Donnerstag, 09. Mai 2024

Machtkampf in Russland
Prigoschin und seine Wagner-Söldner gegen das russische Regime

Zwischen den Wagner-Söldnern und dem russischen Militär sind bewaffnete Kämpfe ausgebrochen. Das Putin-Regime scheint aktuell noch fest im Sattel zu sitzen, doch der Aufstand könnte der Beginn von innenpolitischen Kämpfen sein.

24.06.2023
    Soldaten und Panzerfahrzeuge der Wagner-Söldner auf einer Straße im russischen Rostow am Don (Aufnahme vom 24.06.2023).
    Jewgeni Prigoschin hat zu einem bewaffneten Aufstand aufgerufen und mit seinen Truppen die südliche Stadt Rostow am Don erreicht, 24.06.2023 (IMAGO / SNA / IMAGO / Sergey Pivovarov)
    Der Chef der Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, hat die russische Militärführung am Abend des 23.6.2023 beschuldigt, ein Lager seiner Söldnertruppen mit Artillerie, Hubschraubern und Raketen angegriffen zu haben. Viele seiner Männer seien dabei getötet worden. Prigoschin hat dafür Vergeltung angekündigt. Ein von ihm veröffentlichtes Video zeigt angeblich den Angriff auf seine Söldner. Ob das Video authentisch ist, ist allerdings unklar.
    Den Wagner-Truppen gelang es, das südliche Hauptquartier der Armee in Rostow am Don zu besetzen. Prigoschin teilte auf Telegram mit, dass er mit seiner Söldnertruppe Wagner alle Militäreinrichtungen der Stadt kontrolliere.
    Er drohte mit einem Marsch auf Moskau, wenn Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow nicht zu ihm kämen. Am Mittag des 24.6.2023 bestätigte ein russischer Gouvernour Gefechte bei Woronesch - also in Russland -, etwa 200 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Nach Einschätzung der britischen Geheimdienste sind Wagner-Einheiten Richtung Norden unterwegs - vermutlich mit Ziel Moskau.
    „Das ist ein Stoß in den Rücken unseres Landes und unseres Volkes“, sagte der russische Präsident Wladimir Putin am Mittag des 24.6.2023 in einer Fernsehansprache. Die russischen Strafverfolgungsbehörden haben gegen Prigoschin Ermittlungen wegen bewaffneten Aufstands eingeleitet. Russlands Verteidigungsministerium rief die Söldner auf, ihren Kampf zu beenden. Sie seien von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin in ein „kriminelles Abenteuer“ und einen bewaffneten Aufstand hineingezogen worden, teilte das Ministerium am Morgen des 24.6.2023 mit.

    Was bedeutet der Machtkampf für die russische Kampfkraft an der Front?

    Der Machtkampf dürfte auf die Kämpfe an der Front vorerst keinen großen Einfluss haben. Prigoschin hatte seine Söldner ohnehin abgezogen. Die von seinen Söldnern eroberten Stellungen hatte er an die russische Armee übergeben.
    In den kommenden Wochen und Monaten wird der innenpolitische Machtkampf in Russland voraussichtlich allerdings Kräfte binden. Russland werde im Kampf gegen die Ukraine geschwächt, sagte CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt am 24.6.2023 im Deutschlandfunk. Die Wagner-Söldner seien nun schließlich keine Gefahr mehr für die Ukraine, „sie binden vielleicht sogar reguläre russische Kräfte“.
    Das russische Verteidigungsministerium hat bereits verlauten lassen, dass durch den Aufstand der Söldner der Verlust von Bachmut drohe. Ob das Verteidigungsministerium dafür tatsächlich Anhaltspunkte hat, ist unklar. Denkbar ist auch, dass es hier um Propaganda geht, denn das heftig umkämpfte Bachmut hat in den vergangenen Monaten erheblichen symbolischen Wert erhalten.
    Sollte die Ukraine die Stadt zurückerobern, werden sich unterschiedliche Gruppen in Russland dafür die Schuld geben. Das Verteidigungsministerium wird wahrscheinlich Prigoschin als Schuldigen ausmachen. Dieser wiederum dürfte dann dem offiziellen Militär im Gegenzug Unfähigkeit vorwerfen: Bachmut wurde durch seine Söldner erobert und das Militär konnte in diesem Fall die Verteidigung nicht leisten.

