Montag, 13. Mai 2024

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Rechtsextreme JVA-Bedienstete
Hat der Justizvollzug ein Extremismus-Problem?

In Dresden stehen fünf JVA-Bedienstete vor Gericht, weil sie ausländische Gefangene aus rassistischen Motiven misshandelt haben sollen. Es ist nicht die einzige mutmaßlich rechte Gruppe, die im Gefängnis arbeitet. Sind es Einzelfälle oder gibt es ein strukturelles Problem?

Von Timo Stukenberg | 09.06.2022
Blick durch ein Gitter auf einen Gefängnishof.
Die Staatsanwaltschaft Dresden wirft fünf Bediensteten der dortigen Justizvollzugsanstalt gefährliche Körperverletzung im Amt* vor. Im Sommer 2018 sollen sie mehrfach ausländische Gefangene aus rassistischen Motiven geschlagen und getreten haben. (picture alliance / Zoonar)
Mittwochmorgen in einem Seminarraum der Hamburger Justizvollzugsschule. Ein Projektor surrt über den Köpfen, von draußen dringt Baustellenlärm herein. Silke Gary vom Ausstiegsprogramm Kurswechsel will mit den rund 20 Anwärterinnen und Anwärtern für den Dienst im Gefängnis heute über Rechtsextremismus sprechen. Zum Einstieg sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichten, wo ihnen rechte Einstellungen schon begegnet sind.
„Jeder kennt den ein oder anderen, der solche Einstellungen hat. Ich war bei der Bundeswehr, da gibt es viele, die vielleicht mal bisschen mehr rechts denken", so ein Teilnehmer. "Ist ja auch immer die Frage: Wo fängt das an, wo hört das auf?“

Was ist rechtsextrem?

Was rechts, rechtsextrem oder unproblematisch ist, das sollen die Teilnehmer anhand verschiedener Aussagen herausfinden. In kleinen Gruppen diskutieren sie unter anderem darüber, ob es rechtsextrem ist, wenn ein Politiker die Zeit des Nationalsozialismus als „üblen Unfug“ bezeichnet. In einer Pause erklärt die Seminarleiterin Silke Gary, worauf es ihr ankommt:
„Zum einen geht es darum, tatsächlich selber die Teilnehmer*innen zu sensibilisieren für das Thema, aber insbesondere auch geht es um ihre eigene Haltung. Wie stehen Sie dazu? Wie gehen Sie damit um? Und auch ein bisschen das zu reflektieren und ihre eigene Haltung vielleicht zu stärken oder überhaupt sie zum Nachdenken zu bringen über: Was ist überhaupt rechts? Was sind rechte Sprüche? Wo fängt das an? Wo habe ich vielleicht auch selber eigene Vorurteile? Und wie kann ich die reflektieren und so weiter.“

Demokratisches Menschenbild

Ein demokratisches Menschenbild soll laut der Hamburger Justizbehörde an vielen Stellen der zweijährigen Ausbildung vermittelt werden. Dazu gehört neben dem Seminar des Ausstiegsprogramms Kurswechsel zum Beispiel auch ein Besuch in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.
„Ich glaube, es ist so wichtig, das zu reflektieren, weil es Opfer erzeugt, also weil man immer daran denken muss, dass sie ja jemandem gegenüberstehen und mit dem sie dann auch professionell umgehen müssen. Und da, glaube ich, ist es sehr, sehr wichtig, gerade in einer Machtposition, die sie haben, dass sie das auch reflektieren müssen und das ja immer daran denken muss. Wenn da zum Beispiel Menschen sind, mit Migrationshintergrund, dass sie die damit verletzen oder beleidigen und so weiter.“
Sich mit eigenen rechten Vorurteilen auseinanderzusetzen, sei nicht nur für Anwärter, sondern für alle Bediensteten im Justizvollzug notwendig, meint Gary.

Gefährliche Körperverletzung im Amt*

Das zeigen momentan vor allem die Fälle, die vor Gericht landen. Vor dem Amtsgericht Dresden stehen ab morgen (10. 6. 2022) fünf Bedienstete der dortigen Justizvollzugsanstalt vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen gefährliche Körperverletzung im Amt* vor. Im Sommer 2018 sollen sie mehrfach ausländische Gefangene aus rassistischen Motiven geschlagen und getreten haben. Mit den Taten sollen sie in einer Chatgruppe geprahlt haben.
In der JVA Leipzig war ein Beamter jahrelang für die inhaftierten Mitglieder der rechtsterroristischen Gruppe Freital zuständig und gleichzeitig angeklagt wegen seiner Beteiligung an einem Neonazi-Angriff im Leipziger Stadtteil Connewitz im Jahr 2016. Im Februar 2022 wurde er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Und auch in Berlin wurde im März 2020 ein Bediensteter der Jugendstrafanstalt verurteilt, der Handys und Drogen in das Gefängnis geschmuggelt hatte. Bei einer Hausdurchsuchung fanden die Polizisten eine SS-Uniform und zahlreiche NS-Andenken.

