Samstag, 27. April 2024

Kulturkampf in Italien
Der Angriff der Rechten auf die Demokratie

Schon vor der Regierungsübernahme von Giorgia Meloni begann die Rechte einen Kampf auf dem Feld der Kultur. Es geht darum, wie nach Auffassung der Postfaschisten gesehen, gelesen und gesprochen wird. Es geht ums Ganze, um die demokratische Kultur.

Von Markus Metz und Georg Seeßlen | 18.02.2024
Giiorgia Meloni am 31.08.2023 bei einer Pressekonferenz im Parco Verde in Caivano.
Bei Giorgia Melonis öffentlichen Auftritten geht es nie um konkrete Aussagen, immer nur um Performance (IMAGO / ZUMA Press / IMAGO / Cesare Abbate)
Die italienische Rechte hat es auf das Entertainment abgesehen, auf die Popkultur, auf akademische Traditionen und das historische Erbe. Es ist ein Kampf um kulturelle Hegemonie, der auf Ebene der großen und kleineren kulturellen Institutionen von nationalem und internationalem Rang geführt wird, auf der der journalistischen Berichterstattung und Meinungsproduktion, und nicht zuletzt auf der der Alltagsorganisationen und des Gebrauchs von Sprache und Bildern.
Den Kulturkampf in Italien zu verstehen, seine Strategien und Mitteln, heißt auch, die Situation in Deutschland besser kennen zu lernen. Fern ab von Landtags- oder Bundestagswahlen geht es der europäischen Rechten darum, die Alltagskultur zu prägen und umzukrempeln. Ein Prozess soll damit in Gang kommen, an dessen Ende so etwas steht wie eine „Konservative Revolution“.
Markus Metz, geboren 1958, studierte Publizistik, Politik und Theaterwissenschaft, er lebt als Hörfunkjournalist und Autor in München. Zuletzt erschien von ihm „Wir Kleinbürger 4.0. Die neue Koalition und ihre Gesellschaft“ (Edition Tiamat, Berlin) und „Apokalypse & Karneval. Neoliberalismus: Next Level“ (Bertz & Fischer, Berlin), beide gemeinsam mit Georg Seeßlen.
Georg Seeßlen, geboren 1948, hat in München Malerei, Kunstgeschichte und Semiologie studiert. Er war Dozent an verschiedenen Hochschulen im In- und Ausland und schreibt heute als freier Autor unter anderem für Die Zeit, Frankfurter Rundschau, taz und epd‑Film. Außerdem hat er rund 20 Filmbücher verfasst und Dokumentarfilme fürs Fernsehen gedreht.

Am 7. Januar 2024 schreibt die italienische CasaPound-Bewegung auf ihrer Webseite:
„Heute hat in der Sala Dominique Venner, Via Napoleone III, der erste nationale Rat der Bewegung CasaPound Italia begonnen (...) Dieser erste nationale Rat bietet Gelegenheit, sich die Erfolge unserer zwanzigjährigen Bewegung ins Gedächtnis zu rufen und zugleich die politischen und kulturellen Positionen mit dem Ziel zu festigen, den nationalrevolutionären Druck auf die italienische Gesellschaft zu erhöhen, der immer das Anliegen von CasaPound Italia war.“
Die Bewegung CasaPound ist zum Zentrum des Kulturkampfs der neuen Rechten in Italien geworden. 2017 hat CasaPound – so behauptet sie zumindest selbst – ca. 20.000 Mitglieder. Und die nennen sich „Faschisten des dritten Millenniums“. Die Bewegung hat Kontakte zum gesamten rechtsextremen Spektrum in Europa. Sie genießt für viele Aktivisten Vorbildstatus.
