Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Rassismusdebatte
Straßenumbenennung als politisches Programm

Grüne, Linke und die SPD treiben die Benennung von Straßen und Plätzen voran – vor allem in Berlin. In der Kritik stehen Orte mit Namen aus der Kolonialzeit. Für die Parteien geht es ums politische Programm, für Menschen mit afrikanischen Wurzeln geht es um mehr.

Von Sebastian Engelbrecht | 14.08.2020
30.07.2020, Berlin: Vor dem Eingang der U-Bahnstation Mohrenstraße hat jemand mit roter Farbe "decolonize the city" an die Wand geschrieben.
"Decolonize the city" - "Dekolonisiert die Stadt" fordern Unbekannte an der Berliner U-Bahnstation "Mohrenstraße" (picture alliance/Fabian Sommer/dpa/ZB)
Moses Pölking sitzt am Biertisch im "Schleusenkrug" im Berliner Tiergarten. Hinter ihm rattert alle zwei Minuten die S-Bahn vorbei. Pölking fällt auf, denn er ist ein Hüne, ein Basketballer: zweiter Meter fünf groß. Der 22jährige Berliner spielt in der Zweiten Liga, bei den Eisbären Bremerhaven. In der Schule fiel er früher auch deshalb auf, weil er nicht so weiß war wie die meisten anderen. Seine Mutter kommt aus Kamerun, sein Vater ist ein Deutscher.
"Sobald ich in den Kindergarten gekommen bin, das sind ja so diese Kleinigkeiten, in Anführungsstrichen Kleinigkeiten, wo man Negerküsse gegessen hat, ‚Wer hat Angst vorm schwarzen Mann‘, ‚Neger, Neger, Schornsteinfeger‘, diese Dinge. Dann in der Grundschule auch, definitiv, wo ich oft als Neger betitelt wurde und Ärger bekommen habe, wenn ich darauf physisch reagiert habe."
13.000 Unterschriften gegen Onkel Tom
Weil Moses Pölking seit Kindertagen unter dem Rassismus der Deutschen leidet, hat er eine Petition im Internet angestoßen. Mehr als 13.000 unterstützen seinen Vorschlag. Der U-Bahnhof Onkel-Toms-Hütte im Stadtteil Zehlendorf soll umbenannt werden, und auch die Onkel-Tom-Straße. "Onkel Tom" ist die zentrale Figur in dem Aufsehen erregenden Roman "Uncle Tom’s Cabin" der US-Amerikanerin Harriet Beecher Stowe aus dem Jahr 1852. Pölking findet, Onkel Tom spiele in dem Roman die Rolle eines Sklaven, der sich gegen den Widerstand entscheidet und für die Unterwerfung. Er sei der Typus eines Christen, der sich für andere opfert. Und auf dem Sterbebett verzeihe er seinem weißen Herrn auch noch die Sklaverei.
"Ich stelle mir halt persönlich die Frage: Wenn ich jeden Tag geschlagen werde, meine Frau wird vergewaltigt, meine Kinder werden mir entrissen. Ich werde meiner Familie verrissen und verkauft und muss zwölf Stunden am Tag schuften auf dem Feld – ist es dann wirklich so gut, sich nicht gewaltvoll aufzulehnen, vor allen Dingen in der damaligen Zeit? Denn damals ist man nicht auf die Straße gegangen und hat protestiert. Es wurde etwas erreicht, indem man sich gewaltsam aufgelehnt hat."
Es kommt auf die Art des Erinnerns an
Moses Pölking wedelt die Wespen weg von seiner Apfelschorle. Er finde den Namen "Onkel-Toms Hütte" beleidigend, sagt er – und macht einen Gegenvorschlag.
"Wie ich an diese dunkle Zeit der Geschichte erinnern möchte, ist der entscheidende Punkt. Ich möchte nicht schmerzhaft daran erinnern, sondern mit einem guten Gefühl daran erinnern. Sagen wir jetzt mal: Martin Luther King Junior, er hat etwas sehr Gutes getan für Afroamerikaner und für die schwarze Community auf der ganzen Welt. Und wenn ich seinen Namen an einer Straße sehe und da langlaufe, habe ich ein gutes Gefühl. Und bei Onkel Tom verspüre ich eher Schmerz."
Dossier: Rassismus
Dossier: Rassismus (picture alliance / NurPhoto / Beata Zawrzel)
Schon länger diskutieren die Grünen in Berlin-Mitte über die "Mohrenstraße"". In ein paar Wochen wollen sie mit den Linken und der SPD im Bezirksparlament den Namen abschaffen. Der Name "Mohrenstraße" stehe für die "Glorifizierung der Kolonialzeit", meint Jeff Kwasi Klein vom Vorstand der Grünen in Mitte, Politologe, 33 Jahre alt. Er ist aufgewachsen in Köln, seine Eltern stammen aus Ghana.