„Jeder Fall ist einer zu viel"

Einzelfälle? Oder hat der deutsche Justizvollzug ein Rechtsextremismus-Problem? René Müller, Vorsitzender der Gewerkschaft der Strafvollzugsbediensteten, sieht bei seinen Mitgliedern keine strukturellen Probleme.
„Jeder Fall ist einer zu viel, ganz klar. Und natürlich bringt gerade solche Fälle, diese kleinen Einzelfälle oder diese Einzelfälle, die wir zu verzeichnen haben, bringen natürlich die Mitarbeiter des gesamten Justizvollzugs in Verruf. Und deswegen sag ich ja, diese Fälle gehören konsequent verfolgt und konsequent aus dem Dienst entfernt.“
Eine systematische, bundesweite Untersuchung zu rassistischen, antisemitischen oder anderen rechten Einstellungen unter JVA-Bediensteten gibt es nicht. Im „Lagebericht zu Rechtsextremisten, ‚Reichsbürgern’ und ‚Selbstverwaltern’ in Sicherheitsbehörden“ des Bundesamts für Verfassungsschutz werden Daten zu JVA-Bediensteten nicht erfasst. Würde man dies jedoch tun, sagt Clara Bünger, Abgeordnete der Linken im Bundestag, würde man vermutlich mehr Fälle finden.

"Keine Einzelfälle, sondern ein strukturelles Problem"

„Aus meiner Sicht handelt es sich hier nicht um Einzelfälle, sondern es ist schon ein strukturelles Problem, welchem bisher sehr, sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Allerdings, ich bin auch in Kontakt mit Organisationen, die sich in Justizvollzugsanstalten engagieren, und die teilen mir mit, dass die Zahl doch relativ hoch ist und dass die Dunkelziffer auch viel höher ist als das, was wir jetzt auch durch die Öffentlichkeit erfahren. Das heißt, viele Menschen trauen sich auch nicht, Mitteilungen zu machen, natürlich auch aus Angst vor der Situation, die daraus folgen würde in den Gefängnissen.“
Der Strafvollzug in Deutschland liegt in der Verantwortung der Bundesländer. Der Deutschlandfunk hat daher alle 16 Landesjustizministerien nach ihren Erkenntnissen zu Straf- und Disziplinarverfahren aufgrund der politischen Einstellung von Justizvollzugsbediensteten gefragt. Ein Ergebnis der Abfrage: Das Problembewusstsein ist offenbar unterschiedlich ausgeprägt. Nordrhein-Westfalen führt in der eigens für die Gefängnisse zuständigen Justizvollzugsdirektion des Ministeriums keine Statistiken, heißt es auf Anfrage.
Die Justizministerien in Hessen, Niedersachsen, Baden-Württemberg und Sachsen wissen mehr: Sie haben einen Überblick, gegen wie viele Justizvollzugsbeamte Verfahren laufen. So wurden nach Auskunft dieser Ministerien seit 2010 mindestens 35 Disziplinarverfahren aufgrund einer mutmaßlich verfassungsfeindlichen Einstellung eingeleitet. In Baden-Württemberg sind seitdem sieben Bedienstete verurteilt worden, meistens wegen Volksverhetzung oder wegen des Verwendens verfassungsfeindlicher Kennzeichen. Aktuell laufen dort gegen neun weitere JVA-Beamte Disziplinarverfahren. Auch die Staatsanwaltschaft ermittelt, teilt das Justizministerium in Stuttgart mit.
„Neun dieser Fälle stehen im Zusammenhang mit möglichen Straftaten gemäß § 86a StGB im Rahmen der Kommunikation im Messenger-Dienst WhatsApp.“