Der Name erinnert an den Dichter Ezra Pound, der ein glühender ParteigängerMussolinis war und nach dem Krieg von den Alliierten in ein Heim für psychisch kranke Verbrecher verbannt wurde, weil man ihn sonst als Hochverräter und Kriegsverbrecher hätte behandeln müssen. Legendär genug hat die CasaPound-Bewegung seit 2003 ihr Hauptquartier in einem besetzten Gebäude im römischen Stadtteil Esquilino. Hier laufen die Fäden unzähliger extrem rechter und faschistischer Aktionen und Bewegungen zusammen. Hier gibt es immer wieder Veranstaltungen, bei denen sich in einheitlichem Schwarz gekleidete Gruppen mit dem römischen Gruß der Faschisten begrüßen und Strategien beratschlagen, wie die italienische Öffentlichkeit durch politische Aktion und kulturelle Angebote zu gewinnen sei.
Am 13. Juni 1984 folgten zwischen 1,5 und 2 Millionen Italienerinnen und Italiener in Rom dem Sarg von KPI-Chef Enrico Berlinguer, dem „più amato“, dem am meisten geliebten Politiker dieser Jahre. Es war, wie man sagte, die größte Kundgebung, die Europa bis dahin gesehen hatte. Und sie markiert eine Epochenwende in der italienischen Gesellschaft.
Kurze Zeit nach dem Begräbnis ihres charismatischen Führers erlebte die Kommunistische Partei Italiens zwar ihren letzten großen Erfolg bei der Europawahl. Aber nicht mehr in fundamentaler Opposition zu den herrschenden Verhältnissen, sondern in einem ständigen, friedlichen Prozess der Transformation. Aus der einst revolutionären Partei war eine sanfte Kraft der Reform geworden, aus der Konfrontation ein Dialog. Eines der besten Argumente dieser mittlerweile eher sozialdemokratischen als kommunistischen Partei war ihre starke Beziehung zu sozialen und vor allem: kulturellen Einrichtungen.
Enrico Berlinguer war auch für die, die ihn nicht wählten, eine Figur des italienischen Selbstgefühls, der „italianità“ gewesen, basierend auf einem historischen Kompromiss zwischen den konservativ-christlichen und den linken und linksliberalen Impulsen einer Gesellschaft, die es gewohnt war, gerade in der Instabilität der Regierungen eine Stabilität des politischen Systems zu finden. Und die KPI war nicht nur ein politisches, sondern vor allem auch ein kulturelles Zentrum gewesen. In jeder Kleinstadt gab es ein Parteibüro, einen Kulturausschuss, ein alljährliches Fest, das nach der Parteizeitung „Festa dell’Unità“ hieß, Bildungsangebote und Bibliotheken.
Der historische Kompromiss zwischen verschiedenen linken, demokratischen und liberalen Parteien hat am Ende nicht ausgereicht, das befürchte Parteienbündnis von rechts zu verhindern.
Aus der KPI wurde nach mehreren Umbenennungen schließlich 2007 die Partito Democratico (PD, also einfach „Demokratische Partei“) – was im Übrigen durchaus seine Berechtigung hatte. Denn auf den Gegner von einst, die von den Christdemokraten dominierten bürgerlich-konservativen Parteien, waren längst Bündnisse von post‑demokratischen, populistischen, regionalistischen, autokratischen und schließlich post-faschistischen Zusammenschlüssen gefolgt. Programmatische Parteinamen waren nicht mehr gefragt, sondern man nannte sich etwa Forza Italia – nach dem Ruf, mit der Sportfans die Nationalmannschaft anzufeuern pflegten – oder Lega Nord.
Zunehmend gestalteten sich die Wahlkämpfe in Italien nach den Mustern der Unterhaltungsindustrie. Einer, der eben damit, mit populären Medien und eher dubiosen Geschäften dahinter, reich geworden war, nämlich Silvio Berlusconi, wurde zur prägenden Gestalt der nächsten Epoche der italienischen Nachkriegsgeschichte. Der millionenschwere Unternehmer und Medienprofi, der während seiner Amtszeiten zu verhindern wusste, dass seine zweifelhaften Geschäftsbeziehungen durchleuchtet wurden, wurde zum Prototyp eines neuen Politiker-Typus.
