
Die "Reichsbürger" sind eine extremistische Gruppe in Deutschland, die die Existenz der Bundesrepublik und ihre Rechtsordnung leugnet. Ihre ablehnende Haltung gegenüber staatlichen Institutionen und Gesetzen führt oft zu Konflikten und rechtswidrigem Verhalten.
Was sind "Reichsbürger"?
Die Bewegung der selbsternannten Reichsbürger gibt es seit den 1980er-Jahren. Sie erkennt die Bundesrepublik Deutschland nicht als legitimen und souveränen Staat an, lehnt ihre demokratische Struktur ab und weigert sich daher auch, Steuern zu zahlen. Sie akzeptiert staatliche Vertreter nicht und lehnt sich teilweise gewaltsam gegen sie auf. Einige Anhänger behaupten, dass das Deutsche Kaiserreich fortbesteht und dessen Verfassung weiterhin Gültigkeit besitzt, andere glauben, im Geheimen seien die Alliierten noch immer Besatzer Deutschlands.
Bei den sogenannten Reichsbürgern handelt sich um eine heterogene Allianz von Einzelpersonen, darunter Adelige, Rechtsextreme, Ärzte, Unternehmer und anderer zum Teil konkurrierender Gruppierungen. Betrachtet man deren Zusammensetzung wird deutlich, dass das Milieu soziale Grenzen überschreitet. Die "Reichsbürger" sind nicht einheitlich organisiert und unterscheiden sich auch in ihren ideologischen Vorstellungen. Die „Selbstverwalter“ zum Beispiel gehen nicht vom Fortbestand des Deutschen Reichs aus.
In den vergangenen Jahren ist die "Reichsbürger"-Szene immer weiter angewachsen. Die Verfassungsschutzbehörden schätzen die Anzahl von „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern" 2022 auf 23.000 (2021: 21.000, 2020: 20.000). Fast ein Zehntel von ihnen gilt als gewaltbereit, fünf Prozent bezeichnet der Verfassungsschutz als Rechtsextremisten. Ein Schwerpunkt der Szene liegt in Süddeutschland. Jeder sechste Reichsbürger kommt aus Baden-Württemberg.
Ein Gegenstück zum deutschen „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Milieu sind die „Sovereign Citizens“ in den USA, eine teils bewaffnete, verschwörungsgläubige Bewegung, die der amerikanischen Regierung ihre Legitimität abspricht und mit pseudojuristischen Argumenten die Zahlung von Steuern oder Bußgeldern verweigert. Ähnliche Bewegungen des sogenannten Souveränismus gibt es auch in anderen Ländern.
Was ist das Ziel der "Reichsbürger"?
Schon lange kämpfen die selbsternannten Reichsbürger gegen die Rechtskraft von Bußgeld- oder Steuerbescheiden, auch mit Gewalt, zum Beispiel gegen Gerichtsvollzieher. Darüber hinaus gibt es fremdenfeindliche und rechtsextremistische Bestrebungen. Die „Reichsbewegung“ verschickte Drohbriefe an jüdische und muslimische Gemeinden.
Eine bundesweite Großrazzia am 7. Dezember 2022 enttarnte eine Gruppe aus dem Reichsbürger-Milieu, die Umsturzpläne verfolgte. Die verhafteten Mitglieder der Gruppe wollten ihren Kampf gegen die staatliche Ordnung mutmaßlich mit Gewalt führen, die Regierung übernehmen und eine andere Staatsform etablieren. Rund um den Frankfurter Geschäftsmann Prinz Reuß sollten eine neue Regierung und ein militärischer Flügel installiert werden.
Wie gefährlich sind die "Reichsbürger"?
Sicherheitsbehörden und -experten halten die Gruppierung, die auch gemeinsam mit Neonazis und Pegida-Anhängern auf Demonstrationen auftaucht und sich immer weiter vernetzt, für sehr gefährlich. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht stellt einen starken Anstieg sowohl bei Straf- als auch bei Gewalttaten fest, bei denen es sich überwiegend um Erpressungs- und Widerstandsdelikte handelt. Die Mehrheit dieser Taten wurde in Bayern verübt.

"Reichsbürger"-Szene bewaffnet und radikalisiert sich
In einigen Fällen schossen selbsternannte Reichsbürger auf Polizeibeamte. 2016 wurde ein Beamter getötet. In Folge einer großen Razzia im "Reichsbürger"-Milieu Anfang Dezember 2022 kam es am 22. März 2023 in sieben Bundesländern und der Schweiz zu weiteren Hausdurchsuchungen, bei denen in Reutlingen ein Polizist von einem "Reichsbürger" angeschossen wurde.
Dringend ernst zu nehmen ist die Gruppierung auch deshalb, weil sie mittlerweile Zugang zu zentralen Institutionen des Staates hat, wie etwa zur Bundeswehr und zum Bundestag. Auch aktive und ehemalige Bundeswehrsoldaten mit Spezialausbildung (KSK) und die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkemann gehörten zu den bei der Razzia im Dezember 2022 Beschuldigten.