Gruppenchats sind oft das Bindeglied für rechte Netzwerke

In Paragraph 86a des Strafgesetzbuches ist das Verbot verfassungsfeindlicher Kennzeichen festgeschrieben. Gruppenchats wie dieser, oder wie der der angeklagten JVA-Beamten in Dresden, sind laut Experten oft das entscheidende Bindeglied für rechte Netzwerke.
Jens Borchert hat selbst elf Jahre lang im Gefängnis gearbeitet und ist nun Professor für Sozialarbeitswissenschaft mit Schwerpunkt Kriminologie an der Hochschule Merseburg. Im Auftrag des Bundesjustizministeriums forscht er zu Antisemitismus unter Jugendstrafgefangenen. Dabei lernt er auch etwas über die antisemitischen Einstellungen mancher Bediensteter.
„Wir kriegen es im Prinzip so en passant mitgeliefert. Passt auf, das gibt‘s auch durchaus auf der anderen Seite der Tür sozusagen, nicht nur bei den Inhaftierten, sondern auch davor und da scheint es so die klassischen Themen zu sein, also auch die Bezeichnung ‚Jude‘ dann, die durchaus als Schimpfwort auch gemeint ist.“
Unter JVA-Bediensteten gebe es ebenso ein breites Meinungsspektrum wie in anderen Berufsgruppen, sagt Borchert. Man könne davon ausgehen, dass die meisten nicht rechtsextrem seien und sich stattdessen Mühe gäben, für Demokratie einzustehen. Dennoch sieht er in Gefängnissen spezielle, strukturelle Probleme. Die Bediensteten erleben die Gefangenen in einer ganz besonderen abgewerteten Rolle, nämlich definiert über ihre Straftat. Zusätzlich nähmen sie die Gefangenen als Gruppe wahr, sagt Borchert.

"Kollektive Abwertungsmuster auf Gefangene übertragen"

„Das strukturelle Problem, das ich da sehe, ist, dass diese Kollektivsetzung der Gefangenen dann tatsächlich aus einer Machtposition heraus vollzogen wird und dass dann kollektive Abwertungsmuster auf diese Gefangenen übertragen werden und dass man sagt: ‚Ok, du bist nur ein Gefangener, du bist nur ein …‘ und dann kann das ja in viele unterschiedliche Richtungen gehen. So scheint es ja in der JVA Dresden gewesen zu sein, wo dann tatsächlich sehr deutliche Äußerungen in den Chats dort gefunden wurden.“
Aus der Chatgruppe der Dresdner Beamten soll unter anderem ein Übergriff auf einen Gefangenen hervorgehen, der bereits in einem sogenannten „besonders gesicherten Haftraum“ untergebracht war. Der ausländische Gefangene habe sich laut Anklage in der umgangssprachlich auch Bunker genannten Zelle hinter einer Matratze versteckt. Focus Online zitiert aus den Chats der JVA-Bediensteten zu dem Vorfall:
„Tür auf, wir rein. Plötzlich fiel doch die Matratze um und wir haben uns alle drei so erschrocken, dass reflexartig die rechte Gesichtshälfte des Delinquenten massiert wurde ... als federleichte 88 kg auf seinem Kopf in Stellung gegangen sind, wurden ihm anschließend sämtliche Gelenke massiert und die Nieren ausgeklopft...“
Die Angeklagten bestreiten die Vorwürfe. Ähnliche Aussagen finden sich auch in einem abgehörten Telefonat zwischen zwei Justizvollzugsbediensteten, deren Entlassung das Bundesverwaltungsgericht 2019 bestätigte. Darin äußern sich die die Beamten offen rassistisch, leugnen den Holocaust und spinnen Tötungsfantasien.

Keine offiziellen Angaben über Rassismus oder Antisemitismus in Haftanstalten

Wie viele Gefangene von Rassismus oder Antisemitismus betroffen sind, darüber gibt es keine offiziellen Angaben. Rechtsextreme Einstellungen dürften in Gefängnissen jedoch auf einen überdurchschnittlich hohen Anteil von Menschen treffen, die von Rassismus betroffen sind. Immerhin haben 30 bis 50 Prozent der Inhaftierten in Deutschland einen ausländischen Pass.
Zu der Haftsituation, in der die Grundrechte der Inhaftierten ohnehin eingeschränkt sind, komme die Diskriminierung noch hinzu, sagt Heike Kleffner, Geschäftsführerin des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt.
„Wenn Gefangene nicht damit rechnen können, dass nach den Regeln, die ihr Leben bestimmen, korrekt gehandelt wird, dann sind sie in einem permanenten Alarm- und Demütigungszustand.“

"Jeder Gefangene das Beschwerderecht"

