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Extremismus
Von Systemgegnern und Stimmungsmachern

Hass auf Demokratie und Staat - dieses Motiv gilt Ermittlern als zentral für die mutmaßlich terroristische Vereinigung, die die staatliche Ordnung beseitigen wollte. Derlei Hass hört man auch auf montäglichen Demonstrationen - etwa in Thüringen.

Von Henry Bernhard | 07.12.2022
Teilnehmer einer Demonstration laufen durch die Erfurter Innenstadt. Nach Polizeiangaben folgten dem Aufruf der AfD Thüringen etwa 2.000 Personen
Protestkundgebung von Systemkritikern vor dem Thüringer Landtag in Erfurt (picture alliance / dpa / Bodo Schackow)
Festnahmen und Haftbefehle an zig Orten Deutschlands, in Österreich und Italien. Verbindungen in Verschwörungsgruppen der USA, Kontakte in die russische Föderation. Die Bundesanwaltschaft hat eine terroristische Vereinigung ausgehoben, die – so heißt es in der Erklärung – die bestehende staatliche Ordnung, auch durch Gewalteinsatz, in Deutschland überwinden wollte.
„Systemwechsel auf allen Ebenen“, das sei das Ziel der Gruppierung, so die Ermittler. Dieser Ruf nach „Systemwechsel“ taucht immer wieder auch auf Demonstrationen auf, die sich vordergründig mal gegen Corona-Maßnahmen, mal gegen Energiepreise richten.
Beispiel Erfurt: Mitte November dieses Jahres. Der Liedermacher soll die Zuhörer vor dem Erfurter Landtag auf die Redner einstimmen. Die werden in den kommenden zwei Stunden viel Widersprüchliches behaupten.

Die Parolen der Systemgegner

Knapp zusammengefasst, klingt das jeweils so: „Die ungebildete Regierung ist die dümmste der Welt. Die tyrannische Regierung ist klug und handelt bewusst so. Der Faschismus ist in Deutschland an der Regierung. Globalisten beherrschen Deutschland und die Welt. Wir Deutschen dürfen uns nicht spalten lassen. Die deutsche Regierung gehört vor Gericht und danach gerichtet. Wir brauchen keinen Staat für die innere Sicherheit. Wenn die Sozialsysteme kollabieren, herrschen auf den Straßen Mord und Totschlag.“

Solche oft sehr widersprüchlichen Aussagen werden alle vom Publikum bejubelt. Angemeldet wurde die Veranstaltung unter anderem von einem Rechtsextremisten aus Gera. Hauptredner sind der Mitbegründer der rechtsextremen Kleinstpartei „Freie Sachsen“, Martin Kohlmann, der Thüringer Landesvorsitzende und AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, der Pegida-Mitbegründer Lutz Bachmann und der in den vergangenen 20 Jahren von Linksaußen nach Rechtsaußen gewanderte Jürgen Elsässer. Sie alle stehen unter besonderer Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes. Man könnte meinen, sie und die knapp 2.000 Zuhörer – 10.000 hatten die Veranstalter angemeldet – wollen gegen hohe Energiepreise protestieren, gegen die immense Inflation.
„Aber, wofür gehen wir eigentlich auf die Straße“, fragt Martin Kohlmann, der zuvor anmoderiert wird als „unbeugsamer Streiter gegen den Unrechtsstaat“. „Also ich gehe zum Beispiel nicht für eine warme Wohnung auf die Straße. Die meisten von uns sind in der DDR groß geworden. Und die, die nicht über Platte gewohnt haben, die sind es gewöhnt, dass früh die Bude kalt war, bevor man den Ofen angeschmissen hat. Also, das bringt uns nicht um! Ich gehe auch nicht für günstigere Energie auf die Straße, zumindest nicht direkt, denn wir wissen uns zu helfen." Die jetzige Krise allerdings, so Kohlmann, sei hausgemacht.
„Zuerst vor paar Jahren die Asylkrise, dann den Corona-Schwachsinn und jetzt die tolle Energiekrise mit Kriegsgefahr, gleich im Doppelpack. Und daran kann man nur die Handschrift von bösen Leuten, die planmäßig vorgehen, erkennen. Wir brauchen nicht billigeres Gas, wir brauchen nicht bessere Gesundheitspolitik. Das alles ist die Folge, die automatisch eintreten wird, wenn wir wieder Freiheit und Selbstverantwortung zurückbekommen.“
Wie das geschehen soll, lässt Kohlmann etwas in der Schwebe. Einer ruft „Abwählen!“, ein anderer fordert „Abfall in den Abfall!“, ein dritter will die angeblich „verbrecherische“ und „tyrannische“ Regierung einfach: "Aufhängen!"
„Im Grunde sind die Themen austauschbar", sagt Stephan Kramer, der Präsident des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz. „2014 Euro-Krise, 2015 Flüchtlingskrise, danach dann die bekannten Krisen in Fortsetzung. Wir haben in der Tat in Sicherheitskreisen Wetten laufen gehabt, dass die „Klimadiktatur“, die Klimakrise sozusagen zunächst das Thema wird. Da kam uns dann der Ukraine-Krieg dazwischen. Es zeigt sehr deutlich und sehr anschaulich, wie flexibel die rechtsextremistische Szene unterwegs ist, um die emotional aufgeladene Stimmung anzufeuern und hinter sich zu vereinen.“
Stephan Kramer, Präsident des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz
Stephan Kramer, Präsident des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz (picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Bodo Schackow)