Bei allen sonstigen Unterschieden weist dieser neue Typus drei konstante Elemente auf: Die Orientierung an einer radikal neoliberalen, konzern- und konsumorientierten Wirtschaftspolitik mit einem Hang zu dem, was Javier Milei, seit Dezember 2023 Präsident Argentiniens, unverfroren Anarchokapitalismus nennt. Zudem ein beständiger Flirt mit antidemokratischen, rechtsextremen und rassistischen Gedanken und Bewegungen. Und schließlich ein Auftreten als Pop-Star, zwischen Glamour und Comedy, und mit einem deutlichen Hang, immer wieder die Grenzen bürgerlicher Umgangsformen, diplomatischer Zurückhaltung und des guten Geschmacks zu überschreiten.
Während der gelegentlich kurz unterbrochenen Regierungszeit von Silvio Berlusconi ab 1994 löste sich nicht nur jener historische Kompromiss auf, es begann ein veritabler Umbau von Staat und Gesellschaft. Das alles im Dienste eines autokratischen Führers, der am liebsten direkt mit dem Volk plauderte und sich kraft seines Einflusses auch schon einmal in Talk Shows und Unterhaltungssendungen einblenden ließ, wenn man seine Person zu wenig würdigte oder unliebsame Kritik äußerte. Meistens aber machte er sexistische Scherze und inszenierte sich als Macho mit entsprechend dreisten immer auch öffentlichen Übergriffen. Obszönität war ein Kern dieses neuen politischen Erfolgsmodells.
Wer nicht für Berlusconi war, war Kommunist, Terrorist, Anarchist, Sozialist, bei Bedarf auch Nazi, vor allem wenn es sich um einen Politiker aus Deutschland handelte. In Italien hat es seit dem Kriegsende, nicht anders als in Deutschland, immer Kräfte und Organisationen gegeben, legal oder illegal, die dem Faschismus und der Zeit von Benito Mussolinis Herrschaft nachtrauern. Doch es bedurfte der vulgären Postdemokratie des Berlusconismus, damit sich die unterschiedlichsten Strömungen und Erscheinungsformen der extremen Rechten ungehindert organisieren und vernetzen konnten.
In den neunziger Jahren hatte die Neue Rechte in Italien, inspiriert von der Nouvelle Droite aus Frankreich, die Überlegungen des in den Mussolini-Jahren inhaftierten linken Theoretikers Antonio Gramsci und vor allem seine Idee einer kulturellen Hegemonie aufgegriffen.
„Die Vorherrschaft einer sozialen Gruppe zeigt sich auf zwei Arten, als Beherrschung und als intellektuelle sowie moralische Führung. Eine soziale Gruppe ist dominant, wenn sie die gegnerischen Gruppen unterwirft und die verbündeten Gruppen anführt. Eine soziale Gruppe kann, ja muss sogar vor der Machtübernahme die Führung übernommen haben; wenn sie dann an der Macht ist, wird sie dominant, aber sie muss weiterhin führend bleiben.“
Indem Antonio Gramsci die politische Herrschaft an eine intellektuelle und moralische Führung knüpfte, eröffnete er die Möglichkeit, soziale Umwälzungen an eine demokratische Kultur zu binden. Für die rechte Umkehrung dieser Idee gilt das exakte Gegenteil: Kulturelle Hegemonie soll die Voraussetzung für die Abschaffung der verhassten Demokratie durch eine so genannte „Konservative Revolution“ schaffen. Und anders als bei Gramsci soll diese kulturelle Hegemonie nicht Moral und Bewusstsein entwickeln, sondern umgekehrt immer weitere Bereiche des kulturellen Lebens mit einer Mixtur aus Nationalismus, Sexismus, Anti-Intellektualität und Rassismus füllen.