In Bayern läuft ein Verfahren gegen mehrere Verdächtige aus der "Reichsbürger"-Szene. Sie wollten den Erkenntnissen der Polizei zufolge durch Sabotage von Strommasten einen großflächigen Stromausfall verursachen. Auch hier war das Ziel, einen politischen Umsturz herbeizuführen. Laut Agenturberichten wurde im Frühjahr 2023 in Bayern ein großes Waffenarsenal ausgehoben und ein verdächtigter Mann festgenommen. Der Mann sei der "Reichsbürger"-Szene zuzuordnen, erklärte die Generalstaatswaltschaft.

Am 17. Mai 2023 begann zudem vor dem Oberlandesgericht Koblenz der Prozess gegen fünf mutmaßliche Mitglieder der Gruppierung. Die Angeklagten sollen geplant haben, in Deutschland bürgerkriegsähnliche Zustände mittels Gewalt auszulösen. Ihre Pläne beinhalteten einen länger dauernden Stromausfall, die Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und die Absetzung der Regierung. Der Prozess läuft bis Januar 2024, die Beschuldigten befinden sich in Untersuchungshaft.
Auch auf Corona- und Montagdemonstrationen seien Umsturzfantasien regelmäßig Thema gewesen sowie in Reden der AfD, sagt der Innenminister von Thüringen, Georg Maier (SPD), im Deutschlandfunk (08.12.2022). Generalbundesanwalt Peter Frank warnt vor einer wachsenden Gewaltbereitschaft der Reichsbürgerszene in Deutschland.
Größere Teile dieser Szene äußerten ihre Gewaltfantasien gegen staatliche Repräsentanz freier als früher. Der Terrorismusexperte Peter R. Neumann spricht von einem „Sumpf“. Die Netzwerke der Reichsbürger seien gefährlich und oft bewaffnet.
Was ist bei der Großrazzia im Dezember 2022 herausgekommen?
Die Razzia im Dezember 2022 enttarnte eine größere Gruppe aus dem Milieu, die einen bewaffneten Umsturz geplant hatte. Die Zahl der Beschuldigten in dem Verfahren liegt mittlerweile bei 63 Personen. Sie werden verdächtigt, Unterstützer einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein. 24 Personen sind weiterhin in Untersuchungshaft, darunter auch drei sogenannte Gefährder, also Menschen, denen die Polizei schwere, politisch motivierte Gewalttaten zutraut. Zuletzt waren am 23. Mai 2023 drei Menschen festgenommen worden, die zur Gruppe gehören sollen.
Bei der Razzia 2022 waren auch rund 100 Waffen und Munition gefunden worden. Im Zentrum der Ermittlungen steht ein Mann, der sich selbst Heinrich XIII. Prinz Reuß nennt und die Regierung nach dem Umsturz führen sollte. Der adlige Immobilienunternehmer vertrat schon länger öffentlich Reichsbürger-Thesen. Die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, ebenfalls verhaftet, sollte Justizministerin werden.
Welche Konsequenzen zieht die Politik aus dem geplanten Umsturzversuch?
Weil deutlich erkennbar ist, dass die Reichsbürgerszene bemüht ist, Anhänger in der Bundeswehr und der Polizei zu gewinnen, hat Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang vorgeschlagen, grundsätzlich alle Bewerber für Sicherheitsbehörden vom Verfassungsschutz überprüfen zu lassen; die Gewerkschaft der Polizei begrüßt diesen Vorschlag. Aufgrund der wachsenden Gewaltbereitschaft der Reichsbürgerszene will Generalbundesanwalt Frank „robust“ gegen diese vorgehen. Seine Behörde zieht jetzt bundesweit Einzelfälle an sich.
Auch die Sicherheit von Politikern im Bundestag soll verbessert werden, dort gelten künftig schärfere Zugangsregeln. Ehemalige Abgeordnete erhalten nicht mehr automatisch einen lebenslangen Zugang zum Gebäude.
Viele der sogenannten Reichsbürger besitzen Waffenscheine, etwa, weil sie Jäger sind. Weil es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Waffenfunden in der Reichsbürgerszene kommt, will Bundesinnenministerin Nancy Faeser deswegen das Waffengesetz verschärfen.
Vorschlag zur Verschärfung des Waffenrechts stößt auf Kritik
Schützenverbände werfen Faeser allerdings „Aktionismus“ vor. Und auch die FDP hält ein schärferes Waffenrecht nicht für nötig und will bei der Waffenrechtsnovelle nicht mitziehen. Mögliche Kompromisslinien sind bislang nicht erkennbar. Fraktionsvize Konstantin Kuhle argumentiert, es fehle an Personal in den Waffenbehörden. Der SPD-Politiker Lars Castellucci betont, dass eine Einstufung als „Reichsbürger“ an den Verwaltungsgerichten aktuell nicht für einen Waffenentzug ausreiche. Hier müsse man nachschärfen.
Weil unter den mutmaßlichen Verschwörern, die nach der Razzia in Untersuchungshaft kamen, auch eine Ex-AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin aus Berlin sowie ein ehemaliger AfD-Stadtrat aus Sachsen waren, steht die Partei stärker unter Beobachtung. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt verwies darauf, dass die demokratiefeindliche Gesinnung einiger AfD-Abgeordneten schon früher zutage getreten sei.
Nadine Lindner, Holger Schmidt, Konrad Adenauer Stiftung, dpa, epd, og, pto, mle