René Müller von der Gewerkschaft der Strafvollzugsbediensteten will das nicht so stehen lassen. Er verweist darauf, dass die Gefängnismitarbeiterinnen und –mitarbeiter über eine gewisse Resilienz verfügen. Dies würde sie auch in herausfordernden Situationen davon abhalten, sich rassistisch zu verhalten. Und wenn doch, könnten die Gefangenen gegen die Bediensteten vorgehen.
„Wenn sowas tatsächlich auftreten sollte, dann hat jeder Gefangene das Beschwerderecht. Dem wird auch konsequent nachgegangen. Oder aber Strafanzeige und in solchen Fällen wird auch konsequent die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, weil solche Leute gehören nicht in den öffentlichen Dienst, nicht in den Vollzug.“
Doch derartige Ermittlungen und Verfahren können lange dauern – wenn sich die Betroffenen überhaupt trauen, sich zu beschweren, sagt Heike Kleffner vom Verband der Beratungsstellen.
„Gefangene haben ja weniger Zugang zu Hilfe von außen per se. Und gleichzeitig befinden sie sich in Abhängigkeitsverhältnissen zu den JVA-Bediensteten. Und im Zweifel sind sie deren Regeln und auch deren Schikanen komplett ausgeliefert.“

Beschwerdewege funktionieren nicht

Zu der Angst vor Schikanen kämen Unkenntnis über die eigenen Rechte oder Sprachbarrieren hinzu. Auf sich allein gestellt, könnten viele Betroffene ihre Rechte kaum einfordern:
„Die Erfahrungen aus den Fällen, die wir kennen, zeigen eigentlich auch, dass diese Beschwerdewege nicht funktionieren. Dass dort, wo Gefangene sich beschweren, werden sie zusätzlich als Querulanten, als Nestbeschmutzer etc. behandelt und weiteren Schikanen ausgesetzt. Nur dann, wenn Gefangene sich über ihre Anwälte oder Anwältinnen versuchen zu wehren, gibt es überhaupt eine Chance.“
So sei es nicht verwunderlich, dass viele Ermittlungen erst eingeleitet werden, wenn die Staatsanwaltschaften zufällig auf Chatgruppen, Betroffene oder wie im Berliner Fall offen zur Schau getragene Tattoos stoßen.
Die Berliner Justizverwaltung hat nach dem Urteil gegen den Beamten der Jugendstrafanstalt im August 2020 die Justizvollzugsanstalten beauftragt, anonym über Vorfälle mit demokratiefeindlichen Tendenzen zu berichten. Bislang wurde nichts gemeldet, teilt die Senatsverwaltung mit.
Im Fall der fünf vor dem Amtsgericht Dresden angeklagten Beamten kamen die Strafermittlungsbehörden den mutmaßlichen Tätern nur auf die Schliche, weil einer von ihnen seinen Zugang zu Dienstgeheimnissen missbrauchte. Der Justizvollzugsbeamte Daniel Zabel, mittlerweile im Parteivorstand der sächsischen AfD, hatte den Haftbefehl eines ausländischen, letztlich unschuldigen Tatverdächtigen, an Rechtsextreme weitergeleitet. Diese wiederum veröffentlichten den Haftbefehl auf Facebook. Erst, als die Ermittler daraufhin Zabels Handy durchsuchten, kamen sie auf die Spur der mutmaßlichen rechten Straftäter in der JVA Dresden.

"Schutzraum für rechte Gesinnung"

Clara Bünger von der Linksfraktion im Bundestag fordert daher eine gründliche Untersuchung, ähnlich wie im Fall von Bundeswehr und Polizei.
„Neonazis und Rechtsextremisten, die verurteilt werden und daher im Gefängnissen landen, hören nicht auf Neonazis zu sein, sondern teilweise gibt es da sogar eine weitergehende Radikalisierung. Und wenn das dann auch noch mit Unterstützung von den Bediensteten im Justizvollzugsdienst passiert, ist das einfach ein dramatisches Ausmaß. Wenn man sich weigert, da hinzuschauen, dann ist auch klar, dass dieser Raum ein Schutzraum für rechte Gesinnung ist.“
Eine strukturelle Datenerhebung zu Rechtsextremismus in Justizvollzugsanstalten wird es wohl bis auf Weiteres nicht geben. Das Bundesinnenministerium teilt auf Anfrage mit, dass es aktuell nicht plant, die Justizvollzugsanstalten in den Lagebericht des Bundesamts für Verfassungsschutz miteinzubeziehen. Stattdessen betonen einige Landesjustizministerien ihren Fokus auf Prävention. So schreibt das sächsische Justizministerium auf Anfrage:
Unser Haus hat zahlreiche Maßnahmen mit dem Ziel ergriffen, Rechtsextremismus unter den Justizvollzugsbediensteten vorzubeugen und deren demokratische Grundhaltung zu stärken.“