    Schwerer Schlag für die russische Kampfmoral

    Die Kreml-Propaganda hat Prigoschin und seine Söldner in den vergangenen Monaten sehr gelobt. Er wurde als Macher im Krieg dargestellt. Für die Einnahme von Bachmut ist er in Russland gefeiert worden. Zwar fielen dabei viele seiner Söldner. Aber das russische Militär war zuvor nicht vorangekommen.
    Ohne die Wagner-Truppe bleibt ein russisches Militär zurück, das vor allem Misserfolge erleben musste und das auch von Prigoschin oft aufs Schärfste kritisiert wurde: Die Truppen seien verschlafen und nur auf ihr eigenes Wohl bedacht. Dafür erhielt Prigoschin viel Zustimmung. Dass ausgerechnet er, der der russischen Seite viele Erfolge eingebracht hat, nun zum Verräter erklärt wird, ist für die Kampfmoral der russischen Truppen sicher ein schwerer Schlag.

    Bedeutet Prigoschins Aufstand das Ende des Putin-Regimes?

    „Es ist sehr ernst für Putin“, sagte der Sicherheitsexperte Nico Lange am 24.6.2023 im Deutschlandfunk. Die Wagner-Truppe befinde sich in einem Putschversuch. Es werde schwierig für die regulären Truppen, nun Erfolge gegen die Söldner zu erzielen. Allerdings sei der russischen Bevölkerung auch bewusst, dass Prigoschin ein brutaler Kriegsverbrecher sei. Mit einer großen Solidarisierung aus dem Volk sei nicht zu rechnen.
    Prigoschin hat die Wagner-Armee, die nach seinen Angaben aus 25.000 Kämpfern besteht. Die russischen Streitkräfte haben etwa 1,5 Millionen Angehörige. Prigoschin hat sich in Russland zudem eine gewisse Reputation erarbeitet. Allerdings wird er dort nicht als bedeutende politische Figur oder Anführer gesehen.
    Die Folgen der Auseinandersetzung sind schwer absehbar. Die Lage in Russland ist explosiv. Es gibt mittlerweile verschiedene Privatarmeen. Neben Prigoschin hat beispielsweise auch Ramsan Kadyrow, der Präsident der Republik Tschetschenien, seine eigene Armee. Auch der Staatskonzern Gazprom baut sich derzeit eine eigene Armee auf.
    Verschiedene Gruppen bereiten sich auf mögliche innenpolitische Kämpfe vor, die bewaffnet geführt werden könnten. Prigoschins Aufstand könnte für solche Kämpfe den Anfang bilden. Aber der Kreml wird natürlich alles daran setzen, dies zu unterbinden, um die Wagner-Gruppe so schnell wie möglich zu besiegen und Prigoschin zu töten. Ob dieser Konflikt zwischen Russland und Prigoschin andauern wird oder ob es Putin gelingt, den Aufstand schnell niederzuschlagen, ist nicht absehbar.

    Putin hat noch viel Rückendeckung

    Putin habe aber weiter wichtige Machtfaktoren auf seiner Seite, sagte Lange. Weite Teile der russischen Eliten hätten sich zu Putin bekannt, auch die offiziellen Streitkräfte, der Geheimdienst FSB und auch andere Teile des Sicherheitsapparates seien unter Putins Kontrolle. Nur wenige Kämpfer der regulären Streitkräfte hätten sicher bisher auf die Seite der Wagner-Söldner geschlagen. Es gebe aktuell große Verwirrung in den Streitkräften, die meisten warteten ab. Sollten die Wagner-Söldner in den kommenden Tagen weitere Erfolge erzielen, könne das zu Seitenwechseln führen.
    „Putin ist plötzlich in der Defensive“, sagte EU-Parlamentarier Sergey Lagodinsky (Grüne) am 24.6.2023 im Deutschlandfunk. Zwar hätten sich zahlreiche regionale Machthaber zu ihm bekannt – das dieses Bekenntnis überhaupt nötig geworden sei, zeige aber Putins Schwäche. „Das war früher selbstverständlich“, sagte Lagodinsky. Putin müsse diese Loyalitäten nun genauer im Blick haben. Dass das Putin-Regime unmittelbar gestürzt wird, hält Lagodinsky für unwahrscheinlich. Die Kräfte der Wagner-Truppe seien nicht ausreichend.

