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Reparationskosten für Griechenland
"Diese Menschen haben nichts bekommen bisher"

In der Diskussion um Entschädigungszahlungen an Griechenland hat sich Linken-Politiker Gregor Gysi gegen Reparationszahlungen für Kriegsschäden ausgesprochen. Er forderte jedoch im Dlf, dass Opfer des Naziregimes entschädigt werden. "Für solche Entschädigungen haben wir auch in anderen Fällen Lösungen gefunden."

Gregor Gysi im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Der Linken-Politiker Gregor Gysi spricht auf einer Demonstration in München
    Gregor Gysi: Man muss zwischen Reparationszahlungen und Entschädigungen unterscheiden (dpa / ZUMA Wire / Sachelle Babbar)
    Der Vorsitzende der europäischen Linken, Gregor Gysi, begleitet aktuell die Delegation von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Griechenland. Gysi plädierte im Dlf dafür, gemeinsam mit den Griechen eine Lösung für die Forderung nach Kriegsentschädigung zu finden. Man müsse dabei klar zwischen Reparationszahlungen und Entschädigungen für einzelne Mensche, die Opfer des Nazi-Regimes wurden, unterscheiden. Ein Sonderfall sei der Streit um einen Zwangskredit, den Deutschland während der NS-Zeit von Griechenland bekommen hat - und der nie ganz zurückgezahlt wurde, sagte Gysi im Dlf.

    Dirk-Oliver Heckmann: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält sich derzeit zum Staatsbesuch in Griechenland auf. Gestern gedachte er in einem ehemaligen Konzentrationslager der Opfer der Nazis. Viele Griechen fielen ja Gräueltaten wie Massenerschießungen zum Opfer. Allein 60 bis 70.000 Griechen jüdischen Glaubens wurden ermordet. Seit Jahrzehnten schon fordert Athen eine Entschädigung von den Deutschen. Ein aktuelles Gutachten im Auftrag der Regierungspartei Syriza hat die Forderung jetzt noch mal bekräftigt und erhöht. Es geht um einen dreistelligen Milliarden-Betrag. Deutschland aber lehnt Reparationszahlungen weiter ab, mit dem Hinweis auf ein Abkommen von 1960, das sämtliche Forderungen abgeräumt habe, und auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag, mit dem die Wiedervereinigung besiegelt worden ist. – Am Telefon begrüße ich jetzt Gregor Gysi, Präsident der Europäischen Linken. Außerdem ist er Vorsitzender der Deutsch-Griechischen Parlamentariergruppe und er ist Mitglied der Reisedelegation des Bundespräsidenten. Deswegen erreichen wir ihn jetzt in Athen. Schönen guten Morgen, Herr Gysi.
    Gregor Gysi: Einen schönen guten Morgen.
    Heckmann: Herr Gysi, ein Kollege meinte gestern zu mir, man könne auch argumentieren, das Ganze ist jetzt über 70 Jahre her, jetzt ist auch mal gut. Können Sie das nachvollziehen?
    Gysi: Ja, das kann ich sehr wohl nachvollziehen, weil das Problem der Reparationen - das sind ja eigentlich Kriegsschäden; das ist ja noch was anderes – besteht darin, dass man dafür einen Friedensvertrag benötigt, in dem das geregelt wurde. Wenn auch überzogen, so zum Beispiel nach dem Ersten Weltkrieg im Vertrag von Versailles. Einen solchen Friedensvertrag gibt es nicht. Das lag natürlich auch an der Spaltung Deutschlands, und Zwei plus Vier soll ja den Friedensvertrag ersetzen. Aber man muss die Fälle unterscheiden. Neben den Kriegsschäden gibt es die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und da ist ja uns in anderen Ländern auch etwas eingefallen. Da sollten wir wirklich überlegen, die wenigen, die noch leben, die im KZ waren, aber auch die Angehörigen von denen, die ermordet worden sind. Wir haben ja zum Beispiel noch in den letzten Jahren für die Kriegsgefangenen, die in Deutschland gearbeitet haben, eine Lösung gefunden. Warum sollen wir hier keine Lösung finden.