Die CasaPound-Bewegung war während der Berlusconi-Jahre als Partei aufgetreten, die sich als soziale Ergänzung und ernsthafter Widerpart zu den populistischen Parteien inszenierte. Gianluca Iannone – damals noch Parteivorsitzender – verkündete 2019 die Auflösung der CasaPound als politische Partei und erklärte, dass man ab jetzt nicht mehr für politische Ämter kandidiere, sondern sich auf den identitären Kampf konzentriere. Zu der Zeit wurden aus dem Movimento Sociale Italiano, einer faschistischen Partei, die für den Geschmack der Jungen zu viel Vergangenheit, zu viel Duce-Nostalgie, zu viel Fascho-Kitsch mit sich schleppte, die so genannten „Post‑Faschisten“ unter dem Namen „Fratelli d’Italia“, deren Mitglieder sich aus allen erdenklichen rechten und rechtsextremen Szenen und Organisationen rekrutierten. Auch die Biografie Giorgia Melonis, seit Oktober 2022 italienische Regierungschefin, reicht zurück in eine Vergangenheit bei militanten rechtsextremen Studentengruppen mit engen Beziehungen zu gewaltbereiten Organisationen im Untergrund sowie zu den kulturellen Szenen der CasaPound‑Bewegung, zu Rechtsrock-Protagonisten, Straßenkampagnen und Überfallkommandos auf linke basiskulturelle Einrichtungen wie das Cinema Americana in Rom.
Seit Giorgia Meloni ihre Regierung aus den drei rechten Parteien Fratelli d’Italia, Lega Nord und Forza Italia gebildet hat, hat sich CasaPound zu einem wohlgelittenen, aber nicht öffentlich anerkannten Instrument entwickelt, um die konservative Revolution voranzutreiben, von der auch diese Regierung träumt. Hier geht es um die heftigeren und deutlicheren Methoden, die sich die offizielle Regierung in Hinblick auf europäische Nachbarn, Tourismus und Finanzpolitik noch nicht leisten kann. Das Verbindungselement zwischen post-faschistischer Regierung und militanter Bewegung ist ein beredtes Schweigen. Im Januar 2024 treffen sich Tausende schwarzgekleidete Demonstranten in Rom. Aus der Demonstration werden Gewalt- und Morddrohungen gegen Liberale, Schwule und Linke laut. Worauf die Zeitung Repubblica schreibt:
„Das Schweigen der Regierungs- und Parteichefin zu den Vorfällen gleicht einem stillen Armausstrecken in Richtung der gewalttätigen Rechten und dient dem Verwischen der Grenzen zwischen den legalen und den illegalen Kräften der Faschisierung.“
Zum Kulturkampf von CasaPound gehört freilich nicht nur die Attraktivität der Militanz, sondern auch das Angebot eines Lifestyles. In den programmatischen Schriften und Aufrufen finden sich immer die Kombinationen der Worte „national“ und „sozial“. Faschismus wird nicht nur als nationale und soziale Bewegung propagiert, sondern auch als hedonistischer Lebensstil, als modische Attitüde, als Szene mit eigener Musik, eigenem Jargon, eigenen Treffpunkten. Das Stichwort dazu ist der so genannte „Turbodynamismus“ – eine Art Synthese von politischer und ästhetischer Gewalt mit Anklängen an den Futurismus und seine Verknüpfung mit faschistischer Propaganda. Bei den Aktionen trägt man immer einheitliche, aber auch durchaus gestylte Kleidung. Der Web-Auftritt der Bewegung unter dem Titel „Zentropa“ gibt sich betont jugendlich mit vielen Anknüpfungspunkten an Pop, Videogames oder populäre Streaming-Serien.
