Antonio Scurati ist ein angesehener Schriftsteller, nicht nur in Italien. Der 54-Jährige ist mehrfach ausgezeichnet worden, besonders intensiv hat er sich mit dem Faschismus auseinandergesetzt. Für seinen Roman "M. Der Sohn des Jahrhunderts" über Benito Mussolini bekam er den wichtigsten italienischen Literaturpreis, den Premio Strega.
Moderatorin stellt sich gegen Senderführung
Scurati wurde von der öffentlichen Sendeanstalt Rai damit beauftragt, eine Rede zum Tag der Befreiung vom Faschismus zu verlesen. Doch kurzfristig wird Scurati wieder ausgeladen, er darf seine Rede nicht mehr halten. Die Moderatorin der Sendung will das aber nicht hinnehmen und verliest kurz entschlossen seine Worte vor laufender Kamera:
"Solange diejenigen, die uns regieren, das Wort Antifaschismus nicht aussprechen, wird das Gespenst des Faschismus weiterhin das Haus der italienischen Demokratie heimsuchen."
Kritik an Melonis Umgang mit Faschismus-Vergangenheit
Es ist eine klare Kritik an Regierungschefin Meloni, denn bis heute hat sich die Vorsitzende der Partei Fratelli d'Italia nicht vom faschistischen Erbe ihrer Partei distanziert. Aus ideologischen und politischen Gründen habe man ihm abgesagt, so Scurati, der auch an der Universität Mailand lehrt.
"Ich habe kritisiert, dass in den 19 Monaten Meloni-Regierung die Ministerpräsidentin auf der Lesart der Geschichte beharrt, der ihrem neofaschistischen Hintergrund entspricht. Sprich: sie wälzt die Schuld für die Gemetzel und Massaker auf die deutschen Nazis ab, obwohl die Faschisten von Salò Komplizen und Kollaborateure waren."
Journalisten machen Druck von Regierung öffentlich
Der Medienskandal um Scurati zieht weite Kreise, die Empörung ist groß. Schon seit langem, so der Vorwurf, greift die rechte Regierung über ihre Gefolgsleute direkt in das Programm der Rai ein.
Vor laufender Kamera verliest deshalb die Sprecherin der Früh-Nachrichten einen Protest der Journalisten-Gewerkschaft: "Die Kontrollen von Seiten der obersten Führungsriege der Rai über die Nachrichten des öffentlichen Dienstes sind von Tag zu Tag erdrückender."
Verstoß gegen "Grundsätze journalistischer Arbeit"
Und weiter: "Wir stehen vor einem allgegenwärtigen Kontrollsystem, das gegen die Grundsätze journalistischer Arbeit verstößt."
Dass die Parteien in Italien direkten Zugriff auf den öffentlich-rechtlichen Sender Rai beanspruchen, ist nichts Neues. Doch im Zuge einer Gesetzesreform ist die Anstalt seit 2016 abhängiger von der jeweiligen Regierung geworden.
Melonis installiert Gefolgsleute bei Rai
Bereits kurz nach Amtsantritt der Regierung Meloni im Oktober 2022 wurden einflussreiche Manager ausgetauscht, bekannte Journalisten und Moderatorinnen wie Fabio Fazio, Bianca Berlinguer oder Lucia Annunziata suchten das Weite. Jetzt kehrte auch Amadeus der Rai den Rücken - der populäre Showmoderator fuhr mit seinem Programm immer wieder Traumquoten ein.
Die Regierung scheint das nicht zu beeindrucken. Sie versucht, den eigenen Einfluss zu vergrößern. So sollten etwa die Minister der Meloni-Regierung im Europawahlkampf mehr Redezeit bekommen. Das wäre eine Aushebelung des sogenannten Gesetzes „par conditio“, nach dem alle Parteien gleich viel Sendezeit erhalten müssen. Der Widerstand war massiv, vorerst sind die Pläne augenscheinlich vom Tisch. Dennoch macht sich Alessandra Costante große Sorgen um die Pressefreiheit in ihrer Heimat. Sie ist die Generalsekretärin der Journalistengewerkschaft FNSI.
Journalistengewerkschaft bestreikt Rai
"Ich bin sehr besorgt, denn die Räume für eine freie und unabhängige Information werden immer geringer. Das ist ein Angriff auf den Artikel 21 der Verfassung - den Artikel, der besagt, dass die Information frei sein muss und keinen Beschränkungen unterliegen darf. Er legt auch das Recht und die Pflicht der Journalisten fest, zu informieren."
Bei der Rai hat die Journalistengewerkschaft Usigrai einen fünftägigen Streik angekündigt. Die Regierungschefin selbst weist jegliche Einflussnahme zurück, Meloni sieht die Zensur-Vorwürfe als Kampagne an: "Wenn man etwas schlecht macht, dann ist es richtig, zu kritisieren. Aber wenn man etwas erfindet, um zu kritisieren, dann ist das, ehrlich gesagt, kein guter Dienst."
Scurati beklagt "faschistische Methoden"
Der Vertrag mit dem Schriftsteller Scurati, so die Rai, sei wegen seiner hohen Honorarforderung gekündigt worden. Es gehe, wie es heißt, um 1.800 Euro. Dieser bestreitet das.
"Es ist ein vulgärer Vorwand. Eine Lüge, sie sagen Unwahrheiten. Die Summe, die Meloni genannt hat, ist nicht korrekt. Sie starten einen persönlichen Angriff und verschieben so das Problem. 'Ich diskreditiere dich, ich beschimpfe dich, ich greife dich persönlich an' - vor 100 Jahren war das die faschistische Methode. Nicht über Inhalte reden, sondern die Person angreifen."