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Wie Russland mit Energie weiter Milliarden einnimmt

30 Prozent weniger Erdgas, aber kein Rückgang bei Öl und Kohle: Europa zahlt Russland weiter Milliardensummen für Energie. Und europäische Tanker verschiffen nun auch noch russisches Rohöl nach Indien. Zudem werden durch hastig angestoßene Gas-Projekte auch die Klimaschutzziele weiter gefährdet.

Von Volker Mrasek |
Russlands Präsident Wladimir Putin
Russlands Präsident Wladimir Putin kann weiter mit Milliarden-Einnahmen aus Europa rechnen (picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Mikhail Klimentyev)
Geschätzte 93 Milliarden Euro - so viel Geld haben Energieexporte in Russlands Kassen gespült, während der ersten 100 Tage des Ukraine-Krieges. Das ist fast eine Milliarde Euro pro Tag. Der Großteil der Öl-, Gas- und Kohlelieferungen ging offenbar nach Europa: knapp über 60 Prozent.

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Diese Zahlen hat Lauri Myllyvirta zusammengetragen, Umweltökonom im Zentrum für Energie- und Luftforschung in Helsinki, einer nach eigenen Angaben unabhängigen Forschungsorganisation: “Europa hat in den ersten 100 Tagen der Invasion - trotz aller Ausstiegsdiskussionen - schätzungsweise 57 Milliarden Euro an Russland überwiesen.“

Wert der Energielieferungen aus Russland ging kaum zurück

Laut Myllyvirta importieren die EU-Staaten noch immer genauso viel Rohöl und Kohle aus Russland wie zu Beginn des Krieges. Spürbar gesunken sei dagegen die Einfuhr von Erdgas, um rund 30 Prozent. Das liege an Ländern wie Polen, Litauen, Estland, Schweden und Finnland. Sie alle hätten russische Energieimporte inzwischen um die Hälfte oder mehr reduziert: “Deutschland hat den Import von Öl etwas verringert – den von Erdgas und Kohle leider nicht. Der Wert der Energielieferungen aus Russland ging deshalb kaum zurück – nur um rund sieben Prozent. Deutschland bleibt auch weiterhin der größte Importeur russischer fossiler Brennstoffe in Europa, und er ist der zweitgrößte weltweit, übertroffen nur von China.“
An die ganzen Zahlen zu kommen war gar nicht so leicht und mit Detektivarbeit verbunden. Die Erdgas-Flüsse werden zwar laufend im Pipeline-Netz protokolliert. Doch Erdöl und Kohle kommen überwiegend per Schiff, und es fehlen Stellen, die darüber genau Buch führen. In der kommerziellen Schifffahrt gibt es aber das „automatische Identifikationssystem“. Schiffe funken regelmäßig ihre Kennung und ihre Positionen. Diese Angaben fließen in eine riesige Datenbank.
Lauri Myllyvirta durchforstete sie tagelang auf der Suche nach Öl-Tankern und Kohlefrachtern mit russischen Starthäfen. Sein Blick fiel dabei immer mehr auf Indien: “Wir haben entdeckt, dass seit Beginn der Invasion sechs Millionen Tonnen Rohöl von Russland nach Indien verschifft wurden. Das sind ungefähr 45 große Öltanker. Vor dem Krieg bezog Indien so gut wie gar kein Öl aus Russland. Im Mai dagegen war es knapp ein Fünftel der gesamten russischen Exporte. Und das ist definitiv auch jetzt noch so.“
Viele Länder scheuten sich momentan, russisches Rohöl zu kaufen, so Myllyvirta. Sein Preis auf dem Weltmarkt sei daher stark gefallen. Indien bewog das offenbar dazu zuzuschlagen - trotz des russischen Angriffs auf die Ukraine. Das Pikante an der Sache: “Es sind fast ausschließlich europäische Tanker, die das Rohöl von Russland nach Indien schaffen. Mehr als 60 Prozent werden von griechischen Schiffen transportiert und fast der ganze Rest von norwegischen und britischen. Die EU konnte sich bisher nicht darauf einigen, hier einzuschreiten. Würde sie das tun und würden europäische Tanker kein russisches Öl mehr in Drittländer liefern, gingen Russlands Einnahmen drastisch zurück.“

Die Folgen für den Klimaschutz

Europa ist vor allem von russischem Erdgas abhängig. Aus Angst vor Engpässen soll die Versorgung jetzt anderweitig gesichert werden – etwa durch eine gesteigerte Produktion von Flüssigerdgas in Katar oder den USA. Künftig soll Erdgas auch aus Afrika kommen. Dafür müssen allerdings alte Förderfelder reaktiviert oder neue erschlossen werden. Auch Länder wie Kanada und Japan fahren fossile Energieträger wieder hoch.
Das alles ist aber überhastet und schadet dem Klimaschutz. So jedenfalls eine Analyse, die jetzt auf der UN-Klimakonferenz in Bonn vorgestellt wurde. Dazu die Energiökonomin Mia Moisio aus dem New Climate Institute in Berlin: “Es gibt wirklich einen Goldrausch im Erdgassektor. Fast alle Länder haben Ausbaupläne. Diese Projekte nehmen aber Jahre in Anspruch und lösen überhaupt nicht das kurzfristige Versorgungsproblem, das wir haben. Stattdessen bescheren sie uns ein weiteres Jahrzehnt mit hohen CO2-Emissionen. Wenn alle diese Pläne umgesetzt werden, ist das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens nicht mehr zu erreichen.“
Viel sinnvoller seien Maßnahmen, durch die Energie eingespart oder effizienter genutzt wird. Das Thema müsse dringend auf die politische Agenda, sagt auch die Internationale Energieagentur. Sie hat ausgerechnet: Weltweit ließe sich so viel Energie einsparen, wie ganz China verbraucht.