Neben politischen Aktionen und Demonstrationen der eigenen Gewaltbereitschaft und neben Aktivitäten im Sektor von Kultur und Freizeit ist ein weiteres Betätigungsfeld ein medienwirksames soziales Engagement, das der Öffentlichkeit immer wieder vor Augen halten soll, dass die Institutionen der demokratischen Zivilgesellschaft untauglich, schwach und korrupt seien und Hilfe und Solidarität nur unter dem Zeichen der CasaPound‑Rechten zu erwarten sei. Nach dem Erdbeben von L’Aquila 2009 engagierten sich die Aktivisten, wo man es zuließ, als freiwillige Helfer. Bis heute leisten sie Arbeit im Zivilschutz, im medizinischen Bereich, organisieren Blutspenden, Pflegehilfen und Sorgentelefone und sind beim Umweltschutz aktiv. Bei jeder dieser Aktionen kritisieren die Rechten das Rote Kreuz oder die Hilfsdienste der Gewerkschaften: Diese würden auch Nicht-Italienern, Migranten und sozialen Schmarotzern Hilfe leisten. Jeder Umweltschutzeinsatz dient vor allem dazu, die in Italien im Gegensatz zu Deutschland noch als links verorteten Grünen zu delegitimieren und zu denunzieren. Und eine in Italien besonders rege und besonders wenig kritisch betrachtete Szene von Rechts- und Fascho‑Rock hilft, die Jugend anzusprechen.
Aus der Subkultur wird also ein immer kräftigerer Druck in Richtung Jugendorganisationen und Militanz aufgebaut, in Konkurrenz, aber auch koordiniert mit der offiziellen Jugendorganisation der Post-Faschisten, der Gioventù Nazionale. Diese wiederum fällt noch gelegentlich auf, wenn sie Gedenkfeiern für Protagonisten des historischen Faschismus und sogar deutsche Kriegsverbrecher abhält. Aber auch die offizielle Kulturpolitik der Regierung Meloni und ihrer Partei Fratelli d’Italia, die sich außen- und wirtschaftspolitisch so moderat gibt, dass ihr westliche Zeitungen gern die prinzipielle Harmlosigkeit eines eingehegten Rechtsextremismus unterstellen, prägt ein unnachgiebiges Streben nach kultureller Hegemonie.
Die Regierung ersetzte international und progressiv orientierte Leitungen von Festivals, die Besetzungen von Jurys, die Kuratoren von Museen durch eigene Leute. Da folgt ein Coup dem anderen, die internationale Kulturöffentlichkeit kommt kaum mit. Giorgia Meloni nutzt ein klassisches Mittel autokratischer Herrschaft: Sie besetzt, wo es nur geht, einflussreiche Posten mit Mitgliedern ihrer recht weiten Familie oder mit alten „Kampfgefährten und -gefährtinnen. Die ideale Bühne dafür ist das öffentliche Rundfunksystem RAI.
Etwa für den ehemaligen Lebensgefährten der Regierungschefin, Andrea Giambruno, der nicht nur wegen seiner Tiraden gegen deutsche Politiker bekannt wurde, denen ausgerechnet in Italien einfiel, den Klimawandel zu bemerken, sondern auch weil er Frauen, die Vergewaltigung und Mord fürchten müssen, Alkoholmissbrauch und fahrlässige Provokation vorwirft.
Jedenfalls hat sich Andrea Giambruno mit seiner TV-One-man-show „Diario del giorno“, also „Tagebuch“, sehr rasch vom Mann im Hintergrund zum König der machistischen Trash-Tiraden entwickelt. Giambruno schwadroniert da über den Klimawandel...
„Gibt es nicht.“
über die europäischen Nachbarländer...
„Sollen sich gefälligst um ihren eigenen Kram kümmern.“
über deutsche Touristen...
„Sollen daheim bleiben.“
und immer wieder über die Frauen. Giambruno verkündet in seiner Sendung keine Nachrichten, er ist die Nachricht. Protagonisten des rechten Entertainments wie er bilden die perfekte Verbindung zwischen dem vulgären Berlusconismus und der sexistischen Politik der Post-Faschisten. Denn auch was die dramatischen Zahlen zur Gewalt gegen Frauen anbelangt, die Femizide und die Leidensgeschichten, greift Meloni wieder zum probaten Mittel. Sie schweigt.