Misstrauen in politische Institutionen und Wissenschaft

Bei der Kundgebung vor dem Erfurter Landtag steht auch Katja W. bei den Zuhörern, eine freundlichen Frau Anfang 50. „Ich bin hier, weil ich seit zweieinhalb Jahren jeden Montag auf die Straße gehe und ich mit der Regierung und mit den Corona-Maßnahmen absolut nicht einverstanden bin.“ Sie trägt eine Ungarn-Fahne. „Ich gehe hart dafür arbeiten, um einmal im Jahr für drei Wochen in Urlaub zu fahren, und muss auch mein Kind unterstützen beim Studium oder sonst was. Ich kann mir nicht jeden Monat tausend Euro beiseitelegen. Und wir haben keine Rohstoffe, und wir sind darauf angewiesen. Und das mit dem Klimawandel und was da alles gemacht wird, das sind alles für mich Ablenkungsmanöver von dem Ganzen, was eigentlich hier die Regierung macht. Und Klimawandel gab es schon, seit es Klima gibt.“
Anders als viele andere ist die Demonstrantin bereit, mit Journalisten zu sprechen. „Wir hatten vorher schon eine Inflation, da haben wir es noch nicht so gemerkt. Es kommt nicht durch den Ukraine-Krieg, meines Erachtens. Das fing schon bei der Merkel an: Immer die Ausländer hier rein, immer mehr, die kommen. Hier wird nicht ans Volk gedacht. Es werden hier Gesetze heimlich hinterm Rücken festgelegt. Das erfährst du so nebenbei! Ich glaube auch nicht mehr, dass die Wahlen rechtmäßig sind. Wenn ich jetzt hier alle frage in meinem Bekanntenkreis: 'Wir haben alle keine Grünen gewählt.' Ich weiß nicht, wer sie gewählt, tut mir leid! Auf jeden Fall reicht es nicht, dass die Regierung weggeht. Es muss an sich das System geändert werden, wie es zum Beispiel in der Schweiz ist, wo Volksbefragungen gemacht werden. Ich weiß auch nicht, wer jetzt nachkommen sollte.“
Misstrauen in die politischen Institutionen, in die Wissenschaft, Unverständnis für Klima-Politik, die Sorge, das Erarbeitete zu verlieren und die Suche nach einem solidarischen Milieu – Äußerungen wie diese sind typisch für viele, die ihre Meinungen auf den Montags- und Samstagsdemonstrationen im Osten Deutschlands äußern. Demonstranten in Meiningen etwa, im Süden Thüringens, trugen selbstgemalte Transparente mit solchen Sätzen: „Maskenlüge, Impflüge, Gaslüge, Kriegslüge, Klimalüge, Systemlüge: Zusammen für Wahrheit und Gerechtigkeit“, „Kein Problem: Wir ändern das System“.