Klein arbeitet als Projektleiter in einer Antidiskriminierungsberatung in der Weddinger Müllerstraße. Sein Büro hat er im Souterrain eines Klinkerbaus aus der Kolonialzeit.
"So ist es halt auch bei dem M-Wort, dass es gut sein kann, auch so, dass es vielleicht eine unproblematische Herkunft hat oder Kern hat, aber die Verwendung war letztendlich doch, um versklavte Menschen damit zu bezeichnen – und auch nach der Kolonialzeit weiterhin schwarze Menschen zu diskreditieren, zu entmenschlichen, zu entwürdigen. Und das Wort wird ganz klar auch als Schimpfwort benutzt."
U-Bahnhof-Schild "Mohrenstraße" in Berlin, Anfang Juli 2020. Der Name wird kritisiert, weil die enthaltene, inzwischen in der Alltagssprache ungebräuchliche Bezeichnung als rassistisch gilt.
Debatte über historische Namen im StadtraumMilitaristische Tradition, Kolonialgeschichte, männliche Dominanz: In vielen Städten kämpfen Initiativen dafür, Straßen und Plätze umzubenennen. Kritiker sehen darin jedoch vor allem eines: Geschichtsvergessenheit.
Sprache als Mittel der Dominanz
Die Gegner einer Umbenennung, unter ihnen Sprachwissenschaftler, beteuern, das Wort "Mohr" sei altertümlich, aber nicht rassistisch. Es bezeichne einen dunkelhäutigen Menschen. Jeff Kwasi Klein hält dem entgegen: "Das empfinde ich als ein Dominanzverhalten."
Er fühle sich vom Namen "Mohrenstraße" diskriminiert, sagt Klein, und will sich das Recht dazu nicht von einer weißen Mehrheit absprechen lassen. "Anton-Wilhelm-Amo-Straße" soll sie getauft werden, nach dem ersten Philosophen afrikanischer Herkunft in Deutschland.
Manche schütteln bloß den Kopf angesichts des Umbenennungsfiebers, das ganz Berlin, vor allem die Grünen in den Bezirken, erfasst hat. Timur Husein, Fraktionsvorsitzender der CDU in Kreuzberg-Friedrichshain, hält nichts davon.
"Das ist eine vor allem bei linken Parteien tief sitzende Geschichtsvergessenheit – oder sagen wir noch besser: eine Geschichtsversessenheit. Man will mit der eigenen Geschichte abschließen, man will damit nichts zu tun haben, und will eine, ja, neue Geschichte beginnen. Das hat aber früher schon nicht geklappt, und es wird auch in Zukunft nicht funktionieren. Wer seine Geschichte vergisst, weiß nicht mehr, wer er ist und weiß auch nicht, wohin er in Zukunft gehen soll."
Kritik an Berliner Tiergarten
Doch Timur Huseins Worte verhallen kaum gehört. In der Nollendorfstraße in Schöneberg zum Beispiel, wo Sebastian Walter sein Wahlkreisbüro hat, der stellvertretende Fraktionschef der Grünen im Abgeordnetenhaus. Der 41jährige Walter kritisierte in einer schriftlichen Anfrage an den Berliner Senat jetzt auch das Konzept einer "Afrika-Landschaft" im Berliner Tierpark im Osten der Stadt. Die Landschaft wurde im Mai neu eröffnet, Geparden und Geier haben jetzt mehr Platz. Neben die neuen Gehege stellte der Tierpark "Hütten aus natürlichen Baumaterialien".
"Wenn Afrika jetzt in dem Fall als ein exotischer Kontinent dargestellt wird, es wird bezeichnet, dass es authentische Einblicke gibt in diesen Kontinent, mit Hütten, einer Savannenlandschaft, dann ist natürlich schon zu fragen: Wo kommen diese Bilder eigentlich erst mal her, also welche Sprache wird da verwendet? Und die steht unserer Meinung nach in einer Tradition – nämlich aus der Kolonialzeit."
Aufbrechen veralteter Bilder im Kopf
Der Berliner Zoo sei Teil eines kolonialen Projekts gewesen, meint Walter. Allerdings wurde der Tierpark im Osten erst 1955 gegründet. – Bleibt die Frage, ob nicht auch die Nollendorfstraße umbenannt werden müsste, in der Walters Büro liegt. Die Straße heißt so zum Gedenken an den preußischen Sieg über Napoleon im böhmischen Ort Nollendorf.
"Ich habe mich weniger mit den Namen der Geschichte befasst, merke ich gerade, als Sie selbst, aber generell finde ich es gut, sich mit Geschichte zu beschäftigen und wo man wohnt – und das auch kritisch zu tun."
Für Walters grünen Parteifreund Jeff Kwasi Klein gibt es da nichts zu lachen. Auch er stößt sich an der Afrika-Landschaft.
"Das ist genau die Fortführung, Kontinuität, Reproduktion dieses kolonialen Rassismus. Und deswegen müssen wir an irgendeinem Punkt sagen: So, wir müssen diese Bilder aufbrechen."