Stattdessen lanciert CasaPound eine Kampagne mit Wandmalereien, Plakaten und Flugblättern, in denen es immer nur um die eine Behauptung geht: Nicht die patriarchale Ordnung und die Macho-Kulte sind schuld an der Gewalt gegen Frauen, sondern die linken, queeren, anti-autoritären Verräter der Traditionen. Verkürzt liest man dann überall:
„Was heißt da Patriarchat? Die Täter sind eure so genannten neuen Männer!“
Wie es im Berlusconismus üblich wurde, gibt es auch im Melonismus keinerlei Skrupel gegenüber Interessenkonflikten zwischen Familie, Geschäft, Medium und Politik: Alles dient allem. Man kennt das Prinzip aus dem Feudalismus und von der Mafia. Mit Demokratie jedenfalls hat es nichts zu tun.
Der Kulturkampf der Rechten reicht tief in den Alltag der Gesellschaft und spart so gut wie keinen Lebensbereich aus. So zeigt etwa ein Post auf Facebook Marcello De Angelis, Gründer einer Fascho-Rock-Band, am 21. Dezember mit einem „Julleuchter“, der nach den Vorstellungen der Nazis christliche Weihnachtssymbole ersetzen sollte. Oder da ist die Rekonstruktion des faschistischen Monuments in der Aula Magna der Universität La Sapienza in Rom: Als wäre nie etwas geschehen, werden das Abbild Mussolinis und das Liktorenbündel, also jenes antike Rutenbündel aus Fasces, das den Faschisten den Namen gegeben hat, „musealisiert“, ins akademische Leben integriert und wie ein Leitspruch über die Vermittlung von Wissen gestellt.
Giorgia Melonis öffentliche Auftritte, zum Beispiel jener fernsehgerechte im Parco Verde von Caivano im August 2023 sind perfekte Choreografien der Anti-Demokratie: Man bringt die eigenen Claqueure mit, man blendet jedes unangenehme Thema aus und lässt keine Fragen zu. Politik ist zur reinen Show geworden, halb faschistisches Ornament, halb berlusconistisches Politainment. Kulturkampf für die Rechte in Italien heißt auch, ein Element wiederaufzunehmen, das der deutsche Nationalsozialismus so perfekt beherrschte, nämlich die Ästhetisierung der Politik. Bei Giorgia Melonis öffentlichen Auftritten geht es nie um konkrete Aussagen, immer nur um Performance, darum, die eigene Klientel mit den immergleichen Parolen und Idiomen zu bedienen.
So hat sie es leicht, vom Kampf gegen die Kriminalität zu schwadronieren, während die Einwohner des Problemviertels, in das sie mit dem Hubschrauber einfliegt, vergeblich darauf warten, dass ein Kinderspielplatz eingerichtet, eine akzeptable Müllabfuhr organisiert wird, oder dass ihnen irgendjemand einfach einmal zuhört.
Viel lieber als mit den alltäglichen Problemen des italienischen Volkes beschäftigen sich die Protagonisten des Melonismus wie es scheint mit heroischen Fantasy-Epen. Ein erklärtes Lieblingsprodukt ist dabei J.R.R. Tolkiens Herr der Ringe mit seinen manichäischen Kämpfen zwischen Gut und Böse. Herr der Ringe-Zitate und -Bezüge dienen in Italien schon lange dazu, rechte Diskurse mythisch zu unterfüttern.
Mittlerweile Parteisekretärin der Fratelli d’Italia eröffnete Arianna Meloni mit ihrer Schwester im ersten Jahr nach deren Triumph in der Galleria Nazionale d’Arte Moderna e Contemporanea in Rom eine große Ausstellung zu J.R.R. Tolkien und seinem Fantasy‑Epos. Immer wieder zitiert auch die Regierungschefin das Werk. Sie sieht sich und ihre Gefährten auf der richtigen Seite in einem Endkampf mit den Mächten des Bösen. Die Deutung von Herr der Ringe als Kernmythologie der Rechten ist offenbar eine Herzensangelegenheit der italienischen Regierung. Die aktuelle Ausstellung in Rom interpretiert den Autor Tolkien anhand von Dokumenten und Briefen im Sinne der Fratelli d’Italia. Gekostet haben soll die Ausstellung 250.000 Euro, das war sie der neuen Kulturpolitik wohl wert. Kulturminister Gennaro Sangiuliano erklärte Tolkien zu einem
„...echten Katholiken und echten Konservativen, der die im Westen vergessenen traditionellen Werte verteidigte; den Sinn für Gemeinschaft, die Tradition der Natur, den Widerstand gegen die entmenschlichenden und umstrittenen Aspekte der Moderne, Selbstaufopferung, Freundschaft, Mut, Ehre“.