    Heckmann: Viele werden sagen, Herr Gysi, die Deutschen haben genug gezahlt.
    Gysi: Ja, das kann schon sein; bloß nicht an Griechenland. Diese konkreten Menschen, die ich jetzt benenne, haben nichts bekommen bisher. Das ist das Problem. Und da müssen wir uns schon Gedanken machen. Wenn sie schon was bekommen hätten und unterschrieben hätten, dass es das ist, dann hätte die Bundesregierung recht, dann gibt es da weiter nichts. Ich gebe ihr ja sogar recht, was die Reparationen betrifft, aber nicht, was diese Fälle betrifft. – Dann gibt es noch einen dritten Punkt.
    Heckmann: Dazu kommen wir gleich, Herr Gysi. Ich weiß schon, worauf Sie hinaus wollen. Ich möchte jetzt noch mal auf die Argumentation der Bundesregierung zurückkommen. Die sagt ja schon seit Jahren, völkerrechtlich gibt es da einfach keine Ansprüche. Es gibt diesen völkerrechtlichen Vertrag von 1960 und damit wurden alle Reparationszahlungen ausgeschlossen. Pacta sunt servanda, heißt es so oft. Da pochen wir ja immer drauf, auch zum Beispiel gegenüber US-Präsident Trump. Für Deutschland soll das nicht gelten?
    Gysi: Doch, das soll gelten. Die Frage ist, ob das Reparationsleistungen sind. Ich sage noch mal: Im engeren Sinne sind Reparationsleistungen Bezahlungen für Kriegsschäden, nicht für Menschlichkeitsverbrechen. Das ist ein großer Unterschied. Darüber müssen wir uns Gedanken machen. Zum Beispiel auch nach dem Ersten Weltkrieg ging es ja nur um die Kriegsschäden, die ausgeglichen wurden, wenn auch überhöht, was die Forderung und die Einschränkung von Rechten Deutschlands betraf, was ja dann wieder die Nazis genutzt haben, um eine Stimmung zu schüren.
    "Wir haben auch in anderen Fällen Lösungen gefunden"
    Heckmann: Aber, Herr Gysi, es sind ja Zahlungen an Griechenland gegangen, die dann an die Opfer hätten weitergereicht werden sollen.
    Gysi: Wenn es Reparationszahlungen waren, dann waren es Zahlungen, die für die Kriegsschäden geeignet waren. Dann sind die beim Staat geblieben. Das muss schon ausdrücklich geregelt sein im Vertrag. Du kannst Mittel ja nicht umwidmen. Wenn ich Reparationen bekomme für Kriegsschäden, dann habe ich das zu verwenden für den Wiederaufbau von Städten etc., kann ich alles machen.
    Dann darf man immer nicht vergessen: Griechenland hat auch immer Vorbehalte erklärt. Für 1960 weiß ich es jetzt nicht, aber ich weiß es zum Beispiel für 1952 beim Schuldenabkommen in London. Da hat es schon wieder Vorbehalte erklärt. Aber wie gesagt, die Schwierigkeit besteht darin zu unterscheiden zwischen Reparation. Da stimme ich Ihnen zu, Pacta sunt servanda, ausgeschlossen. Aber was die Menschlichkeitsverbrechen betrifft, da müssen wir, glaube ich, noch mal neu darüber nachdenken, und wir haben jetzt auch in anderen Fällen Lösungen gefunden. Also können wir doch auch hier eine Lösung finden.
    Heckmann: Bundespräsident Steinmeier sieht das offenbar ein bisschen anders. Der hat Bezug genommen auf ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs:
    O-Ton Frank-Walter Steinmeier: "…, der solche Wiedergutmachungsleistungen nicht zugelassen hat, und insofern, glaube ich, können wir wirklich mit einigem Recht sagen, dass es keine Wiedereröffnung der Wiedergutmachungsdebatte geben wird."