    Wie geht Putin gegen die Aufständischen vor?

    Wie effektiv das Putin-Regime gegen den Aufstand vorgehen kann und wie gefestigt Putins Macht noch ist, ist schwer einzuschätzen. Die Wagner-Söldner „haben das Hauptquartier des russischen Krieges gegen die Ukraine einfach so umstellt und sind da reingegangen“, sagte der Sicherheitsexperte Lange.

    Redaktionell empfohlener externer Inhalt

    Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

    Auch als die Truppe die Grenze nach Moskau und zahlreiche Checkpunkte passiert hätte, sei sie nicht auf Widerstand gestoßen. „Die Innenbehörden Russlands, die Polizei, die Nationalgarde, die haben offenbar keine Lust, sich mit den schwer bewaffneten, häufig ja auch mit kriminellem Hintergrund ausgestatteten, kriegserfahrenden Wagner-Kämpfern auseinanderzusetzen“, sagte Lange. Der Putschversuch der Söldner stoße bisher auf wenig Gegenwehr.
    Bislang gebe es nur wenige Beweise für Kämpfe zwischen Wagner-Söldnern und regulären Kräften, heißt es auch in einer Veröffentlichung des britischen Verteidigungsministeriums. Das deute darauf hin, dass Kräfte passiv geblieben seien und den Wagner-Truppen nachgegeben hätten.

    Anti-Terror-Notstand in Moskau

    Die Gouverneure von Woronesch und von Moskau und Umgebung haben verkündet, dass die Straßen Richtung Moskau gesichert würden. Die Bevölkerung solle in den Häusern bleiben. Putin habe keine Alternative, als mit Gewalt gegen die Söldner vorzugehen. Allerdings sei das russische Militär an der Front zur Ukraine und es sei unklar, auf welche kampfbereiten Kräfte Putin zurückgreifen könne.
    Die Behörden in Moskau und Umgebung haben zudem den Anti-Terror-Notstand ausgerufen. „Um mögliche Terroranschläge in der Stadt und dem Gebiet Moskau zu verhindern, ist ein Regime für Operationen zur Terrorbekämpfung eingeführt worden“, teilte das nationale Anti-Terror-Komitee am Samstag mit. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden verschärft. Der Anti-Terror-Notstand ermöglicht den russischen Behörden verstärkte Kontrollen und erleichtert Festnahmen. Auch Telefongespräche können vermehrt abgehört werden.
    Drei Männer in Militärkleidung sind um einen Panzer zu sehen, am Rand stehen Zivilisten.
    Wagner-Kämpfer in der russischen Stadt Rostow am Don (picture alliance / dpa / TASS / Erik Romanenko)
    In Moskau selbst wirkt die Lage derzeit komplett normal: Die Menschen gehen ihrer Arbeit und typischen Freizeitaktivitäten nach. Es ist allerdings kaum möglich, solide einzuschätzen, was hinter diesem Anschein von Normalität im Argen liegt. Das Putin-Regime kontrolliert alle Mechanismen, mit der eine authentische Stimmung des Volkes eingefangen werden könnten. Kritische Medien haben das Land verlassen oder sind verboten worden, in Umfragen sagt vermutlich niemand mehr seine wahre Meinung. Auch der geringste Protest wird mit Repressalien unterbunden.
    Die Revolte von Prigoschin hat das Potenzial, Brüche in der russischen Gesellschaft freizulegen. Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski rief die Russen derweil auf, Prigoschin in seinem Kampf gegen die Armeeführung zu unterstützen. "Wir müssen jetzt helfen, und dann werden wir diesen (Mann) wenn notwendig ebenfalls bekämpfen", verlautete Chodorkowski in der Nacht zum 24.6.2023. "Selbst der Teufel" verdiene Unterstützung, wenn er gegen "dieses Regime" kämpfe. "Und Ja - dies ist erst der Anfang", schrieb der im Exil lebende Chodorkowski.

    Florian Kellermann, Sabine Adler, dpa, Reuters, pto