So wird Tolkien zum scheinbar unverdächtigen gemeinschaftlichen Nenner der italienischen Rechten, eine popkulturelle Urmythe, die kompatibel ist für den üblichen Rechtspopulisten ebenso wie für den militanten terroristischen Straßen-Nazi, den Neuen Rechten aus der CasaPound und den Propagandisten des Faschismus light in den Massenmedien.
Dazu muss man wissen, dass in Italien nie die Blumenkinder oder die nostalgischen Erben der Revolution Tolkiens Fantasy-Saga adoptierten. Von Anfang an wurde diese Saga nur in den rechten Szenen geliebt. Die italienische Mainstream-Kultur interessierte sich seinerzeit überhaupt nicht für Tolkien, dessen Werke im explizit rechten Verlag Rusconi erschienen, der gern auch Mussolini-Nostalgie veröffentlicht. Von Anbeginn wurde das Werk als politische Metapher gelesen, als Kampf um die Wiedergeburt einer alten Ordnung gegen die Kräfte der modernen Finsternis. Schon das Movimento Sociale Italiano, die ursprüngliche Organisation der Nachkriegsfaschisten, veranstalte Hobbit‑Camps für den Nachwuchs, wo sich Rollenspiel und Ideologie trefflich verbinden ließen. Diese Tradition wird nun in ungleich größerem Maßstab fortgesetzt.
Wer es weniger mythisch und dafür deftiger haben will, wird derzeit ebenfalls in der italienischen Kulturlandschaft bedient, und zwar in Gestalt eines ranghohen Militärs, der zum Bestseller-Autor avancierte. General Roberto Vannacci hetzt zum Applaus seiner Anhänger gegen Homosexuelle und Flüchtlinge. Sein Buch Il Mondo al contrario, also „Verkehrte Welt“, machte er zum mit Abstand meist verkauften in Italien – mit der Verteidigung der Nation, des italienischen Volkes, der traditionellen Familie, der Ordnung.
Roberto Vannacci, mittlerweile allgegenwärtig in Talk Shows und Unterhaltungssendungen, bringt das rechte Denken im Kasernenhofton auf den Punkt: Es gebe keine größeren Gefahren auf dieser Welt als LGBTQ+, die ökologischen Bewegungen der Jugendlichen, ethnische Minderheiten im eigenen Land und Feministen, die der General ganz ungeniert „Hexen“ nennt. Gefahren für sein Land, das seit 8.000 Jahren aus weißen Menschen bestehe. Und Wladimir Putin sei ein toller Kerl.
Der Kulturkampf der italienischen Rechten, der lange vor der Regierungsübernahme von Giorgia Meloni begann, vollzieht sich auf sehr verschiedenen Ebenen: Auf der des Entertainments und der Popkultur, auf der der akademischen Traditionen und des historischen Erbes, auf der Ebene der großen und kleineren kulturellen Institutionen von nationalem und internationalem Rang, auf der der journalistischen Berichterstattung und Meinungsproduktion, und nicht zuletzt auf der der Alltagsorganisationen und des Gebrauchs von Sprache und Bildern.
Es geht darum, dass so gesehen, so gehört, so gesprochen und so kommuniziert wird, wie es sich die Post-Faschisten vorstellen. Es geht darum, diese kulturelle Hegemonie flächendeckend aber sozusagen schmerzlos zu erreichen. Dabei sind die angeführten Beispiele gerade einmal die Spitzen der Eisberge; der rechte Kulturkampf reicht von Universitäten in kommunale Verwaltungen, vom Vereinsleben in die medizinische Versorgung, von den Metropolen in die tiefste Provinz.