    "Noch gab es nie eine Klage eines Staates"
    Heckmann: Wir können mit einigem Recht sagen, dass es keine Wiedereröffnung der Wiedergutmachungsdebatte geben wird. Was sagen Sie zu dieser Stellungnahme?
    Gysi: Na ja, das waren einzelne Personen, die geklagt haben und die keinen Erfolg hatten. Es hat aber kein Staat geklagt. Insofern ist das ein kleiner Unterschied. Das heißt, eine einzelne Griechin oder ein einzelner Grieche kann jetzt nicht erfolgreich klagen. Da hat der Bundespräsident recht. Das ist ausgeschlossen worden. Noch gab es aber nie eine Klage eines Staates und ich weiß nicht, ob wir es wirklich darauf ankommen lassen sollen.
    Heckmann: Meine Frage zielte ein bisschen auf was anderes ab, Herr Gysi, und zwar auf die Formulierung, dass der Vertreter, der Präsident der Bundesrepublik festlegt, es gibt keine Wiedereröffnung der Wiedergutmachungsdebatte. Kann man das so machen? Ist das guter Stil?
    Gysi: Ich würde mal sagen, der Bundespräsident macht hier einen sehr guten Eindruck insgesamt. Er gibt sich auch große Mühe. Und wahrscheinlich hat er das ja auch mit der Bundesregierung, der Kanzlerin abgesprochen, sich so zu verhalten. Ansonsten muss das natürlich die Regierung entscheiden, da haben Sie schon recht.
    Heckmann: Was denken Sie denn, was steckt als Motiv dahinter, dass sich Berlin da so hartleibig in der Frage bisher zeigt?
    Gysi: Na ja, die Sorge besteht darin, dass noch andere Länder kommen - das ist ja klar – und dass es dann immer teurer wird.
    "In kleiner Runde darüber nachdenken"
    Heckmann: Und die Sorge ist berechtigt.
    Gysi: Die ist nicht unberechtigt, wollte ich gerade sagen. Da steckt schon was drin. Deshalb sage ich ja, wir müssen darüber nachdenken und Wege finden, vielleicht auch Wege, die verhindern, dass man das nutzen kann für andere Forderungen etc. Vielleicht sollte man mal in einer kleinen Runde darüber nachdenken und sprechen, wie man es juristisch so machen kann, dass diese Folge, die befürchtet wird, möglichst nicht eintritt.
    "Das Darlehen sollten wir zurückzahlen"
    Heckmann: Die Nazis damals hatten ja den Griechen auch noch einen sogenannten Zwangskredit aufs Auge gedrückt. Das heißt, Griechenland musste Deutschland für die Besatzung auch noch einen hohen Betrag bezahlen, der nie zurückgezahlt worden ist. Was ist damit?
    Gysi: Das Besondere ist, dass das Nazi-Regime selbst mit der Rückzahlung begonnen hat. Zweieinhalb Raten wurden zurückgezahlt. Das heißt, damit hat das Regime zum Ausdruck gebracht, dass es selbst davon ausgeht, dass es sich um einen Kredit handelt. Da wir dann zwei deutsche Staaten hatten, haben die sich natürlich immer gegenseitig aufeinander gestützt und nichts weiter zurückgezahlt, und das geht nicht. Ein Darlehen ist etwas völlig anderes als Reparation, auch als Entschädigung für Menschlichkeitsverbrechen, und ich finde, dass die Bundesregierung anerkennen sollte, dass wir das Darlehen zurückzahlen.
