Dienstag, 16. April 2024

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EU-Teilembargo auf Erdöl
Melnyk (Botschafter der Ukraine): "Alle Geldströme für Putin trockenlegen"

Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Berlin, hat das sechste Sanktionspaket der EU gegen Russland zwar begrüßt. Gleichzeitig gehe es aber nicht weit genug, da Putin durch das Teilembargo auf Erdöl weiterhin viel Geld einnehme, sagte er im Dlf. Er forderte außerdem, das Gasembargo schneller einzuführen als geplant.

Andrij Melnyk im Gespräch mit Moritz Küpper | 31.05.2022
Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland
Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland (picture alliance/dpa | Michael Kappeler)
Die Lage im Osten der Ukraine bleibt angespannt. Dort baut die russische Armee offenbar immer mehr Druck auf die ukrainischen Verteidiger auf. "Da werden Städte und Dörfer nicht nur bombardiert, einfach in Schutt und Asche gelegt, platt gemacht", sagte der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, im Dlf. Gesamte Gegenden würden menschenleer gemacht. "Gleichzeitig bekommt Putin neuen Appetit auf weitere Feldzüge, denn er hat wieder seine Kraft gespürt, jetzt im Donbass."
Das hatte zuvor auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft bestätigt. Im Donbass sei nun die "maximale Kampfkraft der russischen Armee" versammelt, sagte er. Russische Truppen drangen demnach bereits nach Sjewjerodonezk vor. Weil die Lage im Osten des Landes "so brenzlig und so gefährlich" sei, hofft Melnyk, dass die Bundesregierung grünes Licht für weitere Anträge gibt - nämlich für 100 Marder-Schützenpanzer sowie 88 Leopard 1-Panzer.


In derselben Nacht einigte sich die EU auf einen Kompromiss beim Ölembargo. Weitere Sanktionen gegen Russland sowie Finanzhilfen für die Ukraine sollen kommen.

Im Deutschlandfunk begrüßte Melnyk zwar das sechste Sanktionspaket der EU gegen Russland, bemängelte zugleich, der erzielte Kompromiss beim Ölembargo sei nur ein „Halbschritt“. Ein Teil der Lieferungen sei weiter möglich. Das bedeute, dass der russische Präsident Putin weiterhin jeden Tag Hunderte Millionen Euro für den Krieg gegen die Ukraine bekommen werde.

Das Interview im Wortlaut:

Moritz Küpper: Herr Melnyk, die Lage im Donbass, die spitzt sich zu. Die Kämpfe werden heftig, heftiger. Meldungen über schwere Verluste, über Rückzüge. Ihr Präsident Wolodymyr Selenskyj hat heute Nacht gesagt, dort sei nun die „maximale Kampfkraft der russischen Armee versammelt“. Was erwarten Sie von den nächsten Tagen?
Andrij Melnyk: Ja, leider ist die militärische Lage im Donbass katastrophal. Die Russen rücken vor mit der gesamten Brutalität ihrer Truppen. Wir verlieren jeden Tag neue Dörfer und auch Kleinstädte. Gerade deswegen ist die Frage nach schweren Waffen, die wir uns erwarten, gerade aus Deutschland so wichtig.
Küpper: Was bedeutet diese Entwicklung für den Osten des Landes, Ihres Landes?
Melnyk: Das verheißt nichts Gutes für die Menschen. Da werden Städte und Dörfer nicht nur bombardiert, einfach in Schutt und Asche gelegt, platt gemacht. Gesamte Gegenden werden menschenleer gemacht. Gleichzeitig bekommt Putin neuen Appetit auf weitere Feldzüge, denn er hat wieder seine Kraft gespürt, jetzt im Donbass. Deswegen ist jetzt auch Kiew wieder in Gefahr und die Kriegsziele hat Putin ja nicht aufgegeben, nämlich die Ukraine als Staat, als Nation zu vernichten. Deswegen ist es so wichtig, Putin gerade jetzt auch im Donbass Paroli zu bieten, und das kann man nur mit schweren Waffen, mit Artilleriesystemen, mit Mehrfachraketenwerfern. Das sind die Systeme, die wir uns auch aus Deutschland erhoffen.

"Polen hat über 200 Kampfpanzer geliefert und jetzt auch Haubitzen"