Welche Aufgaben dieser Kulturkampf zu erfüllen hat, ist überdeutlich: Zunächst handelt es sich um nichts weiter als Propaganda. Aber dann geht es auch darum, durch die ständigen Spektakel von der Tatsache abzulenken, dass die Regierung Meloni auf wirtschaftlichem oder sozialem Gebiet keine Lösungen, sondern nur Feindbilder anbietet. Die üblichen natürlich: Die Ausländer, von unbotmäßigen Touristen über egoistische Bürokraten in Brüssel bis zu den Migranten, die das reine Blut des italienischen Volkes bedrohen. Die Frauen, die Queeren, die Nonkonformen, die die traditionellen Geschlechter- und Familienmodelle untergraben. Die Linken, die Kommunisten und Sozialisten, die schuld daran sind, dass sich ein italienischer Durchschnittsverdiener den Urlaub im eigenen Land nicht mehr leisten kann. Die Ökologen und Klimaretter, die einem den Spaß am Leben verbieten wollen. Die Kritiker, die wie der Gastro-Historiker Alberto Grandi nicht einmal davor zurückschrecken, die geheiligten Güter der italienischen Küche als kulinarische Mythen zu entlarven.
Beim Kampf um die kulturelle Hegemonie spielen aber auch Symbole, Moden, das Kapern von Pop-Elementen, die Reinigung von nationalen Institutionen wie dem Liederfestival in San Remo oder dem Filmfestival von Venedig eine Rolle. Die Umwandlung des universalistischen Weltkulturerbes in Italien in ein nationales italienisches Kulturerbe gehört ebenso dazu wie neue Denkmäler für faschistische Prominenz zu errichten und die antifaschistische Erinnerungskultur zu unterdrücken.
Der Trick besteht darin, dass man auf der Ebene des Kulturkampfes, der nicht zuletzt ein Kampf gegen die Kultur selbst ist, Menschen aus dem bürgerlich-konservativen Lager erreichen kann; Menschen, die politisch eigentlich noch nicht auf der Seite des post‑faschistischen Regimes stehen, das sich gerade durch Änderungen des Wahlrechts und die Abschaffung der demokratischen Gewaltenteilung Stabilität verschaffen will. Der zweite Trick besteht darin, dass man damit auch unpolitische Menschen erreichen kann, die die Spektakel des schlechten Geschmacks und der Vermischung von Politik und Entertainment genießen.
Der ständige Kulturkampf von rechts erzeugt indes auch eine Form von Gewöhnung, die Kräfte, die sich dagegen zur Wehr setzen, die die Kultur gegen die rechte Vereinnahmung schützen wollen, müssen früher oder später erlahmen. Neben Propaganda und Ablenkung geht es beim rechten Kulturkampf und der teils gewaltsamen, teils schleichend erzielten Hegemonie noch um etwas ganz Anderes: Der Post-Faschismus der Giorgia Meloni will nicht bloß eine Regierung sein, wie es sie in der italienischen Nachkriegsgeschichte so viele gab. Er will Staat und Gesellschaft nach seinen Vorstellungen umbauen.
Hier zeigt sich der große Unterschied zwischen Demokratie und Faschismus, auch wenn der sich nach außen hin moderat, ja bürgerlich gibt. In der Demokratie soll eine Gesellschaft die ihr angemessene Politik hervorbringen, im Faschismus dagegen soll die Politik eine ihr angemessene Gesellschaft hervorbringen. Deshalb ist es ein Wesensmerkmal der rechten Anti-Demokratie, die kulturellen Hegemonie in allen Bereichen zu erringen. Italien ist eines der Beispiele dafür, wie rasch und nachhaltig das geschehen kann, wenn der demokratischen Zivilgesellschaft Kraft und Zusammenhalt fehlen.