    Dann berechnet allerdings die griechische Regierung Zinsen in sehr beachtlicher Höhe. Darüber wiederum muss man verhandeln. Das habe ich Ihnen auch gesagt. Wenn ich jetzt Kanzler wäre, würde ich sagen, die Rückzahlung des Darlehens erkenne ich an, aber über die Zinsen müssen wir verhandeln. Die können natürlich nicht so immens sein, wie das sich man hier vorstellt.
    "An der Krise in Griechenland verdienen wir die ganze Zeit"
    Heckmann: Herr Gysi, die Bundesregierung, der deutsche Staat hat Milliarden an Wiedergutmachungszahlungen gezahlt nach dem Zweiten Weltkrieg. Jetzt gibt es einen deutsch-griechischen Zukunftsfonds und ein deutsch-griechisches Jugendwerk nach französischem und polnischem Vorbild. Ist es nicht viel besser, in die Zukunft zu schauen, statt in die Vergangenheit?
    Gysi: Auf jeden Fall ist das besser. Bloß die Vergangenheit werden wir nicht los. So einfach ist es. Und da ich sie nicht wirklich los werden will im Sinne, dass wir sie nicht aufarbeiten, aber in dem Sinne, dass die Forderungen aufhören, würde ich nach einer Lösung suchen, und gerade mit Griechenland. Wissen Sie, viele in unserer Bevölkerung denken, wir haben jetzt in der Krise so viel an Griechenland bezahlt. Wir haben nicht einen einzigen Euro bezahlt. Da aber die Griechen ja gezwungen sind, mit Zinsen zurückzuzahlen, kriegen wir immer unseren Anteil an den Zinsen. Das macht netto über zwei Milliarden aus, die wir bekommen haben jetzt von Griechenland in den letzten Jahren. Das einzig Unangenehme für uns tritt nur dann ein, wenn Griechenland in Insolvenz geht. Dann haften wir für alle Schulden mit 17 Prozent. Das wäre natürlich furchtbar. Aber Griechenland wird ja nicht in Insolvenz gehen und insofern verdienen wir an der Krise noch die ganze Zeit.
    Was mir leid tut ist, dass das so wenig wissen. Alle denken, wir schicken hier die ganze Zeit Geld her, und das stimmt einfach nicht.
    Heckmann: Wobei man dazu sagen muss, dass die Rückzahlungen ja erst in einigen Jahrzehnten beginnen.
    Gysi: Ja! Aber trotzdem: die Zinszahlungen erfolgen ja jetzt schon und über die Europäische Zentralbank werden die verteilt. Die Bundesregierung hat auf unsere Frage hin mitgeteilt, dass wir brutto eingenommen haben über drei Milliarden, netto über zwei Milliarden. Das ist doch nicht schlecht! Das heißt, wir haben an der Krise auch noch verdient. Und im Übrigen: Als die Banken in Griechenland gerettet wurden, darf man ja nicht vergessen, da gab es auch beachtliches französisches und deutsches Eigentum daran. Das haben wir gleich mit gerettet.
    Ich bin da immer gegen so eine einseitige Darstellung, und wissen Sie, ich möchte dieses Problem mit Griechenland, die auch immer Vorbehalte diesbezüglich erklärt haben – und hier sind wirklich grausame Verbrechen begangen worden -, dass wir das einmal beraten und eine Lösung finden und dann sagen können, jetzt ist dieses Problem abgeräumt – Punkt. Das wäre meines Erachtens ganz wichtig.
    Heckmann: Glauben Sie, dass die Bundesregierung sich da bewegen wird?
    Gysi: Ich weiß nicht. Die Union hat so gar keine Lust zurzeit. Im Augenblick glaube ich es nicht. Aber irgendwann wird es kommen.
    Heckmann: Der Präsident der Europäischen Linken, Gregor Gysi, war das live hier im Deutschlandfunk. Wir haben ihn in Athen erreicht. Er begleitet den Bundespräsidenten auf seiner Griechenland-Reise. Herr Gysi, danke Ihnen für Ihre Zeit!
    Gysi: Bitteschön! Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.