen Lebens und des Miteinanders und auf der anderen Seite natürlich den Gesundheitsschutz. Das ist eine sehr schwierige Herausforderung, ohne Frage. Die Zahlen sind natürlich auch deshalb hoch, weil wir jetzt das sehen an Verstorbenen, von Menschen, die sich vor etwa drei, vier Wochen angesteckt haben, und das hat immer eine gewisse zeitliche Verzögerung. Und wir können das auch erleben, weil wir feststellen müssen, dass wieder auch mehr ältere Menschen darunter waren, unter denen, die sich infiziert haben.
Prof. Dr. Marylyn Addo bei einer Pressekonferenz zur weiteren Entwicklung in der Corona-Pandemie im Rathaus. Hamburg, 13.11.2020 *** Prof Dr Marylyn Addo at a press conference on the further development of the Corona Pandemic in Hamburg City Hall, 13 11 2020 Foto:xgbrcix/xFuturexImage
Forscherin: Kein Kompromiss in sicherheitsrelevanten Fragen
In der Corona-Pandemie sind Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 in Rekordtempo entwickelt worden. Dies sei jedoch nicht auf Kosten der Sicherheit erfolgt, sagte die Infektiologin Marylyn Addo im Dlf.
Münchenberg: Wenn ich da kurz einhaken darf? Die Zahl auch der Infektionen bleibt ja ebenfalls weiter hoch. Das heißt, auch die Zahl der Todesfälle wird natürlich nicht zurückgehen.
Reinhardt: Die wird solange nicht zurückgehen, wie wir etwa diese Infektionszahlen haben, wie wir sie jetzt haben. Das ist überhaupt keine Frage. Insofern ist das eine schwierige Abwägung. Man muss aber auf der anderen Seite sagen: Natürlich kann man beobachten, dass zum Beispiel in Frankreich mit einem harten Lockdown die Infektionszahlen, die Neuinfektionszahlen zurückgegangen sind. Die Franzosen haben jetzt wieder deutlich gelockert. Es wird eine gewisse Zeit vergehen, dann werden die Infektionszahlen auch wieder steigen.
Ich glaube einfach nicht, dass man nur durch Lockdown-Maßnahmen das auf Ewigkeiten wird bekämpfen können. Wir müssen die Zeit jetzt durchhalten, bis wir an einen Punkt kommen, wo wir durch die hoffentlich jetzt bald stattfinden könnenden Impfung – mit der Hoffnung, dass sie wirksam und gut verträglich ist – es schaffen, einen gewissen Anteil der Bevölkerung so zu immunisieren, dass die Neuinfektionszahlen dann auf diese Weise deutlich zurückgehen. Ich kann mir das nicht vorstellen. Durch einen immer härteren Lockdown wird man vorübergehend selbstverständlich die Neuinfektionszahlen runter bekommen. Das wird selbstverständlich auch bedeuten, dass in der Folge weniger Menschen versterben müssen an der Erkrankung. Aber man wird irgendwann auch wieder öffnen und sobald man öffnet, wird dann auch das epidemische Geschehen wieder zunehmen. Das ist so, keine Frage.
"Ich glaube, dass man das schneller schaffen kann"
Münchenberg: Die Frage ist aber für die Politik schon, was kann sie machen, außer Lockdown, außer strengen Auflagen. Denn der Impfstoff liegt zwar vor, ist in der Prüfung, aber die Prüfung in Europa zumindest ist ja noch nicht abgeschlossen.
Reinhardt: Richtig, das muss man sagen. Auf der anderen Seite: Ich finde es erstaunlich, dass die europäische Prüfung, wie es, glaube ich, gestern hieß, vier Wochen dauern soll, weil ich finde, es liegen die Zahlen vor, es liegen die Daten vor, und ich glaube, dass die europäische Behörde sich vielleicht mit noch mehr Druck und Engagement daran machen könnte, das zu prüfen, denn die Prüfung als solche ist ja nur eine Prüfung von in den letzten Monaten stattgefundenen Studien und da findet ja keine weitere Überprüfung des Impfstoffes an sich statt, sondern es geht nur darum nachzuvollziehen, ob die Prüfungen, die stattgefunden haben, valide sind. Ich glaube, dass man das schneller schaffen kann, und insofern würde ich sagen, da muss dann, glaube ich, die Europäische Union auf die Behörden doch noch mal einwirken, dass man sich wirklich die Mühe macht, das noch etwas zu beschleunigen.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Münchenberg: Das heißt, Sie sehen es tatsächlich anders herum, denn bislang ging der Vorwurf ja immer in Richtung London und man hat gesagt, ihr prescht jetzt einfach vor, die Datenlage sei noch nicht ausreichend genug, warum habt ihr euch nicht geduldet.
Reinhardt: In dem Moment, wo eine Zulassung beantragt ist, werden die Daten ja abgegeben. Dann werden natürlich auch weiter ständig neue Daten erhoben, aber die haben mit der Zulassung als solche zunächst nichts zu tun. Insofern geht es jetzt darum, Daten, die vorliegen, abzuprüfen und nicht neue zu erheben. Die Abprüfung vorliegender Daten, glaube ich, kann man schneller machen als in vier Wochen.
Münchenberg: Das heißt, jetzt wird auch kostbare Zeit ein bisschen verschwendet?
Reinhardt: Das ist mein Eindruck zumindest.