Der harte Kern seien Rechtsextremisten

Rechtsradikale, Ökos, Homöopathen, Friedensbewegte, Konservative, Selbständige mit Sorge um ihr Geschäft – sie alle laufen gemeinsam. Da marschiert die Reichskriegsflagge neben der Fahne mit der Friedenstaube.
Verfassungsschutz-Präsident Stephan Kramer sagt: Der harte Kern seien Rechtsextreme. Hinter denen aber liefen einerseits viele her, die es nicht so genau nehmen. Aber es seien auch andere Extremisten dabei, die sich nicht klar zuordnen ließen: „Die ganz klar den Staat und seine Institutionen delegitimieren wollen, die also einen Systemwechsel wollen, und zwar nicht durch friedliche Wahlen ersetzt mit anderen Politikerinnen und Politikern, sondern grundsätzlich das System eben verändern wollen, aber sich interessanterweise ideologisch weder im klaren Rechtsextremismus noch im klaren Linksextremismus verorten lassen. Das sind Feinde unserer Verfassung. Und insofern wurde der neue Phänomenbereich „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“, kurz VDS, erst einmal ins Leben gerufen.“
Als Verfassungsschutzpräsident Kramer diesen Phänomenbereich beschreibt, weiß die Öffentlichkeit noch nichts von den Ermittlungserfolgen der Bundesanwaltschaft, nichts von den Umsturzplänen einer terroristischen Vereinigung mit Drähten in die USA und nach Russland, mit Verzweigungen bis nach Österreich und Italien. Was Kramer im Deutschlandfunk-Interview schildert ist, dass der Verfassungsschutz ein komplexes Phänomen auch begrifflich packen muss: „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ also, kurz VDS.
Auch Sozialwissenschaftler versuchen es zu fassen. Caroline Amlinger und Oliver Nachtwey lehren an der Universität Basel. Die Soziologen haben die Protestbewegungen der letzten Jahre untersucht. Das radikale Freiheitsverständnis eine diese Bewegung, erläuterte Caroline Amlinger in einem Deutschlandfunk-Interview: „Uns ist aufgefallen, dass dort eine Vorstellung von sich selbst von der eigenen Freiheit, von der selbstbestimmten Lebensführung vorgetragen wird, die mit der Abwertung jeglicher Form von Beschränkung, auch von Sozialität einhergeht. Also Freiheit ist für diese Menschen eben ein ganz unbedingter, absoluter Wert, der eben nicht relational mit anderen Menschen ausgehandelt wird, sondern gegen andere vorgetragen wird. Und insofern ist dieser Freiheitsbegriff auch autoritär, weil er eben diejenigen abwehrt, die eben die individuellen Freiheitsrechte missachtet, einschränkt."

Widersprüchliche Forderungen

Der Sozialwissenschaftler David Begrich arbeitet für den Verein „Miteinander“ in Magdeburg. Seit Jahrzehnten beobachtet er Proteste und rechtsextreme Bewegungen im Osten. Er sieht eine gewisse Fluktuation– je nach Thema –, aber er beobachtet noch mehr Kontinuität. „Es ist sehr klar, dass seit dem Mobilisierungs-Zyklus 2015 sich eigentlich so etwas wie ein Protestkern derer herausgebildet haben, die zu unterschiedlichen Themen gesellschaftlicher Veränderung auf die Straße gehen, und das, was die Leute dort in Bruchstücken an Gesellschaftskonzepten dann artikulieren, das ist eine interessante Mischung zwischen autoritären Staatskonzepten und antimodernen Gesellschaftsbildern, die man vielleicht mit dem Satz zusammenfassen könnte: „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war?“
Die Widersprüchlichkeit der Forderungen sei durchaus normal für solche Proteste, meint Begrich. „Leute gehen ja nicht zu einer Demonstration oder zu einer Kundgebung, um dort an einer akademischen Vorlesung teilzunehmen. Das ist ja so nicht. Es geht auch nicht um Meinungsaustausch im klassischen Sinne, sondern es geht um die Artikulation einer Stimmung. Und wer auf der Klaviatur dieser Stimmungslage spielt, der hat die Leute!“
Wie zum Beispiel ein Redner auf einer Kundgebung in Meiningen. „Es ist mir bewusst, dass die Unvorstellbarkeit der Lügen, der Verbrechen, der Größenwahn der Welt- und Staatseliten und deren korrupten Verflechtungen viele abhält, die Wahrheit zu erkennen. Denn es ist ja fast unbegreiflich, was hier abgeht. Wer nicht auf die Straße geht und die Augen vor der Wahrheit und den (Wort im Audio unverständlich, Anm. d. Red.) verschließt, macht sich mitschuldig.“
David Begrich: „Das ist eine ein Mechanismus, den wir schon bei den Corona-Protesten auch gesehen haben, nämlich, dass sich die Protestakteure aus ganz unterschiedlichen, auch einander widersprechenden, ideologischen Lagern Versatzstücke nehmen und sie benutzen für die Herleitung ihrer Welterklärungsmodelle. Also ein bisschen Antikapitalismus, ein bisschen Esoterik, ein bisschen Rechtsextremismus, ein bisschen Anti-Establishment, Ressentiments …, also von allem ein wenig. Es geht immer darum, so etwas wie eine emotionale Plausibilität zu schaffen. Und emotionale Plausibilitäten richten sich eben nicht nach intellektueller Redlichkeit.“