Küpper: Welche westlichen Waffen, Waffensysteme haben Sie bisher geliefert bekommen, aktuell im Einsatz?
Melnyk: Aus Deutschland leider immer noch keine schweren Waffen.
Küpper: Was sind schwere Waffen für Sie an der Stelle?
Melnyk: Schwere Waffen sind mindestens Schützenpanzer oder Kampfpanzer, auch Haubitzen und Mehrfachraketenwerfer zumindest, und bis heute wurde noch gar nichts geliefert aus Deutschland. Es gibt eine Zusage für sieben Panzerhaubitzen 2000 und die werden erst in Wochen geliefert, und es gibt eine weitere Zusage für 30 Gebhard-Flaggpanzer. Die ersten 15 werden erst Ende Juli und die anderen Ende August ankommen. Weil die Lage so brenzlig und so gefährlich ist im Osten, wo jeder Tag zählt, ist dieses Tempo für uns leider nicht ausreichend, und wir hoffen, dass die Bundesregierung endlich auch grünes Licht für weitere Anträge gibt, die seit Wochen schon vorliegen, nämlich für 100 Marder-Schützenpanzer sowie 88 Leopard 1-Panzer. Das sind alte Systeme, über 40 Jahre alt, aber immerhin: Diese Systeme würden wir sehr gut gebrauchen, um diesen massiven Angriff, diese riesen Offensive der Russen zu stoppen.
Küpper: Aus welchen anderen westlichen Ländern haben Sie bereits schwere Waffen, wie Sie sagen, bekommen?
Melnyk: Sehr viele haben das schon getan.
Küpper: Welche?
Melnyk: Und zwar nicht nur Polen oder die Balten. Polen hat über 200 Kampfpanzer geliefert und jetzt auch Haubitzen. Das sind die neuesten Haubitzen, 18 an der Zahl seit gestern. Aber auch Staaten wie Frankreich oder Italien, die immer sehr zurückhaltend waren, haben die modernsten Artilleriesysteme, zum Beispiel Cäsar aus Frankreich, auch aus Italien, und diese Waffen sind schon seit Wochen an der Front im Einsatz. Deswegen sind wir so enttäuscht, dass man in Deutschland so lange zögert, um diese wichtige Entscheidung zu treffen, um den eigenen Beschluss des Bundestages vom 28. April umzusetzen. Damals wurde ja versprochen, mit einer großen Mehrheit im Parlament, dass die Ukraine mit schweren Waffen und komplexen Systemen unterstützt wird.
Küpper: Bundeskanzler Olaf Scholz hat gestern Abend zu diesem Thema in den ARD-Tagesthemen gesagt:
O-Ton Olaf Scholz: „Wir haben eine sehr klare Vereinbarung mit Tschechien getroffen. Wir treffen auch weitere Vereinbarungen mit vielen anderen Ländern. Und wenn Sie sich einmal genau umschauen, dann werden Sie sehen, dass es so ist, dass dieses Vorgehen, das wir wählen, auch das Vorgehen anderer Länder ist, zum Beispiel der USA oder Frankreichs oder Italiens oder Spaniens oder Großbritanniens. Das ist etwas, wo wir im Einklang mit unseren Verbündeten agieren – aus guten Gründen.“

"Wir hoffen, dass die Deutschen ihre Haltung überdenken"

Küpper: Hat Scholz recht?
Melnyk: Leider nicht! Leider nicht, weil ich habe die Amerikaner und die Briten gar nicht erwähnt, und sie liefern in einem riesigen Ausmaß. Deutschland hat für knapp 200 Millionen geliefert; die Amerikaner haben schon über vier Milliarden US-Dollar und auch die Briten. Es geht vor allem um komplexe Systeme, die geliefert werden. Die Amerikaner werden Mehrfachraketenwerfer liefern und deswegen hoffen wir schon, dass die Deutschen sich nicht neue Ausreden ausdenken, sondern wirklich den Ernst dieser Situation erkennen. Das verspricht leider nichts Gutes für uns.
Küpper: Herr Melnyk, jetzt haben aber auch die USA Waffenlieferungen verweigert, Raketensysteme, die bis nach Russland reichen würden. Warum steht Deutschland so explizit in der Kritik?
Melnyk: Es gab noch keine Absage. Es wird überlegt, welche Mehrfachraketenwerfer genau geliefert werden, welche Reichweite, und dieses Argument ist auch nicht schlüssig, was die Reichweite betrifft, denn wir werden beschossen nicht nur jetzt im Donbass, sondern auch entlang der gesamten Staatsgrenze im Osten, im Südosten des Landes, aber auch Städte innerhalb des Landes werden beschossen. Um das zu unterbinden, brauchen wir diese Artilleriesysteme. Ohne sie kann dieser Krieg nicht gewonnen werden. Deswegen hoffen wir, dass auch die Deutschen ihre Haltung überdenken und auch eine führende Rolle spielen. Die Deutschen sind einfach zu groß und zu wichtig in der Welt, in der EU, um einfach abzuwarten und zu schauen, was kleinere Länder wie die baltischen Länder oder Polen oder Tschechien oder die Slowakei, was sie tun. Die Slowakei hat das einzige Luftabwehrsystem uns geliefert, S300, und aus Deutschland erwarten wir auch ähnliche Entscheidungen.

"Diese Entscheidung über das Ölembargo war nur ein Halbschritt"

Küpper: Herr Melnyk, noch rasch zum Abschluss: Es gibt Nachrichten aus Brüssel aus der Nacht. Es gibt ein Ölembargo, von dort beschlossen, von der EU, ein Teilembargo, so nenne ich es jetzt mal. Was ist das? Ist das ein Zeichen der Geschlossenheit oder ein erstes Bröckeln der Einheit der Europäischen Union?
Melnyk: Leider beides! Wir begrüßen dieses sechste Paket der Sanktionen. Das ist ganz wichtig, um alle Geldströme für Russland trockenzulegen, damit Putin diesen Krieg nicht mehr in diesem Ausmaß finanzieren kann. Deswegen ist es gut. Gleichzeitig haben wir gesehen, dass auch diese Entscheidung über das Ölembargo nur ein Halbschritt war, denn ein Teil der Lieferungen wird weiterhin möglich sein durch Pipelines. Das bedeutet, dass jeden Tag Putin hunderte Millionen von Euro bekommen wird, um die Armee zu stärken.

Wir sehen schon heute, dass er das Vierfache jetzt anbietet, um Menschen anzuheuern in ganz Russland, weil ihm schon heute die Truppen fehlen. Deswegen ist es wichtig, dass man da nicht stoppt, dass man auch das Gasembargo jetzt einführt, und zwar schneller als man denkt. Wenn diese Frage der Energieimporte nicht gelöst wird, dann würde das bedeuten, dass Putin immer noch viele lange Monate diesen brutalen Krieg gegen die Zivilbevölkerung in der Ukraine führen kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.