"Eine Restunsicherheit bleibt"
Münchenberg: Nun sind das ja auch neuartige Stoffe von BioNTech. Das ist ein ganz neues Verfahren. Da stellt sich ja schon die Frage, wie sicher ist die Anwendung zum Beispiel auch, wenn es um Risikogruppen geht, bei dem großen Zeitdruck, den wir im Augenblick haben.
Reinhardt: Überhaupt keine Frage. Das ist eine berechtigte Frage. Es sind die Studien durchgeführt worden so, wie sie klassischerweise und üblicherweise immer durchgeführt werden bei neuentwickelten Medikamenten und neuentwickelten Wirksubstanzen. An vielen Probanden ist der Impfstoff untersucht worden, mit, soweit man das beurteilen kann und es mitgeteilt wird, guten Ergebnissen in Bezug auf das Erwerben von Immunität und auch Verträglichkeit. Das einzige, was uns fehlt, im Gegensatz zu sonstigen Zulassungen, ist einfach ein gewisser Zeitraum, ich sage mal, ein, zwei Jahre Zeit, in denen man gucken kann, ob Menschen, die geimpft worden sind oder den Wirkstoff erhalten haben, langfristige Probleme entwickeln, in welcher Form auch immer. Das fehlt uns definitiv. Das ist eine Restunsicherheit. Die ist nicht zu negieren. Aber es bleibt dann eine Abwägung. Auf der einen Seite haben wir die Situation, von der wir eben gesprochen haben, eine schwierig zu beherrschende Pandemie mit all ihren Auswirkungen mannigfaltigster Art, und auf der anderen Seite einen Impfstoff mit einem Restrisiko, und in dieser Abwägung muss man sich entscheiden, will man das eine oder das andere.
Münchenberg: Nun wird es ja, Herr Reinhardt, verschiedene Impfstoffe geben, BioNTech und Pfizer auf der einen Seite, Moderna. Die haben bestimmte Kandidaten entwickelt. Astra Xenical gehen einen anderen Weg. Dieser Wirkstoff soll auch nicht ganz so wirksam sein wie der der Konkurrenz. Ist da nicht letztlich Ärger vorprogrammiert, dass manche vielleicht auch sagen, ich will nur den einen Impfstoff?
Reinhardt: Na ja. Es bleibt ja den Menschen überlassen, erstens ob sie sich impfen lassen wollen oder nicht. Es wird keine Impfpflicht geben. Das ist die deutliche Aussage des Gesundheitsministers. Zweitens wird man es auch einem Menschen überlassen zu sagen, ich möchte diesen oder jenen Impfstoff. Das, glaube ich, ist selbstverständlich. Diejenigen, die jetzt auf den Vektor-Impfstoff warten wollen, müssen dann warten und müssen das, was damit verbunden ist, auch an Risiko für sich persönlich tragen. Ob der Vektor-Impfstoff besser verträglich ist oder weniger Langzeitprobleme bedeuten kann in der Folge, weiß auch niemand. Es bleibt immer diese Ungewissheit, weil auch dieser Impfstoff natürlich eine Neuentwicklung ist.
"Wirkliche Entspannung erst im Frühjahr oder Sommer"
Münchenberg: Nun ist es ja auch so, dass es nur bestimmte Kontingente gibt, die Europa zur Verfügung stehen werden. Zum Beispiel BioNTech Pfizer und Moderna, das sind acht Millionen Impfdosen für das erste Quartal. Man muss sich zweimal impfen lassen. Heißt das nicht auch im Umkehrschluss am Ende, ohnehin wird es im Sommer erst eine Entspannung geben, einfach weil nicht genug Impfstoff zur Verfügung steht?
Reinhardt: Ja, das denke ich schon, dass es erst im Frühjahr oder Sommer zu einer wirklichen Entspannung kommen wird. Insofern bleibt die vorher diskutierte Situation, was macht man, Lockdown, wie viele Maßnahmen, einschränkende Maßnahmen spricht man aus, welche Linie fährt man, wie viele Neuinfektionen will man zulassen und so weiter. Diese Diskussion bleibt uns sicherlich noch einige Monate erhalten. Davon bin ich fest überzeugt. Das ist eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft von eminenter Art. Aus dem Grunde wird das Entscheidende sein, dass man bei den zunächst nur in reduzierter Form erhältlichen oder zur Verfügung stehenden Impfstoffen natürlich eine vernünftige Auswahl derer trifft, die zunächst geimpft werden, und das sind nach bisherigen Kriterien definitiv erst mal Risikogruppen und gleichzeitig oder zum gleichen Zeitpunkt medizinisches Personal, was mit Erkrankten umgehen soll, und Pflegepersonal. Das ist sicher richtig. Aber in Bezug auf die Auswahl der Risikogruppen braucht es sehr klare und deutliche Kriterien, damit da nicht Menschen, die von sich selber den Eindruck haben, sie zählten zur Risikogruppe, …
Münchenberg: Die aber noch gar nicht vorliegen, die Kriterien.
Reinhardt: Die Kriterien als solche liegen noch nicht vor. Wir wissen, welche Menschen im Wesentlichen betroffen sind, aber es braucht eine Definition, eine klare Definition, dass darüber keine Auseinandersetzungen entstehen.
Münchenberg: Und da muss das RKI aber erst noch liefern.
Reinhardt: So ist es.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.