Von ganz links nach ganz rechts

Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke am 3. Oktober in Gera. „Es geht nicht um ein oder zwei Grad weniger Raumtemperatur; es geht nicht um kälteres Wasser in unseren Schwimmhallen. Es geht um nichts anderes als um das Sterben Deutschlands.“ Das Beispiel zeigt: Es geht weniger um die konkreten Gas- und Strompreise. Es geht um Grundsätzliches. In der Wortwahl der Extremisten also um „das System“. Um die „Gaslüge“. Um die Verantwortung für den Krieg in der Ukraine und die Russland-Sanktionen.
Wer die Verantwortung trägt, scheint Konsens zu sein – bei Demonstrationen von Rechts und Links. Russland, Putin jedenfalls kommen nicht in Frage. Das verkündet vielerorts auch Jürgen Elsässer, Chefherausgeber des Magazins „Compact“, das der Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ einstuft hat. Bis vor 20 Jahren stand Elsässer weit links, schrieb für „Arbeiterkampf“, „Konkret“ und „Junge Welt“. Dann wechselte er die Seiten. Geblieben ist der Antiamerikanismus.
14.02.2018, Sachsen, Pirna: Jörg Urban (l-r), Vorsitzender der AfD in Sachsen, Andreas Kalbitz, Vorsitzender der AfD in Brandenburg, André Poggenburg, Vorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt, Björn Höcke, Vorsitzender der AfD in Thüringen, und Jürgen Elsässer, Chefredakteur des Compact-Magazins, stehen zu Beginn des politischen Aschermittwoch der sächsischen AfD nebeneinander
AfD-Politiker Björn Höcke (Zweiter von rechts) neben Jürgen Elsässer (ganz rechts) 2018 bei einem gemeinsamen Auftritt in Sachsen (picture alliance / Sebastian Kahnert / dpa / Sebastian Kahnert)
„Der amerikanische Imperialismus ist der größte Feind der Menschheit und des deutschen Volkes. Von Ramstein aus werden die Bombengeschwader an die Ostfront kommandiert. Und weil wir das alles auch noch bezahlen müssen, haben sie uns zum Dank auch noch die Nord Stream Pipelines gesprengt. Und die gute Nachricht ist: Ami, go home! Links und Rechts gehören der Vergangenheit an. Wir brauchen die Einheit des ganzen Volkes.“
Und AfD-Landeschef Höcke ergänzt: „Die US-amerikanische Regierung hat der deutschen Bundesregierung den wirtschaftlichen Selbstmord befohlen; und Scholz und Co. führen diesen Befehl aus.“ "Friede - Freundschaft - Solidarität" – so rief die einzige DDR-Jugendorganisation FDJ in den 1970er-Jahren. Heute heißt es „Frieden, Freiheit Souveränität“ und immer noch – oder wieder – „Ami, go home“.
Gibt es eine Verbindungslinie? Zumindest, was den Antiamerikanismus betrifft, meint Joachim Klose, Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sachsen. „Das macht natürlich etwas! Man konnte schauen nach dem 24. Februar, wenn man dann Russland kritisierte, kann man immer, 'Ja aber die USA!', weil man diese ganzen Feindbilder gegen die USA und gegen die Verteidiger der freiheitlichen Demokratie subkutan noch gar nicht richtig aufgearbeitet hatte. Man hat sich damit noch nicht beschäftigt. Man hat auch keine Notwendigkeit gesehen. Wir dachten immer, nach ´89 und 90 werden wir uns in den praktischen Dingen beschäftigen: Das andere wird schon nachkommen. Die Leute werden schon überzeugt sein dann davon, dass das System, indem wir jetzt leben, das bessere System ist. Aber man muss Freiheit ergreifen können, und viele konnten teilweise die Freiheit nicht mehr ergreifen.“

Ein Resonanzraum auch für Gregor Gysi?