Mehr auf Menschenbild und Demokratieverständnis achten

Dazu gehörten zum Beispiel, dass bei der Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber mehr auf das Menschenbild und Demokratieverständnis geachtet werden solle. Jens Borchert von der Hochschule Merseburg findet diesen Ansatz grundsätzlich gut. Einmal eingestellt, sei es meistens zu spät, um rechtsextreme Einstellungen von JVA-Beamten zu identifizieren.
„Wenn tatsächlich Rechtsextremisten reinkommen in die Anstalt und dort als Beamte tätig sind, und man die nicht vorher identifiziert, dann ist das ein Problem. Ich glaube, das dann später festzustellen, die werden sich tatsächlich in solchen Forschungen nicht zu zeigen geben, nicht zu erkennen geben. Die werden wahrscheinlich gar nicht bereit sein, irgendwelche Interviews mit externen Personen zu machen. Das ist dann wirklich schwierig.“

Gesteigertes Problembewusstsein für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

Insgesamt beobachtet Borchert zwar ein gesteigertes Problembewusstsein für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in den Ausbildungen. Doch der Bedarf sei größer als das Angebot.
„Man hat immer mal solche Angebote, bestimmte Landes- und Bundesprogramme gibt es, vor allem für die Inhaftierten, so ein bisschen inzwischen auch für die Bediensteten. Aber das ist nach meiner festen Überzeugung viel zu wenig, weil wir natürlich eine ganz große Anzahl, viele Tausend Menschen haben, die in Haft arbeiten, und ich denke, eine einmalige Fortbildung ist zu wenig und es geht auch nicht nur um Fortbildung. Es geht darum, die zu hören und ernst zunehmen mit ihren Sorgen und darauf zu achten, dass aus irgendwelchen Sorgen nicht so eine Einstellung wird, die wir dann als antisemitisch oder rechtsextrem bezeichnen.“
In allen Bundesländern müssen sich angehende JVA-Beamte zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen. Die meisten Bundesländer fordern darüber hinaus einen Auszug aus dem Bundeszentralregister an, in dem Verurteilungen gespeichert sind. So sind in Baden-Württemberg nach Angaben des dortigen Justizministeriums seit September 2020 66 Bewerberinnen und Bewerber für den Justizvollzugsdienst aussortiert worden.

Baden-Württemberg verlangt Zuverlässigkeitsüberprüfung

Einige Bundesländer haben zuletzt zusätzliche Voraussetzungen für den Job im Gefängnis eingeführt. Seit dem 1. Juni verlangt Baden-Württemberg von Bewerberinnen und Bewerbern für den mittleren Justizvollzugs- und Werksdienst eine sogenannte Zuverlässigkeitsüberprüfung. Konkret prüft das Landeskriminalamt die angehenden Beamtinnen und Beamten, ob Zweifel an deren Verfassungstreue vorliegen. In Mecklenburg-Vorpommern wird zusätzlich das Landesamt für Verfassungsschutz gefragt. In Brandenburg soll es laut Maßnahmenplan gegen Rechtsextremismus künftig einen „Verfassungstreue-Check“ für angehende JVA-Beamtinnen und -beamte geben.
Die Hamburger Justizbehörde siebt bei den Einstellungstests nach eigenen Angaben regelmäßig Bewerber aus, deren Demokratieverständnis nicht gefestigt genug sei. Wie viele, sagt sie nicht.
Silke Gary vom Aussteigerprogramm Kurswechsel meint, am Ende komme es darauf an, dass sich die Justizbehörden auf mehreren Ebenen mit dem Thema auseinandersetzten.
„Wir sind dann ein Puzzlestein in diesem Gesamtgefüge, sage ich mal, weil wir natürlich einen Tag da sind. Da kann man ein paar Anstöße setzen. Aber das muss natürlich durchgehend auch erfolgen.“
* In einer ersten Version war von einer Anklage wegen „schwerer Körperverletzung im Amt“ die Rede, tatsächlich wird den Angeklagten „gefährliche Körperverletzung im Amt“ vorgeworfen.