Aber nicht nur Rechtspopulisten und Rechtsextreme relativieren die russischen Verbrechen in der Ukraine. Der Spitzenpolitiker der Linken, Gregor Gysi, sagte auf einer Kundgebung gegen hohe Energiepreise im thüringischen Suhl: „Begonnen mit den Völkerrechtsverletzungen nach dem Kalten Krieg hat allerdings der Westen. Es fängt an mit dem völkerrechtswidrigen Krieg der Nato gegen Serbien. Es ging weiter mit dem Krieg der USA und anderer Staaten gegen den Irak.“
David Begrich sieht Gysi hier skeptisch: „Die entscheidende Frage ist: Welchen Resonanzraum schließt er damit auf? Das muss er sich fragen lassen, also ob er damit auch sozusagen auch diesen Antiamerikanismus und die antideutsche Anti-Establishment-Ressentiments anspielt.“
Auffällig ist: Das Publikum überschneidet sich zumindest in Teilen mit jenem der von rechts initiierten Montagsdemonstrationen, wie einer der Anwesenden berichtet. „Also, ich gehe zu Spaziergängen, ja, gehe ich regelmäßig. Also, ich würde das jetzt nicht so stehen lassen, dass die Rechten die Initiatoren wären, um diese Spaziergänge zu organisieren. Wir haben natürlich das Problem der höheren Lebenshaltungskosten mit den Sanktionen, die die Bundesregierung in Richtung Osten geschickt hat. Die treffen uns natürlich auch sehr.“
Bei vielen Montagsdemonstrationen wehen in Ergänzung zu den „Ami, go home“-Sprechchören Russland-Fahnen, vor allem im Osten Deutschlands. Fraglich ist, was sie ausdrücken wollen. Der Sozialwissenschaftler David Begrich: „Natürlich interpretieren viele Leute die russische Kriegspolitik vor dem Hintergrund dessen, wie sie die westliche Politik interpretieren. Und wenn sie mit der westlichen Politik die Erfahrung gemacht haben mangelnder Repräsentanz oder biografischer Entwertung oder Demokratie-Distanz oder Demokratie-Abwertung, dann gibt es auch so etwas wie eine Bereitschaft, sich Gesellschaftsmodellen zuzuwenden, von denen eigentlich klar ist, dass man mit denen nicht besser fährt, nämlich diktatorischen Gesellschaftsmodellen. Also, Putin  als der starke Mann, der das irgendwie regelt.“

Rechte Rhetorik gegen "Regenbogen-Imperium"

So propagiert der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke immer wieder den Kampf des von Tradition und Werten beseelten Ostens gegen den seelenlosen Westen. „Das neue Regenbogen-Imperium, das seine Fahnen auch in unserem Land selbstbewusst vor den Regierungsgebäuden und Parlamenten, vor unseren Kindergärten und Supermärkten hochgezogen hat, dieses Regenbogen-Imperium ist es, das Mann und Frau den Kampf angesagt hat, dem nichts mehr heilig ist, nicht einmal unsere Kinder. Ja, liebe Freunde, sie wollen die Seelen unserer Kinder!“
Begrich: „Also nehmen wir doch einfach mal den Umgang mit gesellschaftlichen Minderheiten. Da gibt es in Ostdeutschland ein großes Unbehagen hinsichtlich der Frage von deren Partizipations- und Repräsentations-Begehren, also es wird gesagt: Minderheiten können ja Minderheiten sein, aber sie sollen eigentlich gesellschaftlich unsichtbar sein. Also die gesellschaftliche Sichtbarkeit wird als Zumutung empfunden. Und das korrespondiert in gewisser Weise natürlich mit den Zuständen in autoritären Staaten, in denen es ja durchaus Minderheiten auch gibt, die aber faktisch durch Repression unsichtbar gemacht werden."
Begrich plädiert für einen gelassenen, aber aufmerksamen Umgang mit den Demonstranten. Wenn die Gasrechnungen erst auf dem Tisch lägen, könnten die Zahlen schnell wieder anschwellen.
Er sieht auch eine Brücke zwischen den Demonstrationen und der terroristischen Vereinigung mit Umsturzphantasien, die heute ausgehoben wurde: die „Reichsbürger“: „Das heißt zumindest, dass wir bei diesen Demonstrationen immer auch im Hinterkopf behalten müssen, dass sie katalytische Orte der Radikalisierung sein können. Also Leute, die zu diesen Demonstrationen gehen, radikalisieren sich natürlich nicht automatisch. Aber dennoch sind diese Demonstrationen Orte, an denen Vernetzung stattfindet, an denen Ideologieproduktion und Ideologieweitergabe stattfindet. Nein, es gibt keinen Automatismus, nach dem aus Demonstranten Gewalttäter werden. Aber trotzdem bieten diese Demonstrationen so eine Art Resonanzraum, aus denen Gewalt entstehen kann.“